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    Wie eine Kugel im Lauf
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Wie eine Kugel im Lauf
    Von Björn Becher

    Die ersten Filme des japanischen Regisseurs Hiroyuki Tanaka, der gemeinhin unter dem Künstlernamen Sabu firmiert, haben ein gemeinsames Thema. Es geht um die Bewegung. Seine Figuren, meist Loser, sind immerzu in Bewegung, auf der Flucht oder der Jagd. In „Postman Blues“ (1997) radelt ein unbedarfter Briefträger, den die Polizei aufgrund von ein paar Zufällen erst für einen Drogenkurier, später für einen ausgebufften Profikiller hält, munter durch die Gegend und „Unlucky Monkey“ (1998) entfaltet seine Geschichte beginnend bei einem zu Fuß flüchtenden Bankräuber. Monday (2000) erzählt von einer ruhelosen, grotesken Suche nach den Erinnerungen der letzten Nacht. Und „Drive“ schildert die Erlebnisse eines pedantischen Regelungsfanatikers, der unfreiwillig zum Chauffeur von ein paar Bankräubern wird und diese mit dem strikten Einhalten aller Verkehrsregeln zur Verzweiflung treibt. Selbst der ruhige poetische Blessing Bell erzählt von einem Helden in Bewegung, auch wenn dieser sehr langsam durch die Gegend geht. Der ultimative Sabu-Film über Bewegung ist aber sein Debüt „Dangan Runner“, der in Deutschland auch schon unter dem Titel „Wie eine Kugel im Lauf“ im TV ausgestrahlt wurde.

    Drei Männer laufen. Sie laufen und laufen und laufen. Scheinbar endlos und für immer. Der eine ist Aizawa (Diamond Yukai, Lost in Translation), ein von allen Seiten belächelter Verlierer, der mit einem Bankraub ein Ausrufezeichen setzen wollte. Wie so oft in seinem Leben hat er versagt. Als er in einem Supermarkt eine Gesichtsmaske klauen wollte, wird er vom drogensüchtigen Ladenbesitzer Yasuda (Tomorowo Taguchi, Strange Circus) überrascht, der sich sogleich an die Fersen des flüchtigen Aizawa heftet. Bei einem Zusammenstoß unterwegs gibt es eine tote Frau, worauf sich auch der Nachwuchs-Yakuza Takeda (Shin'ichi Tsutsumi, Always - Sunset On Third Street) an der Hatz beteiligt. Denn Yasuda hat Drogenschulden bei Takeda und der ist außerdem gerade ganz schlechter Laune. Er hat soeben die Schuld am Tod eines Yakuzabosses auf sich geladen. So laufen die drei Loser immer weiter hintereinanderher, bald nicht mehr wissend, warum sie laufen, sondern nur noch um des Laufens willen.

    Die Handlungsentwicklung in Sabus Filmen kann man mit einem komplexen Bauwerk bestehend aus Dominosteinen vergleichen. Im Hintergrund ist das gesamte Fundament da, aber es wird gleich zu Beginn ein Stein angestoßen, der nach und nach die weiteren Steine mit sich reißt. So steht bei den meisten Werken des Regisseurs - mit Ausnahme von der Literaturverfilmung „Dead Run“ (2005) – ein groteskes Ereignis am Anfang, das eine Welle von weiteren grotesken Ereignissen nach sich zieht. Ein Dominostein purzelt nach dem anderen. Das Besondere dabei: Obwohl sich die einzelnen, eingangs erwähnten Filme alle ähneln, sind sie allesamt einzigartig. Auch wenn sich das Grundgerüst wiederholt, wird es immer anders aufgebaut und fällt auf andere Weise zusammen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Mischung aus schwarzem Humor, Melancholie und Poesie, die auch hier wieder funktioniert.

    Die drei Hauptfiguren rennen und rennen, wie man es aus kaum einem anderen Film kennt (oft genannter Vergleichsfilm ist der später entstandene Lola rennt) und stolpern dabei in kuriose Situationen. Der Humor ist dunkel, es gibt Tote und das Lachen bleibt so dem Betrachter das ein oder andere Mal im Hals stecken, kämpft sich aber immer wieder vor. Sicher, bei „Dangan Runner“ sitzt das Timing nicht immer ganz perfekt, aber das muss man bei einem Debüt eines jungen Regisseurs, zu dessen Vorbildern ganz offensichtlich auch Charlie Chaplin und vor allem Buster Keaton gehören, auch noch nicht erwarten.

    Die Inszenierung fügt die groteske Geschichte auf die richtige Weise zusammen. Zurückhaltend verzichtet Sabu darauf, mit irgendwelchem Bildfeuerwerk das Geschehen unnötig optisch aufzumotzen, stattdessen ist die Kamera ein gekonnter Beobachter, manchmal ein weiterer Mitläufer. Der Schnitt verbindet geschickt Handlungs- und Zeitebenen miteinander. Parallel zum Lauf der drei Verlierer zeigen kurze Rückblenden jeweils zu Beginn eines Laufs (bzw. auch noch in einer Art Prolog zum Film) die Niederlagen der drei und kurze Wegblenden auf die rachsüchtigen Yakuza, was für eine dunkle Zukunft sie erwartet.

    Gerade für Freunde des asiatischen Kinos muss es für „Dangan Runner“ eine Empfehlung geben, sozusagen ein Pflichtfilm für den Lehrplan des jungen japanischen Kinos. Wem die Leihgebühr oder der Kaufpreis trotzdem zu schade ist, sollte das TV-Programm im Auge behalten. Denn im Gegensatz zu den meisten japanischen Kollegen findet Sabu hier einigermaßen regelmäßig statt. So ein bis zwei seiner Filme findet man jährlich auf ARTE, im dctp-Nachtfenster auf VOX oder den dritten Programmen.

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