Was tun, wenn in ein geordnetes, geradezu minutiös geplantes und in resignativem Einvernehmen geregeltes Leben plötzlich von heute auf morgen jede Menge Freiheit kommt? Das gut funktionierende Rädchen Rolf Köster kommt durch einen unvorhergesehenen Sonderurlaub völlig von der Rolle – und findet eine neue. Nachwuchsregisseurin Neele Leana Vollmar erzählt in „Urlaub vom Leben“ eine Komödie über eine im besten Sinne tragische Figur mir erstaunlichem Gespür für Details und kleine Gesten. In den anrührend unperfekten Handlungen der Personen erkennt sich jeder wieder und fühlt sich verstanden.
Rolf Köster (Gustav Peter Wöhler) ist ein Mensch, der hinter seinen Attributen verschwindet: Ende vierzig, verheiratet, zwei Kinder, seit 16 Jahren Bankangestellter. Was ihn ausmacht, weiß er ebenso wenig, wie er seine Familie wirklich kennt. Seine 11-jährige Tochter schreibt mehr, als sie spricht, während der 7-jährige Sohn ständig einen Helm tragen will. „Doch darum kümmert sich meine Frau, ich bin lediglich für den Hintergrund zuständig.“ Dort hält er sich auch am liebsten auf und begehrt nichts weiter vom Leben, als dass alles ohne Erschütterungen so weiter läuft. Sein Leben läuft im gleichen Kreis wie er, wenn er seine morgendlichen Runden auf dem Sportplatz dreht - ohne ersichtlichen Grund, doch es macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Wortwörtlich muss er sich auskotzen – zuerst beim gleichmäßigen Laufen, dann in der Bank. Weder mit dem Rat des Arztes, sich fünft Dinge zu notieren, die ihn glücklich machen, noch mit dem Angebot seines Chefs, sich einfach mal eine Woche Auszeit zu nehmen, kann er etwas anfangen.
Er macht weiter wie bisher, stapft morgens Richtung Bank, meidet die wirkliche Nähe zu seiner Familie und zu Menschen überhaupt und versucht, seinem Urlaub zu entgehen, wie vorher dem wahren Leben um ihn herum. Doch die unkonventionelle Taxifahrerin Sophie (Meret Becker) macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Sie nimmt ihn mit auf ihren Wegen durch die Stadt und öffnet mal mit Fragen, mal mit Schweigen seine Membranen für die Welt um ihn herum. Zunehmend wird er neugierig. Auf seine Frau, seine Kinder, seine Kollegen und Kunden. Die aufregendsten Entdeckungen, die Rolf in dieser Woche macht, liegen in ihm selbst: seine feine Beobachtungsgabe, seine Hilfsbereitschaft, seinen Humor. Am Ende dieser besonderen Urlaubswoche ist kaum mehr etwas so, wie es vorher war und Rolf weiß seit langem das erste mal wieder nicht, was der nächste Tag bringen wird.
Die junge Bremerin Neele Leana Vollmar setzt mit ihrem ersten Langfilm, ihrem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, eine schon seit der Schulzeit permanente Beschäftigung mit dem Medium Film fort. Aufsehen erweckte sie mit ihrem sehr erfolgreichen Kurzfilm „Meine Eltern“, der bei den Internationalen Hofer Filmtagen den Eastman Förderpreis und auf zahlreichen anderen internationalen Festival Preise von Jurys und Publikum gewann. Mit Gustav Peter Wöhler konnte sie einen wunderbaren Darsteller von beiden Projekten überzeugen, der durch sein genaues Spiel seine in feinen Nuancen sich entwickelnde Figur aus dem Drehbuch mit Präsenz auf der Leinwand erfüllt. Die Gemütslage eines lebendig in den selbst gemachten Sachzwängen begrabenen Grüblers wird fühlbar, wenn Köster mit verständnislos skeptischer Mine in einem Marktforschungsinstitut sitzt und nicht einmal zu probieren wagt, ob das fragliche Produkt nun sinnlich, betörend oder prickelnd schmeckt. Ein einziger Blick, eine winzige Geste genügt, um deutlich zu machen, dass dieser Mann mit keinem der Begriffe eine Empfindung zuordnen kann. Mit Meret Becker begleitet ihn eine der profiliertesten Darstellerinnen des deutschen Kinos, die ihre Rollen ganz bewusst auswählt. Ihre Figur, die wie eine zuweilen burschikose Fee dem verblassten Mann in den besten Jahren wieder Farbe in die Welt zaubert, bleibt am Schluss rätselhaft. Dass sie von Beginn an ein dunkles Geheimnis birgt, bleibt nur dem aufmerksamen Zuschauer nicht verborgen, der die Momente der verschlossenen geistigen Abwesenheit der ansonsten herzerfrischend lebensfrohen Taxifahrerin als Zeichen liest. Petra Zieser bekommt auf der Leinwand Gelegenheit zu zeigen, dass mehr in ihr steckt, als beim Fernsehen als Schauspielerin oft möglich ist. Der Part des skurrilen Nachbarn, der hinter seinen exzentrischen Marotten große Einsamkeit verbirgt, ist Lars Rudolph wie auf den Leib geschrieben.
Vollmar hat Gespür für die wahre Dramatik der Geschichten, die das Leben schreibt. Hinter sauberen Häuserfassaden wird schmutzige Wäsche angehäuft, die die Luft verpestet, weil man sich weigert, sie zu waschen. Wie sehr man sich und anderen das Leben damit vergiftet, deckt die junge Regisseurin ohne Beschönigung auf, ohne ihre Figuren für ihre Schwächen zu verurteilen. Genau dadurch berührt sie den Zuschauer, der sich selbst vorgeführt wird, ohne sich dabei ertappt fühlen zu müssen. Diese inhaltliche Sicherheit wünscht man dem hoffnungsvollen Nachwuchs auch in formaler Hinsicht. Erfreulicherweise hat sie nicht den Drang, jedes Geschehen überdeutlich ins Bild zu rücken. Der Mut zur wirklichen Ellipse, die den Film im Kopf des Zuschauers weiter laufen lässt, fehlt noch. Pascal Schmit an der Kamera wählt seine Gestaltung durchdacht, ohne sich aufdringlich in den Vordergrund zu spielen. Für die große Kinoleinwand würden bombastischere Bilder keineswegs schaden, sondern die visuelle Wirkung des Augenmediums Film stärker zur Geltung kommen lassen. Mit etwas mehr Geld für die nächste Produktion ist vielleicht auch da etwas mehr drin. Dann kann die Regisseurin beweisen, ob sie ihre warmherzigen Geschichten formal über ihr Sujet des Alltäglichen hinausheben kann.