Wann immer über die besten Filme Hongkongs gesprochen wird, kommt neben John Woos „A better Tomorrow“ auch häufig sein Meisterstück „The Killer“ zur Sprache. Dieses Actiondrama gilt als der Genreprimus schlechthin und kann auch jene überzeugen, die dem asiatischen Kino in der Regel nicht sehr zugetan sind. „The Killer“ ist pathetisch, bleihaltig und weist einen Bodycount auf, der so manchen Kriegsfilm Hollywoods ausstechen würde. Trotzdem ist er mehr, als nur ein stilistischer Actionkracher aus Fernost.
Jeffrey (Chow Yun Fat), ein professioneller Killer mit Prinzipien, tötet für Geld. Vermittelt werden die Aufträge von seinem Freund Sydney (Kong Chu). Eines Tages geht jedoch etwas schief. Bei einer Liquidation in einem Club verletzt Jeffrey die Augen der Sängerin Jennie (Sally Yeh). Er fühlt sich für sie verantwortlich und möchte bei einem letzten, hoch bezahlten Job Geld für eine Operation auftreiben, bevor sie ihr Augenlicht endgültig verliert. Zwar erledigt er den Auftrag tadellos, doch sein nervöser Auftraggeber Weng (Fui-On Shing) will nicht bezahlen, sondern des Killers Tod und setzt dafür alle Hebel in Bewegung. Er gewinnt Sydney für seine Sache, der seinen Freund Jeffrey hernach ans Messer liefert. Doch Jeffrey kann sich freischießen und fliehen. Anstatt nun aber das Land zu verlassen, sucht er nach einem Weg, doch noch Geld für Jennies Augenoperation auftreiben zu können. Hartnäckig wird er währenddessen von Wengs Schergen und der Polizei verfolgt. Wegen Jennie beginnt Jeffrey Fehler zu machen, die den Polizeibeamten Li (Danny Lee) auf die Spur des sonst so perfekten Killers führt…
Viel Pathos, gewöhnungsbedürftige Darstellerleistungen, meist tragische Ausgänge oder enorme Blutzölle haben schon manchen Filmfreund einen Bogen um den Hongkong-Film machen lassen. Diese Punkte treffen streng genommen auch auf „The Killer“ zu, gereichen dem Film aber keineswegs zum Nachteil. Der Zuschauer täte diesem Actiondrama großes Unrecht, würde er sich an die Eigenheiten des asiatischen Films aufhängen und Woos Werk deswegen weniger Achtung entgegen bringen, als eigentlich angebracht wäre. Denn „The Killer“ hat alle die Beachtung verdient, welche normalerweise einem hochgehypten Hollywoodschinken zuteil wird. Ja, dieser Film ist extrem pathetisch und blutig. Allerdings wissen gewisse US-Vertreter in jener Hinsicht auch ganz dick aufzutragen, kaschieren so mangelhaft ausgearbeitete Charaktere und eine oberflächliche Handlung und das ist bei „The Killer“ nicht der Fall. Der Film ist gewalttätig, ohne Frage, doch wo weniger konsequente Vertreter vom anderen Kontinent einen wesentlich menschenverachtenderen Grundton haben, genügen Geschichte und Aussage in diesem Fall auch einem moralischen Anspruch.
„The Killer“ erzählt von Freundschaft, Opferbereitschaft, Loyalität und Vertrauen, aber auch von Verrat, Hass, Egoismus und Feigheit. Erzählt wird die Freundschaft von Jeffrey und Sydney, die durch die Geldgier und die Feigheit Sydneys zerstört wird. Mit wenigen Worten und in kleinen Gesten weiß Woo die Freundschaft glaubhaft als tiefe Verbindung darzustellen. So fällt es dem Zuschauer auch nicht schwer zu akzeptieren, dass Jeffrey später gewillt ist, seinem Freund zu vergeben. Auch die Vergebung ist ein starkes Motiv des Films. Jennie vergibt Jeffrey. Jeffrey vergibt Sydney. Doch Sydney vergibt sich selbst nicht und erkennt seine Schwächen nicht. Er glaubt an die Macht des Geldes. Er will mit aller Kraft das Geld auftreiben, welches Jeffrey bei seinem letzten Auftrag enthalten wurde und steuert damit seinem Untergang entgegen. Doch für Jeffrey ist jenes Geld nicht mehr das Wichtigste. Er will Freundschaft und Liebe. Jennie kann ihm diese Liebe geben. Große Gefühle, große Emotionen. „The Killer“ vermittelt sie in jener ausdrucksvollen Weise, die im Hongkong-Kino allgegenwärtig ist. Das reißt mehr als in so manchem tränendurchfluteten Melodram aus der Traumfabrik mit, sodass sich die bedeutungsschwangere Feierlichkeit als Stilmittel akzeptieren und sogar schätzen lässt.
Getragen wird der Film von sehr gut aufgelegten Hauptdarstellern. Durch Blicke und Gesten vermitteln sie große und wahrhaftige Gefühle. Chow Yun Fat zeigt sich als Killer mit Herz in seinem Element. Seine Performance - eine Weiterentwicklung des Charakters Mark Gor aus "A better Tomorrow" - ist maßstabsetzend und definiert den Antihelden neu. Eine eindrückliche Performance liefert Kong Chu als Sydney, der in jeder seiner Handlungsweisen glaubhaft bleibt. Auch Danny Lee, der zweite Hauptdarsteller, füllt die Rolle des ehrlichen Polizeibeamten gut aus. Glaubwürdig stellt er seine Sympathien und Bewunderung für Jeffrey dar. Die sich behutsam aufbauende Freundschaft zwischen den beiden, getrennt vom Gesetz, entwickelt sich im Rahmen der Geschichte logisch. Die Chemie zwischen den Hauptdarstellern stimmt. Gleiches gilt für John Woos Drehbuchvorlage. Hier vereint er das Beste aus seinen früheren und späteren Werken. Storytechnisch hebt sich „The Killer“ vom Actionfilm-Querschnitt ab und besticht durch Herz und eine überraschend intelligente Handlung. Eine Erwähnung verdient in dem Zusammenhang vor allem Lis und Jeffreys Aufeinandertreffen in Jennies Wohnung. In meisterlicher Form greifen vollendete Regie-, Schauspiel- und Schreibkunst in einander über und begründen eine geniale Szene. Mit gezückten Waffen lassen sie sich auf ein Teekränzchen bei der fast blinden Jenny ein, verraten ihre wahre Identität zu dem Zeitpunkt jeweils nicht und tun alles um Jennie nicht zu gefährden. Die messerscharfen Dialoge entbehren dabei einer gewissen humoristischen Ironie nicht. Diese ausgezeichnete, ohne jegliche Gewalt, aber nichtsdestotrotz virtuos inszenierte Szene ist der Wendepunkt in der Beziehung der sich auf verschiedenen Seiten gegenüberstehenden Männer, die nun langsam eine verbotene, aber notwendige Annäherung beginnen. Notwendig für beide, denn wenn sie in ihren für sich genommenen ehrenhaften Zielen vorankommen wollen, müssen sie zusammen arbeiten… und kämpfen.
Kämpfen. Bei diesem Begriff sollte der Nichtkenner des Hongkong-Films alle seine vom westlichen Kino vorgeschriebenen Vorstellungen eines Kampfes über Bord werfen und sich einer ganz neuen Art der gewaltsamen Auseinandersetzung öffnen. Mittlerweile hat schon Hollywood mit Werke wie „Matrix“, „Equilibrium“, „Last Man Standing“ oder US-Filme John Woos (z.B. „Im Körper des Feindes“) dem Zuschauer diese asiatische Auffassung vom Showdown etwas näher gebracht, doch noch immer steht die westliche Darstellung in keiner Relation zu der hongkongschen. Das Wort Übermacht existiert in „The Killer“ nicht. Selten hat ein für ein Subgenre geprägter Begriff so gepasst, wie hier: Heroic Bloodshed. Mit zwei Pistolen bewaffnet schießen sich die Helden ihre Wege durch Massen von Feinden und schaffen das Unmögliche. Diese Szenen sehen realistisch genug aus, um im Rahmen des Films zu überzeugen. John Woos heroisches und berühmt gewordenes Geballere definiert die Maßstäbe und unterstreicht, wie weit teilweise die Qualität des westlichen Actionkinos noch von der des asiatischen entfernt ist. Das ästhetisierende Gewaltballett beinhaltet eine selten anmutige Eleganz, ohne dass die brachiale Gewalttätigkeit verleugnet wird. Es muss schon nach Superlativen gegriffen werden, um die Actionszenen beschreiben zu können. Sie sind, wie die Gefühle, übergroß. Das ist „The Killer“, eine übergroße Parabel über Woos Lieblingsthemen. Er lotet die Grenzen aus, prüft, wie weit ein Mensch für einen anderen gehen kann oder sollte, und verlegt das ganze in apokalyptisch anmutende Szenarien.
Bei aller Gewalttätigkeit ist „The Killer“ aber nicht unmoralisch oder Gewalt verherrlichend, wie es John Woo und seinen Filmen so oft vorgeworfen wird. Konsequent zeigt er die Folgen der Gewalt, die in einem sehr bitteren Finale mündet. Ästhetisierung sollte dabei nicht mit Verherrlichung gleichgesetzt werden, denn wo anderweitig die Kugel um fünf Ecken fliegt, nur um den in der Schusslinie befindlichen Zivilisten zu verschonen, kommt hier wirklich alles und jeder in der Schussbahn eines Kugelhagels unter die Räder. Das ist konsequent und Woo macht nicht den Fehler, sich an solchen Szenerien zu weiden. Als ein Kind angeschossen wird, kommt die moralische Grundhaltung des Films und die Integrität seines dunklen Helden zum Vorschein. „The Killer“ ist eine mit Blut geschriebene Parabel. Nicht zwingend über die Gewalt, sondern mit Gewalt als Bestandteil und Stilmittel, um die Geschichte von Freundschaft und Märtyrertum in einer höheren, unwirklichen Dimension zu erzählen.
In „The Killer“ arbeitet der Regievirtuose mit allen Kniffen und treibt sie bis an die Grenzen der Perfektion. Zeitlupen, schnelle Schnitte und Übergänge, Nahaufnahmen und das kurzzeitige Einfrieren der Bilder und Gesichter, keiner beherrscht dies so, wie der Gewaltästhet aus China. Musikalisch bietet der Film eine schöne eingängige Titelmelodie und in Verbindung mit der ansprechenden Fotographie, den guten Darstellerleistungen und der ergreifenden Geschichte dürfte sie dem einen oder anderen Zuschauer schon ein Tränchen entlocken. Die berühmt-berüchtigten weißen Tauben haben auch ihren Auftritt und geben dem surrealen Finale in einer Kirche eine außergewöhnliche Note.
„The Killer“ ist nicht perfekt, verdient sich das Prädikat „Meisterwerk“ aber dennoch. Es beginnt schon sehr klischeehaft, wie sich Jeffrey und Jennie nahe kommen. Aber die Figuren werden sehr gut dargestellt und können von einer ausgefeilten Charakterisierung profitieren. Die Story ist nicht immer überdurchschnittlich und am Ende wird vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen. Nichtsdestotrotz sollte „The Killer“ aber zum Pflichtprogramm eines jeden Cineasten gehören und ist das Paradebeispiel dessen, wie herausragend ein Actionfilm eigentlich sein kann und auch sein sollte.