Die raue Atmosphäre der Unterwelt und ihrer Fadenzieher sind ein klassisches Revier für die Erkundung von Werten wie Freundschaft, Vertrauen und Loyalität. Im Stil des Genreklassikers Internal Affairs aus dem Jahre 2002 führt Wong Ching-Po in „Blood Brothers - Jiang Hu“ sein Publikum auf undurchsichtigen Wegen ins Innere dieses Universums. Mit wohl überlegter Bildgestaltung erzählt er die Geschichte zweier Freunde im Gangster-Milieu zwischen archaischen Motiven und moderner Gesellschaft.
Der erfahrene und ruhig agierende Gangsterboss Hung (Andy Lau) steht vor einer weit reichenden Entscheidung: Soll er seine Frau Emily (Wu Chien-Lien) und den neugeborenen Sohn den Risiken eines kriminellen und gewalttätigen Umfeldes aussetzen oder sich lieber ins sichere Neuseeland absetzen und dort das Familienglück genießen? Sein langjähriger Freund und „Geschäftsführer“ Lefty (Jacky Cheung) sähe am liebsten ihn in der fernen Sicherheit und sich selbst auf dem Chefsessel. Vorher jedoch gilt es, drei aufmüpfige Ganoven aus dem Weg zu räumen, die zwei junge Killer (Shawn Yue und Edison Chen) auf Hung angesetzt haben, die sich durch den Auftragsmord einen Namen in der Szene verschaffen wollen. Während die gnadenlosen Männer fürs Grobe in den Straßen von Hongkong ihren Auftrag erledigen, setzt sich Hung mit Lefty an der Tafel ihres eigenen Restaurants zusammen, um ihm eine Lektion über wahre Führungsqualitäten zu erteilen.
Regisseur Wong Ching-Po fängt das Lebensgefühl derer, die sich in Hongkongs Unterwelt einen Platz zu ergattern suchen, in seiner Dramaturgie gut ein. Mehrere Stories scheinen unabhängig voneinander abzulaufen, ohne dass man als Zuschauer einen schlüssigen Zusammenhang herstellen kann. Das Gewicht liegt zunächst bei den aufstrebenden Jugendlichen, die ihre Zukunft trotz der ihnen wohl bekannten Härte und Unbarmherzigkeit im Gangstermilieu sehen. Zunehmend verlagert sich der Fokus auf den etablierten Boss Hung und seinen treuen Gefährten Lefty, der diesen Spitznamen dem Verlust der rechten Hand verdankt. Die lebenslange Freundschaft der Männer droht an den Sichtweisen auf die Regeln ihrer Welt zu zerbrechen. Während Lefty sich darin gefällt, kaltblütige Angst zu verbreiten, setzt Hung Gewalt gezielt ein, um sich Loyalitäten zu sichern. Mit einer suggestiv wirkenden Kamera wird aus dem feierlichen Essen der plötzlichen Kontrahenten ein spannendes Duell. Dass der Konflikt ausschließlich mit Worten geführt wird, erhöht die Intensität und wirkt unerbittlicher als jede Waffe. Wie Kain und Abel sitzen die beiden an der Tafel, an der es letztlich um Leben und Tod geht. Parabelhaft wie diese sind auch viele andere Elemente des Films aufzufassen, der sich damit von fantasielosen Gangsterfilmen abhebt und in die Tradition asiatischer Filme einreiht, die schonungslose Gewalt gerne mit existentiellen Fragestellungen verknüpfen.
Den Kontrast zwischen der aufgeregten Welt der modernen Großstadt und der seltsam ruhigen Geschäftswelt der Gangster akzentuiert die musikalische Begleitung, die viel zur Atmosphäre des Films beiträgt. Im Zusammenspiel mit der Wahl der vorherrschenden Farbtöne weist sie den beiden Welten jeweils eigene Stimmungen zu. Dabei wird klar, dass hinter der so andersartigen Oberfläche doch ähnliche Wertigkeiten stehen bzw. dass die Haltungen von Gangstern alle dargestellten Bereiche des Lebens unterwandern. Dass süße Girl aus der Disco erweist sich als hoffnungslos überschuldete Prostituierte, der Geld wichtiger sein muss als Gefühle. Die Mutter, die ihren jungen Sohn vor dem Einzug ins Gangsterleben warnt, ist es letztlich, die ihm Zugang zu den Waffen verschafft. Bei Ching-Po wird sich das Karussell der Gewalt weiter drehen, und doch halten manche Werte ihre Stellung. Diese feine Balance bringen die Darsteller mit wenigen Zuckungen in den meist erstarrten Gesichtern zum Ausdruck. Für Freunde des Gangsterfilms und solche, die es werden wollen, ist „Blood Brothers“ gerade wegen seiner stillen Weise sehenswert und hat ästhetisch und inhaltlich mehr zu bieten als viele seiner Genrekollegen.