Südkorea ist ein Mekka der plastischen Chirurgie. Von Jahr zu Jahr lassen sich dort mehr Menschen um ihres Aussehens Willen operieren. Dabei steigt der Anteil der Männer und auch der noch sehr jungen Menschen, die sich einer solchen Operation unterziehen, stetig an. Beinahe 50 Prozent der 20-jährigen Südkoreanerinnen sollen schon unter dem Messer eines Schönheitschirurgen gelegen haben. Besonders beliebt ist dabei die Straffung der Augenlieder, um ein westlicheres Erscheinungsbild zu erreichen. Regisseur Kim Ki-Duk nimmt sich in seinem 13. Werk „Time“ dem grassierenden Schönheits- und dem damit verbundenen Operationswahn seiner Heimat an und versucht in seinem Film zu ergründen, ob das von Gott - oder besser genetisch vorgegebene Aussehen - nicht auch unwiderruflich mit der seelischen Identität verbunden ist. Das Ergebnis des für Kim Ki-Duk schon unheimlich dialogreichen Beziehungsdramas ist durchwachsen und wird dem Anspruch der Frage, was den einzelnen Menschen eigentlich ausmacht, nicht gerecht.
Ji-woo (Jung-woo Ha) und Seh-hee (Ji-yeon Park) führen eine harmonische Beziehung. Doch das wunderschöne Paar hat nach zwei gemeinsamen Jahren auch seine Probleme. Ji-woo schaut gerne anderen Schönheiten hinterher und Seh-hee ist die Eifersucht in Person und würde am liebsten alle weiblichen Wesen, die das Interesse ihres Freundes wecken, vom Erdboden verschwinden lassen. Nach einem Vorkommnis in einem Café fragt sie ihren Geliebten Ji-woo, ob er nicht müde sei ihr ewig gleiches, langweiliges Gesicht anzusehen. Am nächsten Tag ist ihre Handynummer abgemeldet, ihr Appartement geräumt. Für ihren Freund ist sie nicht mehr auffindbar. Ji- woo weiß nicht, dass sich seine Freundin dazu entschlossen hat, sich für ihn ein neues Gesicht von einem Schönheitschirurgen modellieren zu lassen und plant nach sechs Monaten, nach der Verheilung aller Narben, wieder in sein Leben zurückzukehren.
„Time“ beginnt mit der filmischen Dokumentation einer Schönheitsoperation, die dem Zuschauer auf erschreckende Weise den blutigen, Schmerzen hervorbringenden Teil des Verschönerungsprozesses illustriert und dabei beinahe wie eine Schlachtung anmutet. Schon dieser Anfang scheint ungewöhnlich für den südkoreanischen Festivalliebling. Ist Kim Ki-Duk doch für seine schweigsamen Protagonisten und für seine ruhigen, teils meditativen Bildkompositionen bekannt. Für seinen bisherigen Stil sind die Figuren in „Time“ aber ungewöhnlich redselig. Sie schreien, fluchen und schlagen um sich, sind um einiges extrovertierter als die typischen Charaktere seiner Werke, wie man sie aus Bin-Jip oder Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling kennt. Schauspielerisch ist Jung-woo Has Darstellung eines von den Gefühlen seiner Freundin überforderten Mannes noch als ordentlich zu bezeichnen, während Ji-yeon Park und Hyeong-a Seong in ihrer Darstellung der weiblichen Protagonistin vor (Seh-hee) bzw. nach der Operation (See-hee) über das Ziel hinausschießen und einen unglaublich nervenden Eindruck hinterlassen. Die sehr hysterische Frauengestalt Seh-hee/See-hee ist in ihrem Handeln weder verständlich noch glaubhaft. Ihr Charakter scheint nur aus Schönheitswahn und der Besessenheit von Ji-woo zu bestehen und ist damit zu eindimensional und überzeichnet, um wirkliche Anteilnahme zu erzeugen.
Ohnehin mutet „Time“ mit seinen schauspielenden Modells und den immer wechselnden Kleidungskreationen mehr wie ein Modewerbefilm als ein tiefgreifendes Drama an und driftet bei Zeiten gar ins Lächerliche ab. So sind auch die Absagen von Cannes und Venedig zu erklären, die „Time“ nicht in ihr Festivalprogramm aufnehmen wollten, obwohl Kim Ki-Duk doch in früheren Jahren zu den umworbenen Regisseuren gehörte. In den stärksten Momenten des Films kann sich die poetische Bildsprache durchsetzen. So wartet der Skulpturenpark auf einer Insel mit Kim Ki-Duks typischem Bildmaterial auf und die immer wiederkehrenden Fotos weisen auf die Vergänglichkeit der festgehaltenen Augenblicke hin. Doch schöne Settings, ein paar vereinzelte metaphorische Ideen und hübsch anzuschauende Darsteller machen noch keinen guten Film und die große Gefühlsdistanz zu den Figuren lässt eine Involvierung des Zuschauers in das Beziehungsdrama schwerlich zu.
„Time“ ist ein missglückter Versuch des Regisseurs Kim Ki-Duk, seine bisherigen Filmpfade zu verlassen und einen weniger melancholischen, mehr auf Dialoge setzenden Weg einzuschlagen. Die ruhigen Bildkompositionen wollen mit der impulsiven Frauengestalt, die in ihrem hysterischen Wahn ein ungeheures Nervpotential entfaltet, nicht harmonieren. Dazu geht im Laufe des Films der Anspruch nach einer ernsthaften Hinterfragung von Identitätsbildung und -veränderung leider irgendwann verloren.