Als vor einigen Wochen die wunderbare Cornelia-Funke-Verfilmung Die wilden Hühner in den Magazinen und Zeitungen besprochen wurde, schrieben viele Rezensenten, dass die Mädchen nun auch endlich ihren Bandenfilm à la Die wilden Kerle bekommen hätten. Wenn es wirklich stimmt, dass die „Wilden Hühner“ die weibliche Version von den „Wilden Kerlen“ sind, haben die Mädchen das beste Geschäft ihres Lebens gemacht. Waren nämlich schon die ersten beiden Kerle-Teile mit ihrer schwarzen Pädagogik (die Verlierer mussten als Strafe für ihr böses Verhalten Sklavendienste leisten) unerträglich, setzt der dritte Teil noch einen drauf. Das Ergebnis ist eine der abartigsten Kinderfilm-Produktionen, die es je auf eine Kinoleinwand geschafft haben.
Nachdem Leon (Jimi Blue Ochsenknecht) seine Mannschaft bei der historischen 25:1-Niederlage gegen das Nationalteam im Stich gelassen hat, haben sich Die wilden Kerle aufgelöst. Nur der kleine Nerv (Nick Romeo Reimann) glaubt noch an seine alten Helden und versucht mit Hilfe seines gefürchteten Seitfallziehers die erwachsen gewordenen Kerle wieder zusammenzubringen. Leons ehemals bester Freund Fabi (Constantine Gastmann, Das fliegende Klassenzimmer) hat unterdessen sein eigenes Team, die Mädchenmannschaft „Die biestigen Biester“, gegründet und fordert Die wilden Kerle zum Duell. Um in der Natternhöhle antreten zu können, müssen Leon, Vanessa (Sarah Kim Gries), Raban (Raban Bieling), Nerv, Juli (Konrad Baumann), Maxi (Marlon Wessel), Joschka (Kevin Iannotta), Marlon (Wilson Gonzalez Ochsenknecht) und Torwart Markus (Leon Wessel-Masannek) aber erst einmal 180 Kilometer auf ihren Bikes zurücklegen, wobei sie von Maxis Vater (Uwe Ochsenknecht, Elementarteilchen), Nervs Mutter (Claudia Michelsen, Maria an Callas) und vier düsteren Bodyguards verfolgt werden. Außerdem stellen auch die „Biestigen Biester“ immer wieder gemeine Fallen…
"Wir schießen euch sofort in die Hölle!“ Ursprünglich hatte die „Die wilden Kerle“-Reihe mal etwas mit Fußball zu tun, aber das Maß an gesundem Ehrgeiz ist mittlerweile so weit überschritten, dass das Ganze eher an Krieg erinnert – und der hat im Kinderzimmer einfach nichts zu suchen. In guten Kinder- und Jugendfilmen geht es um das Miteinander, in schwächeren geht es ums Gewinnen und in „Die wilden Kerle 3“ geht es nur noch darum, den Gegner fertig zu machen, ihn nach dem Sieg möglichst noch zu demütigen. Gegen die Kampfansagen vor dem Spiel zwischen den Kerlen und den Biestern sind Pressekonferenzen von Mike Tyson Baby-Fernsehen und sogar Todesdrohungen werden hier ausgesprochen. Dialoge wie “Das ist nicht fair!“ „Na und, wer spielt schon fair“ stammen hier nicht etwa von den bösen Kids, sondern von denen, die ein Vorbild für das jugendliche Publikum sein sollten. Wenn „Die wilden Kerle“ die Festung der „Biestigen Biester“, die einer „Mad Max“-Endzeitszenerie gleicht, stürmen, wird zwar nur mit Pfeffer und Kaugummis geschossen, die Waffen sind dabei aber teilweise so genau echten MGs oder anderem Kriegswerkzeug nachempfunden, dass man ernsthaft am gesunden Menschenverstand der Macher zweifelt. Und warum man sich gerade solche nicht unbedingt jugendfreien Klassiker wie Rollerball (1975) oder Uhrwerk Orange zum zitieren aussuchen musste, ist auch absolut unverständlich.
“Es wird Zeit, dass Du mal wieder der wirst, der Du mal warst“, sagt Erfinder Hadschi Ben Hadschi (Adnan Marak, Kebab Connection) und wirft Leon dessen alte Lederjacke zu. Es geht bei „Die wilden Kerle“ schon lange nicht mehr um die Geschichten, die erzählt werden, sondern nur noch um das antiautoritäre Image der jugendlichen Darsteller. So wird versucht, dass Franchise als eine Art „Tokio Hotel“ der Leinwand zu verkaufen. Aber sind wir wirklich schon soweit, dass wir jetzt auch schon von 14-Jährigen erwarten, dass sie in Lederklamotten rumlaufen und Macho-Rocker-Sprüche ablassen, bzw. die Mädchen knappe Amazonen-Outfits tragen müssen? Dass sex sells, ist eine ökonomische Wahrheit, aber der Playboy darf auch nicht an Minderjährige verkauft werden. Hinzu kommt, dass die versammelte Mannschaft anscheinend so sehr mit ihren Haaren beschäftigt ist, dass auch beim dritten Anlauf kein einziger Satz natürlich rüberkommt – es wird halt nur auf die Coolness geachtet.
Kurz nachdem Vanessa „Ich bin immer noch wild“ geschrieen hat, haut sie ihrer Box-Gegnerin so doll in den Magen, dass die sich vor Schmerzen auf dem Boden windet. Der letzte Song vor dem Abspann beginnt mit den Worten "Ich hasse Dich!“. Und Leon droht seinem Ex-Kumpel Fabi vor dem entscheidenden Spiel mit den Worten: “Ich mach Dich fertig, dann bist Du wieder mein Freund.“ Hier ist die Grenze von gesunder Rebellion zur blinden Wut schon lange überschritten. Hinzu kommt, dass der Film dieses Gefühl auch auf die Eltern der „Wilden Kerle“ überträgt. Diese werden nur als verachtenswerte Knallchargen dargestellt, die sogar vier Bodybuilder-Schergen auf ihre Kinder hetzen. Von Hilfestellungen der Eltern-Generation für ihre Kinder ist weit und breit keine Spur – natürlich sind viele Eltern nicht perfekt, aber sie wie hier unreflektiert als Feindbild darzustellen, ist stumpfsinniger, undifferenziert-antiautoritärer Käse. Und dann ist der Film auch noch so verlogen, dass er auf der einen Seite Hassparolen raushaut, auf der anderen die Kinder nur Schimpfworte à la beim heiligen Rotkohlbällchen in den Mund nehmen. „Die wilden Kerle 3“ ist einer der hasserfülltesten, pädagogisch verachtenswertesten und dümmsten Kinderfilme, die je gemacht wurden.