„I want my money.“ Von Anfang an macht Walker, der Protagonist in John Boormans Genreklassiker „Point Blank”, klar, dass er nur dieses eine Ziel verfolgt. Auch wenn seine Gegenspieler es nicht glauben können, dass er für läppische 93.000 Dollar den Kampf gegen eine übermächtige kriminelle Organisation aufnimmt, so ist dies doch sein einziger Antrieb. An Rache dafür, dass ihn sein bester Freund und seine eigene Ehefrau verraten haben, ist er hingegen nicht interessiert. Boorman zeichnet Walkers blutigen Pfad in stilistisch eindrucksvollen Bildern nach, die auch heute noch auf der Höhe der Zeit sind. Das Ergebnis ist ein wegweisender, oft zitierter Neo Noir, der Lee Marvin und Angie Dickinson in Bestform zeigt.
Nach einem Coup auf der ehemaligen Gefängnisinsel Alcatraz lässt Mal Reese (John Vernon) seinen Partner Walker (Lee Marvin) zurück und verpasst ihm zum Abschied sogar ein paar bleierne Kugeln. Zu allem Überfluss brennt er außerdem noch mit Walkers Frau Lynne (Sharon Acker) durch. Halbtot wankt Walker gen Wasser und stürzt sich in die Fluten. Der Ton der nachfolgenden Szene deutet an, dass es schlicht unmöglich ist, diesen Fluten lebend wieder zu entkommen. Dennoch steht Walker kurz darauf an Bord eines Bootes. Der zwielichtige Yost (Keenan Wynn) bittet ihn, in der Führungsetage einer „Organisation“ aufzuräumen, in welche Reese sich mit dem geklauten Geld eingekauft hat. Doch Walker will keinen Krieg führen, er will sein Geld. Als er aber feststellt, dass Reese ihn gar nicht bezahlen kann, wendet er sich mit Hilfe seiner Schwägerin Chris (Angie Dickinson) und der Unterstützung von Yost direkt gegen die Organisation, um dort seinen Anteil einzutreiben…
Regisseur John Boorman ist ohne Frage einer der unterschätztesten Kinoästheten überhaupt. In Hollywood ist er wegen seiner Sturheit und seinem Unwillen, sich dem Final Cut der Studios und Produzenten zu beugen, nicht glücklich geworden. Mittlerweile arbeitet er fast nur noch in Irland und dreht dort mit Stammdarsteller Brendan Gleeson eindrucksvolle Filme wie „The Tiger's Tail“ oder „Der General“, die international aber nur selten die verdiente Beachtung finden. Häufig wird sein Name daher immer noch mit den beiden großen Klassikern seiner Vita verbunden: dem hochspannenden Hinterwäldler-Drama Beim Sterben ist jeder der Erste und eben „Point Blank“. Was für ein Kinokünstler Boorman wirklich ist, kann man aber auch an keinem seiner Werke so gut ablesen, wie an seinem stilistisch außerordentlichen Neo Noir. Allein zu beobachten, wie Boorman das Breitwandformat ausnutzt, lässt das Herz jedes Kinofans höher schlagen. Er fokussiert die Handlung nie in der Mitte des Bildes, sondern nutzt stets die ganze Breite aus. Menschen werden von links nach rechts geschleudert und stehen sich plötzlich an den Rändern der Leinwand gegenüber. Immer wieder liefert Boorman dabei auch seinen ganz eigenen Blick auf das Stadtbild von San Francisco. Dies ist mit ein Grund dafür, warum „Point Blank“ im Fernsehen deutlich an Wirkung einbüßt. Jahrelang weigerten sich viele Sender, das Kinoformat auch im TV zu nutzen und schnitten den Filmen lieber die Ränder ab. Diese Praxis, wie sie auch heute noch einige Privatsender verfolgen, bedeutet für ein Werk wie „Point Blank“ natürlich das Todesurteil.
Auch wenn die Story von „Point Blank“ knapp mit den Worten „Angepisster Bad Guy will sein Geld zurück“ umschrieben werden kann, schadet dieser inhaltliche Minimalismus dem Film nie. Zum einen wird die an sich simple Geschichte im Fortlauf des Films immer komplexer und gipfelt in einem grandiosen Schlusstwist, zum anderen ist die Verfilmung von Donald E. Westlakes Novelle „The Hunter“ stilistisch so eindrucksvoll, dass der Blick des Zuschauers eh nie auf der möglicherweise zu dünnen Geschichte verharrt. Boorman spielt mit verschiedensten Stilmitteln, verlangsamt und wiederholt Szenen, teilt diese auf und würfelt sie ein wenig durcheinander, oder lässt auch mal – wie etwa zu Beginn – etwas völlig weg. Dies geschieht dabei nie aus purem Selbstzweck oder um der schönen Bilder willen, sondern findet stets seine inhaltliche Entsprechung: Boorman akzentuiert damit die Handlungsweisen der Charaktere und ihr Innenleben, welches – filmisch eindrucksvoll – nicht durch Worte und Gesten, sondern durch die Farbgebung und Bildgestaltung nach außen gekehrt wird. Boorman kombiniert dabei klassische Elemente des Film Noir sowie der französischen Nouvelle Vague miteinander. Die Tonspur ist deutlich präsenter als in den meisten anderen Filmen, was schon mit Walkers laut hallenden Schritten zu Beginn deutlich wird und sich auch später - etwa mit den Pistolenschüssen in der Nachtclubszene - fortsetzt.
Lee Marvin (Gorky Park, Der Mann, der Liberty Valance erschoss) ist die perfekte Besetzung. Stoisch und ohne großes Minenspiel stellt er einen Charakter da, der - gegen jede Regel des Mainstreams - überhaupt nicht als Identifikationsfigur taugt. Er geht kalt und brutal vor und lässt seine Gegner, die lange nicht glauben können, dass sich jemand für einen kleineren Geldbetrag mit einem mächtigen Syndikat anlegt, ob seiner Konsequenz verzweifeln. Marvin, der zu jener Zeit Boormans Lieblingsdarsteller und absoluter Wunschkandidat war (der Regisseur drehte 1998 auch die Dokumentation „Lee Marvin: A Personal Portrait by John Boorman“), schuf mit dieser Darstellung den Prototypen des „Badass“. Trotzdem verzweifelten die Hollywoodbosse damals an Boormans sympathiefreier Anlegung des Hauptcharakters und selbst Mel Gibson schlug bei der Produktion des Remakes Payback lieber versöhnlichere Töne an: Gibson setzte Nachdrehs durch, die seinen Charakter ein wenig freundlicher wirken ließen und brachte ein wenig mehr Humor ins Spiel, um sich vom düster-zynischen Original abzusetzen. An der Seite von Marvin steht die schöne Angie Dickinson (Dressed To Kill, Rio Bravo), die hier den immer irgendwie von einem surrealen Hauch umgebenen Walker-Charakter erdet. Als sie in Wut auf Walker einschlägt und der als Reaktion nur still und versteinert dasteht, beschert Dickinson dem Film einen seiner emotionalsten Momente. Als sie Reese verführen und mit ihm schlafen muss, um Walker zu helfen, sorgt Dickinson außerdem für eine der quälendsten Sexszenen der Filmgeschichte. Mit dem damals noch recht unbekannten John Vernon (Der große Coup, Dirty Harry) überzeugt zudem ein Newcomer in der Rolle des schmierigen Bösewichts.
Fazit: Bei einer heutigen Sichtung von „Point Blank“ bleibt neben dem großartigen Filmerlebnis auch immer ein wenig Wehmut zurück. Wehmut darüber, dass einem stilistisch eigenständigen Regisseur wie John Boorman die Unterstützung der Hollywoodstudios verwehrt blieb und seine neueren Filme abseits von Festivals deshalb kaum zu sehen sind. Wehmut auch darüber, dass die ideale Regisseur/Darsteller-Kombination Boorman/Marvin nur zwei Mal zusammen arbeiten konnte (ein Jahr nach „Point Blank“ drehte das Gespann noch das minimalistische Antikriegsdrama „Die Hölle sind wir“). Den Genuss von Boormans eindrucksvollem Meisterwerk schmälert das aber natürlich nicht.