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    Frozen angels
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Frozen angels
    Von Björn Becher

    „Es ist zu einer amerikanischen Handelsware geworden, die wir ins Ausland liefern. So wie wir Blockbuster-Filme aus Hollywood liefern, versenden wir auch Sperma von blonden, blauäugigen, amerikanischen Möchtegern-Schauspielern. Und so entsteht ein neuer Imperialismus, bei dem amerikanisches Sperma rund um den Globus geht, Dritte-Welt-Länder eingeschlossen, um hellhäutige, blonde Kinder zu produzieren.“ (Lori Andrews, Juristin und Expertin für Biotechnologie)

    Als früher kleine Kinder ihre Eltern nach der Herkunft von Babys fragten, wurde wohl oft die Mär vom Klapperstorch bemüht. Heute sind die Eltern wahrscheinlich schon ehrlicher, sagen den Kleinen Phrasen, die meist mit „Wenn der Papa und die Mama sich ganz arg lieb haben…“ beginnen und erklären dann den Größeren, wie das „ganz arg lieb haben“ denn aussieht, obwohl diese es wohl sowieso schon aus der BRAVO oder aus dem Freundeskreis wissen: Damit Babys entstehen, braucht es Sex! Doch diesen Satz muss man wohl mittlerweile als falsch deklarieren, zumindest als unvollständig. Denn es gibt mittlerweile deutlich mehr Möglichkeiten um Kinder zu bekommen als nur der gute alte Geschlechtsverkehr.

    Amy und Steve, zwei der Protagonisten aus dem Dokumentarfilm „Frozen Angels“, erwarten Nachwuchs, dabei ist Amy nicht mal schwanger und Sex spielte auch keine Rolle. Stattdessen sind eine Leihmutter und die Wissenschaft der Grund dafür, dass die beiden sich bald ihren Traum von einem Kind erfüllen dürfen. Kim Brewer ist die Leihmutter, professionell vermittelt durch die Agentur des Radiomoderators Bill Handel. Dessen Job beim Radio ist die perfekte Werbeplattform für Leihmütter und In-Vitro Befruchtung. Sex haben um Kinder zu kriegen ist für Bill Handel nicht nur grotesk, sondern fast schon pervers, wie er – nur halb im Scherz - sagt. Er selbst hat zwei Kinder, Zwillinge, die künstlich gezeugt wurden. Er philosophiert darüber was schon möglich ist. Welche Auswahlkriterien es schon bei den Samenspendern und den Leihmüttern gibt. Inwieweit man dadurch schon Einfluss auf die Entwicklung seines Kindes nehmen kann. Dass es schon biologisch möglich ist, das Geschlecht des Kindes festzulegen, was er auch gemacht hat. Bei ihm gab es allerdings Streit mit seiner Frau um das Geschlecht des Kindes. Sie warfen eine Münze, seine Frau gewann. Nun hat er zwei Töchter. Die Groteske seiner vorbestimmten Wahl, die letztlich auch nur auf dem Zufall des Münzwurfs basiert, erkennt er nicht. Er sieht auch kein Problem darin, genetisch das Leben seiner Kinder verlängern zu lassen. 20.000 Dollar für 20 Jahre längeres Leben der Kinder würde er sofort zahlen. Als er gefragt wird, wie es für ihn mit Auslese und Genmanipulation ausschaut, wird er allerdings nachdenklich. Bill Handel ist Jude, seine Großeltern haben den Holocaust nicht überlebt. Von Auslese und Genmanipulationen hat auch Adolf Hitler (nicht nur) geredet.

    Bill Handel ist nicht der Einzige, der in Los Angeles Geld mit den Kinderwünschen anderer verdient. Los Angeles ist die Metropole der gestrandeten Filmsternchen. Junge Frauen, die von der großen Karriere träumen, sie aber nicht erreichen. Einige Landen bei der Agentur von Shelley Smith. Diese vermittelt Eierspenderinnen. Kari ist – man muss es so sagen – das beste Pferd im Stall. Sie ist groß, blond, blauäugig und dazu noch intelligent. Das was sich Eltern an Erbmaterial für das Kind wünschen.

    Cappy Rothman ist Direktor einer Samenbank. Unmengen von Spermien, Embryos und Stammzellen sind bei ihm eingefroren, sortiert nach Rasse. Weißes Röhrchen für Weiße, schwarzes Röhrchen für Schwarze, gelbes Röhrchen für Asiaten und ein Röhrchen in orange für „gemischt-rassige“ Spender. Rothmans Samenbank ist einer der größten Kunden von FedEx, denn der Fortschritt ist nicht mehr aufzuhalten. Man kann schon über das Internet bestellen, am nächsten Morgen wird zugestellt. Bald müssen Eltern also vielleicht auf die Frage, woher die Babys kommen, mit „aus dem Internet“ antworten oder vielleicht sogar von Toten? Rothman ist noch weiter gegangen, er ist federführend in der Forschung der Post-Mortem-Samenentnahme. Er hat schon einem Toten dreißig Stunden nach dessen Tod noch verwertbaren Samen entnehmen können, mit dem vier Jahre später ein Kind gezeugt wurde. Dem nicht genug rät Rothman der US-Army die Anlegung eigener Samenarchive. Eins für die Army, eins für die Navy, eins für die Air Force und auch die Küstenwache wird nicht vergessen. Fällt der Mann im Krieg, kann sich die Ehefrau immer noch den Kinderwunsch erfüllen.

    Für Gregory Stock sind das nur Anfänge, er denkt schon viel weiter. Er spricht von „Upgraden“, dem „Ein- und Ausschalten von Gen-Modulen“ und erwartet den ersten geklonten Menschen in wenigen Jahren. Nicht jeder kann so hoffnungsvoll der Zukunft in dieser schönen, neuen Welt entgegenblicken wie Gregory Stock. Die Anwältin Lori Andrews sieht das ganze deutlich zwiegespaltener. Sie verurteilt das Geschäft, welches schon heute mit Patenten auf Gene gemacht wird und hat Angst vor eine Welt, die vielleicht neu, aber nicht für alle schöner sein wird. Eine Welt, in welcher der Geldbeutel entscheidet, ob man sich „upgraden“ lassen kann, wie es Gregory Stock formuliert. Eine Welt, in der so die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander klafft und es irgendwann vielleicht zwei Sorten von Menschen gibt, die nebeneinander her leben.

    All diese Personen (und noch einige mehr) kommen in dem Film von Frauke Sandig und Eric Black zu Wort. Die beiden Filmemacher lassen dabei die Menschen vor der Kamera sprechen, offen ihre Ansichten äußern und enthalten sich selbst des Kommentars. Die Filmemacher bleiben immer auf Distanz zu den Menschen vor der Kamera. Diese Nüchternheit verhindert, dass die Forscher, Leihmütter, verzweifelten Paare mit Kinderwunsch,… lächerlich gemacht werden, sondern offen sagen können, was sie denken. Der Film wertet nicht über sie. Dem Zuschauer wird es so abverlangt, die Äußerungen selbst einzuordnen. Wie viel Eingriff der Wissenschaft wollen wir in diesem Gebiet? Wo sollte uns die Ethik Grenzen setzen? Es sind Fragen, die der Film nicht beantwortet. Er gibt dem Zuschauer nur Eindrücke an die Hand, welche dieser zur Beantwortung seiner Fragen heranziehen kann.

    Die meisten Zuschauer werden sich sicher nicht dem Standpunkt von Gregory Stock anschließen, dafür ist „Frozen Angels“ ein zu erschütternder Film. Vieles klingt nach Science-Fiction, nach Aldous Huxley, nach Schreckenszukunft und doch ist es schon real. „Frozen Angels“ ist keine Science-Fiction, „Frozen Angels“ ist eine Dokumentation, bei der man sich oftmals nur wünscht, man sehe Science-Fiction. Frauke Sandig und Eric Black sind sich dessen bewusst und unterstreichen dies mit ihrer Bebilderung. Der Film ist exzellent photographiert und die Bildmontage ist eindrucksvoll. Da werden Bilder von unzähligen Windmühlen und Öl-Raffinieren zwischen die Aussagen der Mitwirkenden montiert. Das ganze wird in kalten Tönen gehalten, bei denen sich die Filmemacher nach eigener Aussage an Filmen wie Blade Runner orientiert haben. Auch die Montage erinnert gewollt an Spielfilme, z.B. an Paul Thomas Andersons Magnolia oder Robert Altmans Short Cuts. Das ergibt einen Bilderstrudel, dem man sich nur schwer entziehen kann, der aber auch öfters vom eigentlichen Thema ablenkt.

    Sanig und Black stellen bisweilen die Form ihres Films etwas zu stark in den Vordergrund, wodurch der Inhalt ganz automatisch in den Hintergrund gerückt wird. Das hätte der Film gar nicht nötig, wie sich in vielen Szenen zeigt, in denen die Bildmontage perfekt als Unterstreichung der Aussagen funktioniert. Dann gäbe es nämlich noch mehr brillante Momente, wie zum Beispiel die Auftritte von Doron Blake, vor über zwanzig Jahren aus einer Nobelpreisträger-Samenbank hervorgegangen, mit einem IQ von 180 ausgestattet und mit seiner Mutter umgeben von Hunden in einer alternativen Heimstätte lebend. Wenn die Amerikaner die Gene ihre Kinder bestimmen können, dann wird kaum einer sich für den intelligenten Bücherwurm entscheiden, sondern der Typ Sportskanone wird gewählt, so Blake. Oder doch die gut aussehende Blondine mit den blauen Augen, wie zum Beispiel Kari. Schöne neue Welt…

    „Es kann mir egal sein, ob meine Nachbarin ihr Kind durch künstliche Befruchtung bekommt. Aber wenn sie es sich leisten kann, ihr Kind durch Genmanipulation klüger zu machen, werden meine Kinder im Vergleich dazu heruntergestuft. Wir werden vor Regierungen geschützt, die eine Eugenik-Politik betreiben – aber die Eugenik hat sich längst durch die Hintertür hereingeschlichen, durch Privatpersonen, die sich dazu entscheiden, ihre Kinder ‚aufzuwerten‘.“ (Lori Andrews, Juristin und Expertin für Biotechnologie)

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