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    Hallesche Kometen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Hallesche Kometen
    Von Christoph Petersen

    Frischer Wind aus dem Osten. In ihrer Reihe „Ostwind“ präsentieren ZDF und RBB insgesamt zwölf Filme, die gemeinsam ein vielschichtiges Bild der zehn Jahre nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs zeigen. Der Schwerpunkt liegt dabei aber nicht auf dem großen politischen Geschehen, sondern auf dem ganz normalen Leben in seinen verschiedensten Facetten. Die Filme werden vor ihrer Ausstrahlung im „Kleinen Fernsehspiel“ auf zahlreichen Festivals gezeigt und in Programmkinos ausgewertet. Die erste Staffel nahm im März 2003 mit dem großen Erfolg Berlin Is In Germany ihren Anfang. Susanne Irina Zacharias Sozialdrama „Hallesche Kometen“, ihr Diplomfilm an der HFF „Konrad Wolf“ in Babelsberg, ist nun Teil der dritten und letzten Staffel. Zacharias geht es bei ihrer Low-Budget-Produktion vor allem ums Loslassen, ums Weiterleben. So verbreitet sie eine sehr angenehme Art der Aufbruchsstimmung abseits der zynischen, auswendig gelernten Aufsagsprüche aus Wirtschaft und Politik.

    Ben (Hanno Koffler, Sommersturm) lebt zusammen mit seinem arbeits- und antriebslosen Vater Karl (Peter Kurth, Gespenster) in einer winzigen Wohnung in einer heruntergekommenen Plattenbausiedlung in Halle. Ben hat große Träume, er will Reisejournalist werden, hat sogar schon den Wettbewerb eines bekannten Magazins gewonnen, das gerne mehr Texte von ihm drucken würde. Aber seine Träume scheinen trotz seines Alters von Anfang 20 schon gestorben, die Lethargie seines Vater, den Ben nicht im Stich lassen will, verhindert einfach alles. Nur zu einem Job als Auslieferer von Prospekten hat Ben es bisher gebracht. Kurz nach der Wende hatte Karl seine Stelle als Polier verloren und konnte sich nur mit Gelegenheitsarbeiten und ABMs über die Runden retten. Der lebensbejahende Charakter seiner Frau hielt die Familie über Wasser und ließ sie ihren Platz in der neuen Gesellschaft finden. Aber nach ihrem Unfalltod vor über zwei Jahren brach für Karl die letzte Motivation weg, er fing an sich gehen zu lassen und die Wohnung nicht mehr zu verlassen. Für Ben steht nun die schwierige Entscheidung zwischen seinem Vater und einem eigenen Leben an.

    Zwei Ereignisse verstärken Bens Drang nach Freiheit noch zusätzlich. Zum einen verliebt er sich in Jana (Marie Rönnebeck), ein Mädchen aus gutem Hause, die für ein Jahr als Au-Pair nach Kanada will und Ben einlädt mitzukommen. Zum anderen steigt er bei den illegalen Zigarettengeschäften seines Freundes Ingo (Max Riemelt, Napola, Mädchen Mädchen 2) mit ein, was ihm genug Geld einbringt, um seine Reiseträume zu finanzieren. Mit allen Mitteln versucht Ben deshalb, sich endlich ein Stück Unabhängigkeit zu erkämpfen. Er besorgt seinem Vater sogar einen neuen Job, der aber versaut die Vorstellungsgespräche mit Absicht, ihn interessieren nur das Grab seiner Frau und sein eigenes Elend. Irgendwann wird es Ben dann aber doch zuviel und er lehnt sich gegen seinen Vater auf. Aber gerade aus dieser Konfrontation scheint für alle ein Fünkchen Hoffnung zu springen…

    Nach einem Alptraum sitzt der durchgeschwitzte Karl am Bett seines Sohnes und spricht den entscheidenden Satz des Films: „Ich schaff´ das nicht ohne dich“, bedeutet zehn Jahre Abstieg und Resignation, bedeutet aber auch die totale Verkehrung der Verantwortung. Immer wenn soziale Strukturen wegbrechen, haben die Jüngeren es natürlich leichter, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Das darf aber trotz aller Schwierigkeiten für die Elterngeneration nicht heißen, dass die Kinder die Last der Welt schon viel zu früh allein auf ihren Schultern tragen müssen. „Ben wird auf schmerzliche Weise bewusst, dass er nur Verantwortung für seine eigenen Träume übernehmen kann“, meint Regisseurin Zacharias dazu. Richtig stark wird die Umsetzung dieses Generationenkonflikts aber erst durch die genaue Darstellung des selbstzerstörerischen Vater-Sohn-Gespanns. Peter Hurth gibt Karl, der in seinem dreckigen Unterhemd oberflächlich wie ein billiges Hartz 4-Klischee aussieht, eine ungewöhnliche Tiefe. Und Hanno Hoffler gelingt als Ben der schwierige Spagat zwischen dem nach außen selbstsicheren jungen Mann, der cool schöne Frauen verführt und von der kleinen Schwester seines besten Freundes angehimmelt wird, und dem innerlich kurz vor dem Aufgeben stehenden, gebrochenen Charakter scheinbar spielend.

    Bei den Dialogen hält Zacharias einfach nur drauf, was für einen Debütfilm ohne große Mittel voll in Ordnung geht. Aber für die wortlosen Szenen, in denen es vor allem auf die Stimmungen ankommt, lässt sie sich dafür umso mehr einfallen. Besonders ein Moment, in dem Karl aus Versehen einen Dia-Projektor mit den Bildern seiner Frau umschmeißt, deren Gesicht dadurch auf dem Kopfkissen des Ehebetts zur Ruhe kommt, sticht heraus. Dass die Liebesszenen zwischen Ben und Jana durch ihre doch sehr weibliche Sicht ein wenig aus dem Film herausfallen, verzeiht man da gerne. Trotz allem Elend ertrinkt „Hallesche Kometen“ nicht wie so viele andere Filme, die sich ähnlicher Themen angenommen haben, in Sozialkitsch und falschem Mitleid, sondern reicht seinen Figuren eine helfende Hand. Sehr erfrischend.

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