Märchen und Legenden bringen typische Ängste und Sehnsüchte der Menschen besonders gut zum Ausdruck und kursieren meist in unzähligen Varianten. Besonders jene Geschichten und vermeintlichen Vorkommnisse, die zwischen dem Möglichen und dem Übernatürlichen oszillieren, regen die Fantasie an. Auch das Rätsel um das Ungeheuer von Loch Ness wird immer wieder zum Gegenstand unterschiedlichster Ausdeutungen. Besonders erfolgreich war die Version des englischen Kinderbuchautors Dick King-Smith, der bereits die Vorlage zu „Ein Schweinchen namens Babe“ verfasste. Sein Roman „Mein Freund, der Wasserdrache“ wird in der Verfilmung von Jay Russell („Mein Hund Skip“, Im Feuer) zu einem warmherzigen und turbulenten Kinoerlebnis für die ganze Familie. Mit schwelgerischen Landschaftsaufnahmen in Cinemascope, die zum größten Teil in Neuseeland und nicht in Schottland entstanden, und einem nach allen Regeln der digitalen Effektkunst animierten Fabelwesen weist „Mein Freund, der Wasserdrache“ beeindruckende Schauwerte auf. Das Herzstück des Films ist aber die gefühlvolle Geschichte eines schüchternen Jungen, der einen Freund findet und dadurch auch Mut und Selbstbewusstsein erlangt.
Schottland im Zweiten Weltkrieg: Der etwa elfjährige Angus (Alex Etel, Millions) findet am Strand ein mysteriöses eiförmiges Ding. Er nimmt es mit nach Hause und versteckt es im Schuppen seines Vaters, der sich als Soldat an der Front befindet. Alsbald entschlüpft dem Ei ein sehr lebhaftes dinosaurierartiges Tier, das Angus auf den Namen Crusoe tauft und heimlich füttert. Das Wesen wächst allerdings mit atemberaubender Geschwindigkeit, so dass der Junge seine Schwester Kirstie (Priyanka Xi) sowie den verschwiegenen Lewis Mowbray (Ben Chaplin), der im Haus als Aushilfe arbeitet, einweihen muss. Auch als sich eine Armeeeinheit unter Führung des überforderten Captain Hamilton (David Morrissey, Basic Instinct 2) auf dem Anwesen einquartiert, gelingt es eine Zeitlang, Crusoe vor der Mutter (Emily Watson) und allen anderen zu verbergen. Eines Tages bleibt aber keine Möglichkeit mehr als den Wasserdrachen in die Freiheit des Lochs zu entlassen. Von dort droht indes für Captain Hamilton die Gefahr eines deutschen U-Boot-Angriffs. Die Lage spitzt sich zu.
Ein alter Mann (Brian Cox, Die Bourne Verschwörung, Zodiac, Match Point) erzählt einem jungen Pärchen amerikanischer Rucksacktouristen in einem Pub die Geschichte von Angus und Crusoe. Durch diese Rahmenhandlung verweisen Jay Russell und sein Autor Robert Nelson Jacobs (Chocolat, Schiffsmeldungen, „Dinosaurier“) auf das Legendenhafte der Überlieferung. Brian Cox gibt dem Erzählten dazu von Anfang an den lebendigen Ton persönlicher Anteilnahme. Personen und Ereignisse bekommen durch diesen Filter nostalgischer und bittersüßer Erinnerungen eine sehr spezifische Prägung, sorgfältig ausgewählte Schauplätze und detailgenaue Ausstattung runden die subjektiv eingefärbte Beschwörung einer Kindheit im Krieg ab. Zudem zeigen Ben Chaplin (Mord nach Plan, „Birthday Girl“, „Lost Souls“) und Emily Watson (Geliebte Lügen, Punch-Drunk Love, Die Asche meiner Mutter) besonderes Gespür für die zeitspezifischen Aspekte ihrer Rollen und verankern sie in den 40er Jahren.
Die anrührende und nachfühlbare Vergegenwärtigung der Geschichte eines einsamen Jungen vor historisch glaubwürdigem Hintergrund war Russell mit „Mein Hund Skip“ vorbildlich gelungen. Die Ähnlichkeiten zu „Mein Freund, der Wasserdrache“ sind unübersehbar, aber der Regisseur setzt diesmal stärker auf spektakuläre Elemente wie actionreiche Verfolgungsjagden zwischen der Bulldogge des Hauses und Crusoe. Auch der visuell eindrucksvolle Ritt des Jungen auf dem Rücken seines neuen Freundes über und unter Wasser wird regelrecht zelebriert, nicht zuletzt durch die wenig subtil mit keltisch-folkloristischen Klängen angereicherte Musik von James Newton Howard (Michael Clayton, King Kong, Signs). Der eigentliche emotionale Kern der Geschichte gerät darüber zuweilen in Vergessenheit. Als wirklicher Störfaktor erweist sich die Darstellung des Captain Hamilton, der gezielt zum Bösewicht stilisiert wird und Angus in einem fragwürdigen Running Gag zu militärischem Drill verdonnert. Die im Chaos abgefeuerten Kanonenschüsse können stellvertretend für die atmosphärischen Misstöne in „Mein Freund, der Wasserdrache“ stehen.
Die geheim gehaltene Freundschaft eines kleinen vaterlosen Jungen zu einem fantastischen Wesen unter feindseligen Umständen: In mehr als einer Hinsicht finden sich in „Mein Freund, der Wasserdrache“ die Handlungsmuster des Genreklassikers E.T. wieder. Steven Spielbergs Meisterwerk profitiert von einer konsequent durchgehaltenen kindlichen Perspektive. Zudem ist der Gnom aus dem All ein voll entwickelter Charakter, während Crusoe immer nur ein Fantasieprodukt bleibt, dem das letzte Quäntchen magische Selbstverständlichkeit fehlt. Das Team von Weta Digital und Weta Workshop (Herr der Ringe - Trilogie, King Kong, Die Chroniken von Narnia: Der König von Narnia) hat zwar ganze Arbeit geleistet - das Aussehen und die Bewegungsabläufe des Wasserdrachen sind auf ihre Weise perfekt gelungen -, aber die Expressivität bleibt eingeschränkt, worunter auch die Interaktion mit Angus leidet
Es gibt immer nur einen Wasserdrachen auf der Welt, der ein einzelnes Ei legt, wenn er sein Ende kommen spürt. So besagt es die in Jay Russells Film präsentierte Lesart der Legende. „Mein Freund, der Wasserdrache“ ist zwar ein nicht ganz so seltenes und wunderbares, aber dennoch ein liebenswertes Exemplar eines Kinderfilms.