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    Herr Lehmann
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Herr Lehmann
    Von Carsten Baumgardt

    Die Verfilmung des Kultromans „Herr Lehmann“ von Sven Regener war nur eine Frage der Zeit. So nutzte „Sonnenallee“-Regisseur Leander Haußmann seine guten Kontakte zu dem Autor und „Element of Crime“-Sänger, um sich die Rechte zu sichern. Bei der Umsetzung der lakonischen Abenteuer des bierseligen Herrn Lehmann zeigt Haußmann ein Gespür für die Stimmung des Romans, verliert aber im Schlussteil leider ein wenig den Faden, was aber nichts daran ändert, dass sein „Herr Lehmann“ insgesamt gelungen ist und einen markigen Kultcharakter aufbieten kann. Freunde des Buches werden an der Leinwandversion ihren Spaß haben, auch wenn die Komödie nicht ganz die Intensität des geschriebenen Wortes erreicht wird.

    1989, Berlin-Kreuzberg kurz vor der Wende: Frank Lehmann (Christian Ulmen) lebt in den Tag hinein. Am liebsten tourt er durch die zwielichtigsten Kaschemmen Kreuzbergs. Aber er ist vom Fach. Schließlich verdient er sich als Barkeeper im „Einfall“, einer Kneipe seines Kumpels Erwin (Hartmut Lange), sein Geld. Bevorzugt hängt er mit seinem besten Freund, dem Installations-Künstler Karl (Detlev Buck), und seinen anderen Saufkumpanen ab. Bei reichlich Gerstensaft wird über das Leben im Allgemeinen und Besonderen philosophiert. Eines morgens trifft Herr Lehmann - seine Freunde nennen ihn so, weil er doch bald dreißig wird – auf die rigorose Köchin Katrin (Katja Danowski) und verliebt sich in sie. Etwas Abwechslung und Aufregung kommt in Herrn Lehmanns Leben als seine spießigen Eltern (Margit Bendokat, Adam Oest) aus der Provinz ihren Besuch angesagt haben. Er gaukelt ihnen vor, dass er Geschäftsführer in einer Gaststätte sei. Kurzerhand spielen Herr Lehmann und seine Freunde den Eltern etwas vor. Dann geht auch noch bei dem Versuch, 500 Mark zur Verwandtschaft in Ost-Berlin zu schmuggeln etwas schief – Herr Lehmann wird von den sturen Ost-Grenzern in den Mangel genommen...

    Dass die Verfilmung des kultisch verehrten Romans von Sven Regener ihre Tücken hat und kein leichtes Unterfangen ist, wird Regisseur Leander Haußmann von Anfang an klar gewesen sein. Regeners lakonisch-verschrobenes Buch über die Biertrinker-Bohème im Kreuzberg der Spätachtziger sprüht nur so vor Wortwitz und Eigensinn. Er erhob das Philosophieren über Nichtigkeiten zur Kunstform. Diesen Ansatz will auch Haußmann in seiner Adaption, zu der Regener selbst das Drehbuch verfasste, umsetzen. Das gelingt zunächst auch sehr gut. Herr Lehmann und die „schöne Köchin“ Katrin lamentieren über Schweinebraten morgens um elf Uhr (Lehmann: „Wenn das okay ist, dass hier so Vollidioten bis siebzehn Uhr frühstücken, dann wird das doch wohl auch okay sein, um elf Uhr einen Schweinebraten zu bestellen.“ - Katrin: „Ich würde das mal lieber andersrum ausdrücken: wenn die Welt schon mit Arschlöchern vollgestopft ist, die hier bis siebzehn Uhr frühstücken, wozu brauchen wir dann auch noch Knallchargen, die um elf Uhr schon Schweinebraten bestellen?“), entwickeln Zeit-Theorien und definieren den Lebensinhalt. Kurze Zeit später sind sie zusammen.

    In diesem Sinne geht’s weiter. Eine stringente Handlung haben weder Roman noch Film. Das ist beabsichtigt, also auch nicht unbedingt kritisierbar. Denn Haußmann unterhält derweil weiter mit Witz, Skurrilitäten und eigenwilliger Definition von Logik. Der Neuling Rainer (Janek Rieke aus „Lichter") wird von der Saufkumpanen-Gang schnell verdächtigt, ein Undercover-Polizist von der Drogenfandung zu sein: „Wieso glaubt ihr jetzt alle, dass der Zivilbulle ist?“ – „Ja wenn der auch immer Kristallweizen trinkt, ohne Zitrone.“ Fortan heißt er logischerweise Kristall-Rainer – und ist selbstverständlich kein Polizist. Die Gedankengänge des Herrn Lehmann sind meist verworren, darin aber wenigstens konsequent. Kostprobe gefällig? „Ich habe überhaupt keine Ahnung, wann das anfing mit der ganzen Scheiße. Das ist das Komische daran. Das ist wie mit dem Untergang des römischen Reiches, da weiß auch keiner, wann das eigentlich anfing.“

    Mit MTV-Star Christian Ulmen hat Haußmann einen exellenten Herrn Lehmann gefunden. In seiner zweiten Kinorolle (nach „Verschwende deine Jugend“) verkörpert er genau den Geist, den Sven Regener in Schriftform erschaffen hat. Die Besetzung mit dem schauspielerisch unerfahrenen Moderator war riskant, aber richtig. Mit seiner Selbstgefälligkeit und Arroganz, die er in seinen Shows in den letzten Jahren an den Tag legte, ist er für die Rolle des Herrn Lehmann bestens gerüstet. Ulmen trifft - ob besoffen oder mal nüchtern – immer den richtigen Ton. Er lässt seinen Herrn Lehmann trotz aller Defizite sympathisch wirken. Gleichermaßen gut spielt Detlev Buck („Sonnenallee", „Männerpension“, „Wir können auch anders“). Der Regisseur und Schauspieler ist als Herrn Lehmanns bester Freund eine sichere Bank. Mit viel Sturheit bis hin zur Selbstaufgabe gibt er seinen „Karl“.

    Weniger überzeugend ist dagegen die Beziehung von Herrn Lehmann und der „schönen Köchin“ Katrin. Nachdem das Dialogduell in ihrer ersten gemeinsamen Szene noch fesseln will, funkt es zwischen den beiden auf der Leinwand nicht so recht. Warum sich Herr Lehmann in die Köchin verliebt, wird nicht wirklich klar. Die Chemie zwischen Ulmen und Katja Danowski stimmt nicht hundertprozentig. Warum sie ihn dann abserviert und zu Kristall-Rainer weiter zieht, bleibt ebenso unklar. Aber wenigstens sorgt dieser Umstand für einen herrlichen Monolog Ulmens, der sich über die Art und Weise des abrupten Beziehungsendes ereifert („Sag du mir nicht, dass es aus ist. Du hast mir überhaupt nicht zu sagen, dass es aus ist. Das ist mein Text. Und ich sag dir mal was: Katrin. Es ist aus!“)

    So weit hat Haußmann also alles im Griff, doch leider geht seiner Geschichte gegen Ende hin ein wenig die Luft aus. Der Storyteil, in dem Karl schleichend dem Wahnsinn verfällt, ändert zunächst einmal den Grundton des Films und nimmt ihm das letzte Fünkchen reale Dynamik. Hier hält sich Haußmann zu sklavisch an die Vorlage - die Episode hätte ein wenig Straffung vertragen. Erst als Christoph Waltz als komischer Arzt einen kurzen, aber grandiosen Auftritt hat und das Ende mit dem Mauerfall sich nähert, kriegt „Herr Lehmann“ locker die Kurve. Bezeichnend für die Figuren und den Esprit des Buches ist die Tatsache, dass der Mauerfall im Suff und eher nebensächlich zur Kenntnis genommen wird. Schließlich sind selbst Neukölln oder Charlottenburg Herrn Lehmann schon äußerst suspekt. Ganz zu schweigen von den merkwürdigen Gestalten in der Ostzone... („Die kommen jetzt alle zu uns!")

    Optisch zeigt Kameramann Frank Griebe („Nackt", „Zugvögel ... Einmal nach Inari", „Absolute Giganten") Kreuzberg schmuddelig - grau in grau, dafür aber mit Stil. Dazu gibt es einen Independent-Soundtrack mit Stücken von den Eels, Fad Gadget, Nick Cave, Laibach und Ween. Cakes skurriles Gloria-Gaynor-Cover von „I will survive" instrumentalisiert am Schluss den Mauerfall. So überzeugt Leander Haußmann mit seiner „Herr Lehmann“-Verfilmung und enttäuscht die vielen Fans des Romans auch nicht. Ob die Zeit in besoffenem Zustand schneller oder langsamer vergeht, wird übrigens nicht abschließend geklärt. Das ist Ansichtssache. Eine eben solche Ansichtssache ist es, ob sich der Zuschauer überhaupt auf das Geschwafel auf hohem Niveau einlassen will. Er sollte es. Denn sonst entgehen ihm einige wirklich spritzige Dialoge.

    Fazit: „Herr Lehmann“ ist eine gelungene Kult-Bestseller-Adaption mit einem großartigen Christian Ulmen.

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