Hierzulande haben Opernhäuser seit Jahren mit chronischem Besucherschwund zu kämpfen. Immer weniger Opernbegeisterte strömen in die entsprechenden Häuser, um sich „Lady MacBeth“, „Die Zauberflöte“ und Co. anzusehen und anzuhören. Auch in Italien kennt man das Problem, weil sich wenig junge Operngänger unter die alteingesessenen mischen. Da aber dort die Oper nicht nur eine Sache der so genannten Hochkultur, sondern eine Passion vieler Schichten ist, scheint der Rückgang weniger dramatisch auszufallen. Was außerdem so besonders an der italienischen Opernkultur ist, hat Regisseurin Katharina Rupp in ihrem Dokumentarfilm „Opernfieber“ aufgespürt und interessant aufbereitet. Entstanden ist ein kurioser Einblick in das Geheimnis des Erfolgs und in die Zusammensetzung des Publikums.
Allseits bekannt ist: Gähnen steckt an. Wer schon einmal unfreiwillig in einen kollektiven Gähnkanon eingestimmt hat, dürfte das Phänomen bestens kennen und wissen, wovon die Rede ist. Die Frage ist aber nun: Lässt sich dieser psychologische Mechanismus auch auf andere Dinge übertragen, wie zum Beispiel das Klatschen? Je heftiger und lauter einige Zuschauer nach einer Aufführung applaudieren, desto größer wird der gesamte Beifall? Ist das ein ernst zu nehmender Faktor? In Italien jedenfalls scheint man von der Formel überzeugt zu sein. Hier hat sich tatsächlich ein eigener „Beruf“ in der Oper herausgebildet: Der Claquer heizt mit seinem frenetischen Applaus die Massen an und bestimmt so die Intensität des Beifalls maßgeblich mit, was wiederum den Erfolg bzw. den Misserfolg eines Stückes prägt. Dabei agiert der heimliche Klatschanimateur wie das Phantom der Oper. Viele wissen, dass es ihn gibt; doch er ist nicht zu fassen, weil praktisch alle seine Existenz leugnen. Doch wehe der Dirigent und Regisseur haben ihm nicht genug oder gar nichts bezahlt. Dann stört der Claquer schon mal mit lautem Husten oder Niesen an einer wichtigen Stelle die Spannung oder applaudiert an der falschen Stelle, um einen Klatsch-Gau herbeizuführen. Mafia-ähnliche Methoden in der italienischen Opern. Wen wundert's?
Dies ist nur ein amüsanter Aspekt der besonders ausgeprägten Opernkultur in Italien, den Regisseurin Katharina Rupp enthüllt. Neben den Claqueren stellt sie dem Zuschauer auch die wahren Opernfans aus dem dritten Rang vor, die „Loggionisti“. Diese Opernfanatiker müssen einfach bei jeder Aufführung dabei sein, geben sogar ihren letzten Euro für die Oper aus. Traditionell liefern sie sich mit den Claqueren eine Applausschlacht, um den angemessenen Beifall für eine Inszenierung, welcher in Verona besonders erbittert scheint. Doch auch anderswo in Italien lassen sich witzige und manchmal etwas seltsam anmutende Geschichten rund um die italienische Oper ausfindig machen. So reiste das Filmteam durch ganz Italien – von Genua nach Mailand und von Neapel nach Parma – um diese aufzustöbern. Der Zuschauer erfährt beispielsweise vom besonders anspruchsvollen Publikum in Parma, das sogar bei ganz routinierten Sängern und Sängerinnen der Opernszene das Lampenfieber außergewöhnlich hoch ansteigen lässt. Es ist, als wäre man in einer Löwengrube, berichtet ein Akteur vor der Kamera, was die angespannte Situation in Parma versinnbildlicht.
Größtenteils gut inszeniert und logisch zusammengestellt erscheinen die Geschichten und Charaktere um die Oper in Italien im ersten Teil des Films. Sehenswert werden Gruppen und Subkulturen am Rande der Oper konstruiert, die alle eines verbindet: die brennende Leidenschaft und bewundernswerte Hingabe zur Oper. Bemängeln lässt sich an der Dokumentation jedoch, dass der „Beruf“ des Claquers die gesamten 70 Minuten über zu omnipräsent ist, obwohl dessen Vorstellung bereits nach der Hälfte des Films erschöpfend abgehandelt ist. Etwas zu schnell und hastig werden einige der anderen Geschichten erzählt und teils nicht befriedigend entwickelt. Eher fragmentarisch und collagenartig wirkt der zweite Teil, was zwar mehr Facetten der Opernkultur aufzeigt, die jedoch letztlich weniger tief ausfallen.
Alles zusammengenommen gewährt „Opernfieber“ von Regisseurin Katharina Rupp einen interessanten Einblick in die schillernde und manchmal geheimnisvolle Opernkultur Italiens. Nebenbei lernt man etwas über die Psychologie des Beifalls sowie über die Menschen, die in geheimer Mission den Ausgang eines Opernabends mitbestimmen. Auch wenn „Opernfieber“ nicht Kinoabend füllend geworden ist – ein spannender Blick in die innere Struktur eines italienischen Opernhauses ist er allemal und somit nicht nur hart gesottenen Operngängern zu empfehlen. Ein Hinweis an alle Italienfans: „Opernfieber“ rundet die Italien-Trilogie des Filmverleihs ab, die Einblicke in das Land der Pasta und Pizza geben soll. Bereits erschienen sind: Il Palio - Das Rennen von Siena und Die Träume Neapels.