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    China Blue
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    China Blue
    Von Andreas R. Becker

    „Ich habe diesen Film gemacht, weil ich glaube, dass die Globalisierung das wichtigste Thema unserer Zeit ist. Was mich morgens aufstehen lässt, ist meine Wut. Multinationale Unternehmen, die sich für nichts anderes interessieren, als für ihren Profit, bestimmen mehr und mehr unser Leben. Indem sie die Medien kontrollieren, tragen sie dafür Sorge, dass eingehende Untersuchungen ihrer Praktiken relativ selten vorkommen. Für mich ist die einzig angemessene Antwort darauf, Filme zu machen, die zeigen, was sie uns vorenthalten wollen.“

    Für seinen jüngsten Dokumentarfilm über die Produktion von Jeans in chinesischen Fabriken war dies die selbsternannte Maxime des Regisseurs Micha X. Peleds. Peled, in Israel geboren und aufgewachsen und derzeit wohnhaft in den USA, lieferte 2001 mit „Store Wars: When Wal-Mart Comes To Town“ bereits vier Jahre vor Robert Greenwald („Wal-Mart: The High Cost Of Low Price“) eine kritische filmische Auseinandersetzung mit den Machenschaften der Discounterkette Wal-Mart. Unter anderem arbeitete er auch bereits für ARD und arte.

    In „China Blue“ portraitiert er das Leben der 20-jährigen Jasmine, die wie 130 Millionen andere Chinesen ihre Heimat verlassen hat. In der aufstrebenden Wirtschaft nach der Marktöffnung Chinas will sie Geld für sich und ihre Familie verdienen. Schnell wird deutlich, warum die Fabriken der chinesischen Textilindustrie den Beinamen „Sweatshop“ erhalten haben: Gearbeitet wird sieben Tage in der Woche, die Schichten sind dabei meist so lang, dass kaum vier oder fünf Stunden Schlaf überbleiben. Pausen gibt es kaum, und wenn, werden sie genutzt, um den Schlafmangel nachzuholen, oder Hausarbeit in den schäbigen Unterkünften auf dem Fabrikgelände zu verrichten. Die bleibt sonst noch am Abend an den schuftenden Mädchen hängen, die oft gerade vierzehn Jahre alt sind und mit gefälschten Papieren für umgerechnet sechs Cent in der Stunde monotone Sisyphos-Arbeiten verrichten. Vom kargen Lohn, der nur unregelmäßig ausgezahlt wird, werden zuvor noch die flauen Mahlzeiten aus der Werksküche abgezogen, ebenso wie das Wasser zum Waschen oder Strafen für Einschlafen am Arbeitsplatz. Fließendes Wasser gehört zur Luxusausstattung, „Freizeit“ zu der Fremdwörtersammlung, in der man auch „Gewerkschaft“ und „medizinische Versorgung“ findet.

    Dabei gilt es zu bedenken, dass die im Film gezeigte Fabrik noch zu den humaneren im Gewerbe gehört. Auch an dieser grotesken Relation liegt es wohl, dass der Fabrikbesitzer Mr. Lam den Dreharbeiten erstaunlichen Raum gelassen haben muss und sich vor der Kamera beinahe als Wohltäter der Nation inszeniert. Peled: „Mr. Lam geht grundsätzlich davon aus, dass er seine Arbeiter fair behandelt.“

    Auch wenn Lam mit 200.000 produzierten Jeans im Monat und 20 Cent Gewinn pro Stück etwa 40.000 Dollar Gesamtgewinn einfährt, liegt das eigentliche Problem bei den westlichen Zwischenhändlern. Mit Knebelpreisen, gebunden an Drohungen, keine Aufträge mehr zu vergeben, halten sie Produzenten wie Lam an der kurzen Leine: Tust Du’s nicht für vier Dollar, tut’s jemand anderes. Diesen Druck gibt Lam in seiner Fabrik „Lifeng“ dann an seine Belegschaft weiter, die sich das ganze Jahr abmüht, um einen Neujahrsbesuch bei der Familie oder die Schulbildung der kleinen Schwester zu finanzieren. Werksbesuche, wie von Auftraggebern oder Kontrolleuren, sind abgekartete Spiele: Vorher angekündigt, nötigt man die Arbeiterinnen zu Falschaussagen und für ein paar Stunden wird heile Welt gespielt.

    „China Blue“ liefert einen Einblick in den harten Alltag von jungen Mädchen, die zu inhumanen Bedingungen ihr Dasein verrichten. Um ihren Familien in der verarmten ländlichen Regionen zu helfen, sind sie den Diktaten der skrupellosen und gewinnorientierten Großkonzerne ausgeliefert, denen auch von Seiten der chinesischen Regierung offenbar nicht Einhalt geboten wird. Dieser Einblick zielt klar und zurecht auf die Mobilisierung des westlichen Zuschauers, der popcornkauend in seiner Levi’s das Elend betrachtet und sich vorgestern noch über die gestiegenen Preise bei Aldi geärgert hat. Erwähnenswert ist deshalb eine Diskussion, die sich um die Protagonistin Jasmine entwickelt hat und möglicherweise der Authentizität des Films schadet. Nachdem das Mädchen, die ursprünglich Zentrum der Narration werden sollte, „aufgrund von polizeilichen Maßnahmen verloren ging“ (d. Regisseur), konzentrierte man sich angeblich auf eine andere von drei begleiteten Arbeiterinnen. Es wird jedoch gemutmaßt, dass Jasmine um der schlüssigen Narration willen das Leben ihrer Vorgängerin aufgedrückt worden sein könnte. Sogar lassen sich Vermutungen finden, dass Jasmine gezielt gecastet worden sei. So oder so wäre die Glaubwürdigkeit des Films als Dokumentation und damit seine Aussage zumindest stark angegriffen.

    Auch technisch ließe sich Peleds Film leicht demontieren, betrachtet man aber die extremen Rahmenbedingungen, unter denen das Werk entstanden ist, sind diese Mängel nicht weiter verwunderlich: „Das gesamte Filmprojekt war geheim, denn wir gaben vor, uns als Touristen in China zu bewegen. Wir schmuggelten unsere DV-Kamera ins Land, in dem wir sie auseinander nahmen und die Einzelteile in verschiedene Einkaufstüten packten. Während wir in der Fabrik relativ geschützt drehen konnten, bekamen wir, als wir unsere Protagonistin in ihre Heimatprovinz begleiteten, häufig Schwierigkeiten mit der Polizei.“ So wurde auch die Kamerafrau eine Nacht lang von der Polizei festgehalten und verhört.

    Während diese „Mängel“ weniger zur Sache tun, bleibt der Schatten der möglichen Manipulation wohl eher als ernsthaftes Manko über „China Blue“ stehen. Da sich der Film als Dokumentation begreift und verkauft wird, wäre eine solche Schönheitskorrektur nicht nur ein Betrug am Zuschauer. Diese ist aber nicht erwiesen und wenn doch, könnte man die Frage anschließen, ob denn hier der Zweck die Mittel heilige. Ich sage „Ja“, denn letztlich führte eine solche Anzweiflung des Films wohl vor allem nur zu einem: Der Zuschauer kann sich ob des entlarvten Betrügerregisseurs wieder zurücklehnen und mit beruhigtem Gewissen weiter zu Discountpreisen shoppen – war ja nur Fake.

    Dass die amerikanische und westeuropäische Industrie und der angeschlossene Konsument mitverantwortlich sind an der unhaltbaren Misere in den Produktionsländern, ist eine Tatsache, der es mit allen möglichen Mitteln entgegenzutreten gilt. Diese sind ohnehin begrenzt: Abgesehen davon, dass es nahezu unmöglich ist, die Konzernerbsen in Töpfchen und Kröpfchen zu sortieren, führte ein anschließender Boykott nur zu weiterem sozialem Elend durch Fabrikschließungen. Letztlich bleibt also nur der Weg, Hilfsorganisationen zu unterstützen und ein breites Bewusstsein für die Lage zu schaffen, um Druck ausüben und nach und nach Erfolge erzielen zu können. Filme wie „China Blue“ könnten eine Marke auf diesem langen Weg darstellen.

    Links:

    - www.saubere-kleidung.de

    - www.cleanclothes.org

    - www.ueber-arbeiten.de

    - www.inkota.de

    - www.diegesellschafter.de

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