Wes Anderson bleibt sich treu. Von seinem Kurzfilm und dem (gleichnamigen) Langfilm „Bottle Rocket“ angefangen, über Perlen wie „Rushmore“, The Royal Tenenbaums oder zuletzt Die Tiefseetaucher schafft er es immer wieder, skurrile Charaktere in meist recht realitätsfremden Settings zu platzieren und daraus einen exzellenten Film zu formen. Die Geschichten, in deren Mittelpunkt meist eher gelangweilte, sehr reiche Amerikaner stehen, verzaubern einen schnell mit ihrem Spleen, unterhalten mit dem - oft auch sehr absurden - Humor, begeistern Dank des Dialogwitzes und sind perfekt inszeniert (wobei vor allem der Musikeinsatz heraussticht). „The Darjeeling Limited“ macht genau da weiter, legt aber sogar eine kleine Schippe drauf. Es findet sich noch etwas mehr Raum für sehr ernste Zwischentöne, die Anderson wohl dosiert und gekonnt zwischen seiner erneut absurd-komischen Geschichte platziert. „The Darjeeling Limited“ ist aber nicht komplett ohne „Hotel Chevalier“. Jener schon 2005 gedrehter, aber erst gemeinsam mit dem großen Bruder 2007 auf den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführter Kurzfilm wird von Anderson auch als „Part 1“ betitelt. Es ist die Vorgeschichte zu einem Charakter und dient dem Verständnis von dessen Handlungen in der Folgezeit.
In „The Darjeeling Limited“ gehen drei Brüder auf eine spirituelle Reise durch Indien. In einem Zug, dessen Name der Filmtitel ist, trifft Francis (Owen Wilson) zum ersten Mal seit der Beerdigung des Vaters auf seine Brüder Peter (Adrien Brody) und Jack (Jason Schwartzman). Der nach einem schweren (wohl selbst veranlassten) Unfall dem Tod gerade so noch von der Schippe gesprungene Francis hat die Brüder versammelt, denn er will sie auf der Reise zusammenführen. Alles hat er, unterstützt von einem Assistenten (Wally Wolodarsky), der sich auch irgendwo in dem großen Zug aufhält, minuziös durchgeplant. Jack und Peter müssen verwundert feststellen, dass sie Francis nicht einmal ihr Essen selbst bestellen lässt, sondern hier nach Ansicht der Speisekarte alleine entscheidet, was für jeden der drei das Richtige ist. Die ohnehin schwer belastete und brüchige Beziehung des Trios bekommt schnell weitere Risse, denn jeder trägt Geheimnisse in sich, die er nicht freiwillig beiden Brüdern preisgibt. Jack kam direkt aus Frankreich, wo er sich im „Hotel Chevalier“ versteckte, ihn seine Ex-Freundin (Natalie Portman) aber trotzdem fand (die Vorgeschichte). Obwohl er ihr klar machte, dass er sie nicht liebt, bestand sie darauf, ihn eine Nacht „durchzuficken“. Nun hängt er wieder an ihr und spioniert ihr mittels Abhören ihres Anrufbeantworters nach. Peter wird in wenigen Wochen Vater und spielt mit dem Gedanken, sich vor der Verantwortung zu drücken. Zudem müssen seine Brüder schnell feststellen, dass er die Erbstücke des Vaters wie die Sonnenbrille, den Rasierer und die eigentlich nutzlosen Autoschlüssel alleine besitzt. Und Francis weiß als Einziger, dass die Reise zu ihrer Mutter (Angelica Houston) gehen soll. Die lebt als Nonne im Himalaya und hat ihre Söhne schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen und scheinbar eigentlich auch gar kein Bedürfnis nach einer Zusammenkunft.
Doch damit erst einmal die drei Brüder zusammenfinden, müssen sie einige Abenteuer bestehen. Peter muss sich in die Boardstewardess (Amara Karan) verlieben, quäkende deutsche Mitreisende müssen zur Ordnung gerufen werden, Schuhe abhanden kommen, eine giftige Schlange das Zugabteil aufmischen, unzählige Zigaretten geraucht und Medikamente geschluckt werden und die ein oder andere Auseinandersetzung mit dem Bordschaffner (Waris Ahluwalia) bewältigt werden. Doch die wahre Prüfung wartet außerhalb des Zuges, wo ein tragisches Ereignis ihre Augen öffnet.
Die Botschaft vom Wiederzueinanderfinden dreier Brüder und der Kürze des Lebens, das es zu genießen gilt, mag dem ein oder anderen selbstverständlich erscheinen, doch Anderson verpackt sie erneut so wunderbar, dass sein Film einen schnell in den Bann zieht und zum Genuss wird. „The Darjeeling Limited“ erweist sich dabei erneut als kunterbuntes Bonbon voller Farben und Skurrilitäten und presst den Kosmos Welt dieses Mal nicht in ein Boot („Die Tiefseetaucher“), sondern in einen Zug. Trotz vieler Parallelen wiederholt sich der Independent-Regisseur aber nicht, sondern erzählt facettenreich aufs Neue über seine Lieblingsthemen. Die Kamera fährt - begleitet von wunderbaren, hauptsächlich aus den Sechzigern stammenden Musiktönen - über die Gesichter der drei Protagonisten, ihre genau gleichen Louis-Vuitton-Koffer (extra von Stardesigner Marc Jacobs entworfen), den Zug und die prächtige Landschaft Indiens, die eine wichtige Rolle spielt. Anderson scheint das Land und dessen (Kino-)Kultur zu lieben. Musikalische Elemente aus Bollywood-Filmen werden immer wieder dezent im Hintergrund eingesetzt (die dominierenden Musikanteile stammen dann aber doch aus westlichen Gefilden), einige indische Kinogrößen dürfen in kleineren Nebenrollen auftreten und die Aufnahmen entstanden natürlich direkt vor Ort und nicht in irgendwelchen Hollywoodnachbauten.
Wesentliches Element sind die drei Hauptdarsteller. Adrien Brody (Der Pianist, King Kong) ist zum ersten Mal in der Anderson-Familie und man wünscht sich sofort, er möge wiederkommen. Jason Schwartzman ist einer von Andersons ältesten Freunden und gemeinsam mit dem Regisseur ins Filmgeschäft gekommen. Der aus der großen Coppola-Familie stammende Ex-Musiker („Phantom Planet“) Schwartzman (Sohn von Rockys „Adrian“ Talia Shire, Neffe von Der Pate-Regisseur Francis Ford Coppola, Cousin von Sofia Coppola und Nicolas Cage) schrieb hier mit seinem Cousin Roman Coppola und Anderson zum ersten Mal auch am Drehbuch mit. Dritter im Bunde ist Owen Wilson, der hier die absolut beste Leistung seiner Karriere abliefert. Es ist zwar müßig solche Superlative zu bemühen, doch manches Mal sind sie angebracht und hier ist dies der Fall. Wilson ist in dem Spiel zwischen Komik und Tragik, zwischen großem Bruder und kleinem Kind, voll in seinem Element. Eine tragische Beinote bekommt seine Performance allerdings durch die Realität. Sein Spiel als tablettensüchtiger Neureicher, der einen Motorrad“unfall“, welcher wohl absichtlich herbeigeführt wurde, nur mit unglaublich viel Glück überlebt hat, wird überschattet von einem Selbstmordversuch des Schauspielers Owen Wilson. Nur wenige Tage vor der Weltpremiere von „The Darjeeling Limited“ in Venedig wurde er dem Tode nahe in ein Krankenhaus in Los Angeles eingeliefert. Die Gründe für den Selbstmordversuch waren wohl Depressionen und Drogensucht, auch hier eine bittere Parallele zur Fiktion.
Für die anderen Darsteller bleibt neben den drei omnipräsenten Schauspielern der Brüder (die auffällig oft zum dritt im Close-Up gezeigt werden) kaum Platz. Angelica Huston hat von den großen Namen mit wenigen Minuten, die sie sehr stark füllen kann, noch die meiste Leinwandzeit. Bill Murrays Auftritt beschränkt sich auf die Eröffnungsszene und eine kleine Einblendung in einer erstklassigen Charaktercollage. Ob er übrigens wirklich den verstorbenen Vater der Brüder spielt, wie es einige Kritiken und Vorabinformationen behaupten, lässt Wes Anderson unklar. Es wäre zwar zum einen logisch und auch die Eröffnungsszene, in welcher er gemeinsam mit Peter dem „The Darjeeling Limited“ nachhetzt (ihn aber nicht erreicht), widerspricht dem nicht, da es auch die besondere Verbindung zwischen Vater und „Lieblingssohn“ aufzeigen könnte, deutlich wird es aber nie. In den Credits listet Anderson Murray konsequent auch nur als „The Businessman”. Natalie Portman darf schließlich ihr hübsches Antlitz wirklich nur wenige Sekunden in der bereits angesprochenen Charaktercollage zeigen, trotzdem ist sie irgendwie den ganzen Film über präsent. Die Verantwortung dafür trägt ihre nachdrückliche Vorstellung im starken Kurzfilm „Hotel Chevalier“, wo sie cool und verführerisch wie nie Jason Schwartzman um den Verstand bringt.
Wes Anderson wird sich mit „The Darjeeling Limited“ keine neuen Fankreise erschließen können. Wer mit den bisherigen Filmen nichts anfangen konnte, die Story, die skurrilen Charaktere oder den Humor bemängelte, wird auch kein Anhänger des neuesten Werkes werden. Für die zahlreichen Kinogänger, die schon den Vorgängern Erfolg beschert haben, ist „The Darjeeling Limited“ allerdings ein Pflichtbesuch, denn es ist ein neues kleines Meisterstück eines verspielten, aber etwas reifer gewordenen Regisseurs. Schon jetzt ein Kandidat für ein paar Oscarnominierungen.