Die erste Begegnung des jungen Obdachlosen Lucas mit dem griesgrämigen Barbesitzer Jacques gibt die Richtung vor, die der Isländer Dagur Kari mit seinem melancholischem Drama „Ein gutes Herz" einschlägt: Mit einem Schuss Ironie und dem für ihn typischen trockenen Humor begegnet der „Dark Horse"-Regisseur seinen skurrilen Protagonisten. Jacques Bitte, den Rauchmelder abzuschalten, damit er nach einem Herzinfarkt erst einmal gemütlich eine qualmen kann, ist lediglich die erste von vielen Herausforderungen an seinen selbstmordgefährdeten Zimmernachbarn. Leider wird dem Film - trotz der guten Darsteller und allerlei absurden Situationen - schließlich sein Hang zum Kitsch zum Verhängnis.
Jacques (Brian Cox) und Lucas (Paul Dano) haben trotz ihres so unterschiedlichen Wesens eines gemeinsam: Sie sind zum Außenseitertum verdammt, gewollt oder ungewollt isoliert von ihren Mitmenschen. Die beiden treffen das erste Mal im Krankenhaus aufeinander. Während sich der ständig unter Strom stehende Barbesitzer seit Jahrzehnten zugrunde richtet und seinen fünften (!) Herzinfarkt auskuriert, wird Lucas nach einem misslungenen Selbstmordversuch behandelt. Sein Motiv ist so simpel wie deprimierend: „Wenn es um das Überleben des Stärkeren geht, bleibt mir nichts anderes übrig, als das Handtuch zu werfen." Doch mit der seltsamen Begegnung soll für den bemitleidenswerten Jungen ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Jacques nimmt ihn auf und sieht in ihm seinen Nachfolger hinter dem Tresen. Die Ausbildung des weltfremden und scheuen Lucas gestaltet sich schwierig, doch der Junge lernt mit der Zeit: Die Stammkunden sind nur zum Zahlen da, Frauen taugen nichts und neue Barbesucher können auf gar keinen Fall geduldet werden. Das freundschaftliche Verhältnis reift, Jacques scheint den geeigneten Mann gefunden zu haben. Doch als eine verwirrte Stewardess (Isild Le Besco) in die Bar stolpert, wird der Alltag der beiden plötzlich auf den Kopf gestellt...
Es ist schon ein sehr ungewöhnliches und ungleiches Duo, das Dagur Kári da auf den Zuschauer loslässt. Die Charaktere, die Brian Cox („R. E. D.") und Paul Dano („There Will Be Blood") hier entwerfen, lassen sich nicht gerade als lebensfrohe Sympathieträger bezeichnen. Interessant erscheinen sie vor allem, weil das Leben es nicht gut mit ihnen meint und nur die ungewöhnliche Freundschaft ihrem Dasein neuen Sinn einhaucht. Dies klingt nicht nur ziemlich niederschlagend, das ist es zu großen Teilen auch. Denn selbst wenn die Geschichte vom derben skandinavischen Humor durchtränkt ist, bringt der Zuschauer doch gehörig Mitleid für die beiden geschundenen Seelen auf.
Der erfahrene Brian Cox verleiht Miesepeter Jacques trotz aller negativen Voraussetzungen Glaubwürdigkeit und Wärme. Es ist köstlich, ihm dabei zuzusehen, wie er versucht, beim Lauschen einer Entspannungs-CD abzuschalten. Überzeugen kann Cox vor allem als unantastbarer Mann hinter dem Tresen. Als hätte der schottische Schauspieler nie etwas anderes gemacht, hat er seine Stammkunden voll im Griff. Paul Dano unterhält als schräger und viel zu gutmütiger Lucas, auch wenn seine nicht gerade intelligenten Entscheidungen manches Mal für Kopfschütteln sorgen. Seine Gestik ist bemerkenswert. Schade, dass der Film den Charakteren keinen wirklichen Hintergrund gewährt und so die Beweggründe der beiden nur selten plausibel erscheinen. Die ständigen Mitglieder der Stammrunde (darunter Damian Young aus „Californication" und der dänische Superstar Nicolas Bro) und ihre Alltagsgeschichten präsentieren sich als gelungene Abwechslung. Isild Le Besco („Die Unsanfte") als Flugbegleiterin mit Flugangst und Zukunftssorgen (übrigens ein Paradebeispiel für den etwas bemühten Humor des Films) weckt trotz ihres verrückten Lebenslaufs nur wenig Interesse für sich.
Das Drama ist in einer wenig einladenden Spelunke in einem kalten und farblosen New York vergangener Tage angesiedelt. Die Umgebung wirkt, als könnte sie auch mitten in Island liegen. Diese Atmosphäre prägt die Geschichte ungemein. Auch die Barbesucher sind allesamt abgewrackte Gestalten. Gibt es denn gar keinen Weg aus dieser Depression? Doch den gibt es! Denn im Schlussdrittel greift Dagur Kári tief in die Kitsch-Trickkiste und krönt seinen Spurwechsel ins Sentimentale mit einem Schlusstwist wie aus dem Märchenbuch.
Fazit: Schade, dass Regisseur Kári ohne glaubhaften Übergang direkt von tiefer Frustration in märchenhafte Romantik überwechselt und dabei keinerlei Grauzonen zulässt. So sorgen vor allem die starken Schauspieler für Lichtblicke in dieser meist düsteren und dann plötzlich doch zuckersüßen Welt.