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    Ben - Nichts ist wie es scheint
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Ben - Nichts ist wie es scheint
    Von Ulrich Behrens

    Alles klar – jedenfalls für die öffentliche Meinung, die veröffentlichte Meinung und die ermittelnden Behörden. Sonnenklar. Glasklar. Eine junge Frau stürzt von einem Balkon in die Tiefe. Ein junger Mann rast die Treppen hinunter und hält sie in seinen Armen. Voraus ging ein Streit. Die junge Frau, Sina (Christine Heimannsberg), wird ins Krankenhaus gefahren. Sie liegt im Koma. Der junge Mann, Ben Philipp (Thomas Schaurer), wird verhaf-tet. Er muss von Polizisten überwältigt werden und wird in die Psychiatrie gebracht. Er scheint selbstmordgefährdet. Staatsanwalt Sundmann (Michael Marwitz) will eine schnelle Anklage wegen Mordversuch. Die in der forensischen Abteilung der Psychiatrie arbeitende Dr. Karin Kramer (Juliane Gibbins) soll ein Gutachten erstellen.

    Sonnenklar. Ben war eifersüchtig. Er glaubt, Sina habe ihn heimlich mit einem anderen Mann betrogen. Er hasst das Lügen. Er glaubt, Sina habe ihn belogen. Ben hasst seine leibliche Mutter, liebt seine jüngere Schwester Marie, Kind seines Vaters und seiner Stief-mutter. Ben hasst Frauen, die lügen. Einmal spricht er von Schlampen. Doch so einfach, ja fast schlicht und eindeutig ist kein Verbrechen, wie alle Beteiligten wissen und doch manchmal nicht wahrhaben wollen. Die Strafverfolgungsbehörden, auch das ist bekannt, ermitteln vor allem gegen den Beschuldigten, obwohl sie von Gesetzes wegen auch Indizien und Fakten sammeln sollen, die für den Beschuldigten sprechen. Die öffentliche Meinung ist, auch das ist bekannt, sehr schnell vom Schein der äußeren Ereignis-se gegen einen Verdächtigen eingestellt, obwohl der bis zum rechtskräftigen Beweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hat. Und die veröffentlichte Meinung braucht scoops, wie die Engländer sagen, Knüller als Aufmacher.

    Ausnahmen bestätigen die Regel. Alles spricht gegen Ben Philipp. Und ein Beschuldigter, der erst einmal in Untersuchungshaft oder hinter den schier unüberbrückbaren Mauern einer geschlossenen Abteilung sitzt, hat nur geringe Möglichkeiten, seine Unschuld zu beweisen. Darum geht es in Thomas Schaurers Debütfilm allerdings in erster Linie nicht. Es ist viel schlimmer. Ben fühlt sich schuldig. Hat er Sina vom Balkon gestürzt? Er glaubt, dass er bestraft werden müsse. Und er fühlt sich noch an vielem anderen schuldig. Ben ist jemand, für den Schuldgefühle sein gesamtes Leben zu beherrschen scheinen.

    In dem verschlossenen, mit großen weißen Kacheln getäfelten, fast leeren Raum in der Psychiatrie liegt er, hat Alpträume und verweigert sich Dr. Kramers Fragen, jedenfalls die ersten Tage. Dr. Kramer steht unter Zeitdruck; der Staatsanwalt drängt. Und Dr. Kramer ist gerade nach einem gemeinsamen Urlaub von ihrem Freund verlassen worden. Auch sie lebt in einem Raum, der fast leer ist; die Möbel hat ihr Ex mitgehen lassen.

    Allerdings lässt sich Karin Kramer nicht unter Druck setzen. Für sie ist Ben Philipp nicht irgendein Fall, zu dem sie irgendein Gutachten erstellen muss. Sie will die Wahrheit wissen, nicht nur über den tragischen Sturz Sinas, vor allem über Bens Biografie, seine Empfindun-gen, seine Belastungen. Sie ist – obwohl Ben in seiner Verzweiflung und Verschlossenheit dies anfangs nicht ahnt – das beste, was dem jungen Mann passieren kann. Und sie lässt nicht locker – bis spät abends redet sie mit Ben, der sich manchmal wieder verschließt, und dann doch wieder erzählt. In Bens Vergangenheit – so viel sei gesagt – gab es zwei Ereignisse, die sein weiteres Leben entscheidend bestimmten. Das eine war der Selbstmord seiner Jugendfreundin Jenny. Das andere ein Fall von Missbrauch.

    „Ben – Nichts ist wie es scheint” ist ein außergewöhnlicher Film. 1999 brachte Thomas Schaurer, Geschäftsführer des Weinguts Schaurer in Billigheim-Ingenheim, den Stoff über Ben erfolgreich auf die Theaterbühne. Er schrieb das Buch, führte Regie und spielte die Hauptrolle – so wie jetzt im Film. Der Erlös aus den Einnahmen der Theateraufführungen ging an den Kinderschutzbund Landau und den Landauer Hungermarsch. Dann kündigte er am 6. Mai 2003 in der Harald-Schmidt-Show an, er wolle aus dem Stoff einen Film drehen – sozusagen von Null auf Hundert. Ein Jahr später war es soweit, u.a. durch Unterstützung des Schauspielers Michael Marwitz, der den Staatsanwalt spielt, und die Gründung eines eigenen Verleihs, „Tom’s Film” (1).

    Herausgekommen ist ein Erstlingswerk, das sich durchaus sehen lässt. Schaurer selbst spielt Ben weitgehend überzeugend als verzweifelten Mensch, dem anzumerken ist, wie tragische Ereignisse in seiner Vergangenheit sein gegenwärtiges Verhalten bestimmen. In manchen Szenen wirkt Schaurer zwar etwas zu theatralisch. Das kann man ihm allerdings nachsehen, da sowohl der durchgehende Spannungsaufbau wie insbesondere das Zusammenspiel zwischen ihm und Juliane Gibbins kaum etwas zu wünschen übrig lassen. Oft wirkt die Inszenierung wie eine (durchaus gelungene) Mixtur aus dokumentarischem Protokoll und dramatischem Schauspiel. Die dramaturgische Grundidee des Films, dem äußeren Anschein eines tragischen Geschehens die wirklich zugrunde liegenden seelischen Nöte zu „entlo-cken”, wird bis zum Ende durchgehalten. Der dabei beabsichtigte aufklärerische Zweck, Menschen – in welcher Funktion auch immer – dazu zu bewegen, genau, sehr genau hinzu-schauen, wenn es um die Beurteilung solcher Fakten und Ereignisse geht, wird im Film nie in lehrhafter Weise oder gar mit dem berühmten Zeigefinger erreicht. Die Intention ergibt sich aus der Geschichte selbst.

    Schaurer gelingt es überzeugend, in der Entwicklung des Stücks die verbindenden Elemente zwischen Hass und Liebe, Schuld, Sühne, Hoffnungslosigkeit und Sehnsucht aufzudecken – vor allem, wie gesagt, durch das Zusammenspiel zwischen ihm als Ben und Juliane Gibbins. Die Rückblenden und visualisieren Alpträume Bens, die Schaurer in die Inszenierung einfließen lässt, sind sparsam eingesetzt und dienen lediglich der Veranschaulichung be-stimmter Momente aus Bens Geschichte, ohne den Fluss der Erzählung zu stören. Der Schein ermittlungstechnischer Wahrheitsfindung – so oft auch in wirklichen Verfahren zu finden – wird bloß gestellt – auch wenn mir die Person des Staatsanwalts im Film manchmal etwas zu holprig und klischeebeladen vorkam. Alles in allem ein Film, dem man – nicht nur wegen der Intention, die mannigfachen Folgen von Kindesmissbrauch zu verdeutlichen – ein breites Publikum wünschen sollte.

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