„Ich streife durch die Straßen New Yorks...“, so beginnen die Shows der Radio-Moderatorin Erica Bain (Jodie Foster): Reflexionen über eine Weltmetropole, eine Stadt, die immer in Bewegung und voller Leben ist, was sie während ihrer Streifzüge durch die Großstadt mit einem Mikrofon einzufangen versucht. Erica ist erfolgreich in ihrem Job, zufrieden mit sich selbst und überglücklich mit ihrem Verlobten David (Naveen Andrews). Aus dieser Idylle wird sie brutal herausgerissen, als sie, ihr Hund und David bei einem nächtlichen Spaziergang von einer Straßengang grundlos zusammengeschlagen und misshandelt werden. Als Erica Wochen später aus dem Koma erwacht, bekommt sie die entsetzliche Nachricht überbracht: David hat den Überfall nicht überlebt.
Als die Polizei auch nach Wochen kein Erfolg bei der Suche nach den Tätern erzielt und Erica sich von dem Gesetz im Stich gelassen fühlt, kehrt sich ihre Verzweiflung in Wut um. Sie kauft sie sich eine Waffe, und beginnt erneut ihre Streifzüge durch New York – nur diesmal als zunehmend kompromissloser werdender Racheengel, der die nächtlichen Straßen von New York vom Abschaum befreit...
Die Story klingt sehr nach „Eine Frau sieht rot“, nach einem üblichen Rachethriller mit üblichem Storymuster. Und tatsächlich, unter der Oberfläche der aufgesetzten Moral ist sie das auch.
Handwerklich ist „Die Fremde in Dir“ makellos, sowohl der Spannungsaufbau, als auch die gelackten Bilder erzeugen eine düstere, kühle Atmosphäre, eine perfekte Voraussetzung für entweder eine meditative Auseinandersetzung mit der Gewalt einer Millionenstadt, in der verschiedene Welten und Kulturen aufeinanderprallen, oder eben für einen perfekten Thriller. Doch was hinter der Hochglanzoptik steckt, ist eher banal. Gleich zu Beginn nerven Jodie Foster und ihr eher hölzern agierender Co-Star Naveen Andrews („Lost“) ziemlich, wenn sie sich in Daily-Soap-Manier unerlässlich den süßesten Honig ums Maul schmieren, was dem Zuschauer zweifelsohne der beiden unendliches Glück suggerieren soll. Auch ohne dieses unnötige, überzogene Geplänkel hätte die darauf folgende Überfall-Szene nichts von ihrer Intensität eingebüßt, ist sie doch gerade durch die wechselnde Perspektive zwischen Täter und Opfer beängstigend gut und dabei ziemlich brutal in Szene gesetzt.
Nachdem Erica aus dem Koma erwacht und die Nachricht des Todes ihres Geliebten erhält, zieht sie sich in ihrer Verzweiflung in ihre Wohnung zurück, traut sich zunächst nicht auf die Straße. Bei jedem Versuch, das Haus zu verlassen, sieht sie sich gezwungen, wieder in ihre vier Wände zurückzukehren. Ist dies eine Art Agoraphobie als ein Resultat aus ihrem Schockzustand, aus ihrem Trauma? Wie so oft während des Films kann der Zuschauer hier nur vermuten, zu wage und zu oberflächlich wird die Psyche der Protagonistin skizziert.
Was Erica kurz darauf dazu treibt, nun doch auf die Straße und zur Polizei zu gehen, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Und was treibt sie anschließend zu dem Waffenkauf? Die Enttäuschung darüber, dass die Polizei noch immer keine Spur von dem Täter hat? Fühlt sie sich vom Gesetz im Stich gelassen? Wahrscheinlich. Dieser Sinneswandel von Angstzuständen zu plötzlicher Toughness wirkt zwar etwas holprig, aber immer noch einigermaßen nachvollziehbar.
Die folgenden Taten Ericas sind zuerst reaktionär, sie mordet aus Notwehr beim ersten Mal, aus Bedrohung und Angst beim zweiten Mal. Zwischen den Taten meldet sich eine Stimme aus dem Off zu Wort, die betont, das eine „Fremde“ in Erica erwacht sei, sie sich selbst nicht wieder erkenne, eine Stimme, welche die aufkeimenden Selbstzweifel Ericas repräsentieren sollen. Trotzdem wird aus der reaktionären Mörderin, wieder sehr schnell, ein aktiver, wütender Racheengel. Zuerst muss ein Perverser dran glauben, dann ein Menschenhändler, bis sie schließlich den Mördern ihres Verlobten gegenüber steht.
Dabei wirkt der durch die Stimme aus dem Off und durch die Gespräche Ericas mit dem in ihren Fällen ermittelnden Polizisten (Terrence Howard) herbeigeführte (oder eher an den Haaren herbeigezerrte) Tiefgang irgendwie aufgesetzt, als suche man verzweifelt nach einer Rechtfertigung für die recht schonungslos in Szene gesetzten Brutalitäten. Zu schnell scheint sich Erica von ihren Zweifeln und den inneren Monologen bezüglich der „Fremden“ in ihr zu erholen und ist wieder recht gefestigt, noch dazu hip und in schwarzer Lederjacke gekleidet auf den Straßen New Yorks unterwegs. Während all dem kommen sie und Cop Mercer sich näher, es entwickelt sich eine Art Freundschaft zwischen den beiden. Die Szenen von Jodie Foster und Terrence Howard gehören zu den intensivsten des Films. Brillant gespielt, erfährt der Zuschauer mehr durch die Blicke und Gesten der beiden als durch deren Worte, dass Mercer längst um die nächtliche Identität Ericas weiß.
Dieses seltsame, aber spannende Verhältnis des Cops zu der Mörderin entlädt sich allerdings in einer schier lächerlichen Klimax, ein Ende, wie es klischeehafter nicht sein könnte. Die, wie es der Film vorgibt und gerne immer wieder betont, von Selbstzweifeln getriebene Erica wirft auf einmal mit zynischen Sprüchen wie „Wer ist hier das Miststück?!“ um sich und der sonst so gesetzestreue Mercer bricht selbiges, aus Verständnis für Ericas Motive. An dieser Stelle wird so ziemlich jedes Rache-Thriller-Klischee bedient, was der Film so gerne verleugnet. In der Schlusszene, in der dann noch der gleiche Song eingespielt wird, der zuvor eine Liebesszene von Foster und Andrews begleitete, finden dann auch noch Frauchen und Hund zusammen. Jetzt ist alles wieder gut, die Rechnung ist beglichen, Auge um Auge, will man uns wohl damit sagen, was den Brechreiz des Klischee-hassenden Kinozuschauers noch beschleunigt.
Mit diesem Finale reißt Neil Jordan buchstäblich mit dem Hintern ein, was er vorher so bestrebt versucht hat, aufzubauen und zeigt, dass sein Film doch genau das ist, was sein US-Titel „The Brave One“ (gegen den sich Jodie Foster übrigens lange gewehrt hatte) suggeriert: Ein zwar sauber und spannend inszenierter Thriller, der jedoch zelebriert, was er eigentlich anklagen will und daher mehr zu sein vorgibt, als er tatsächlich ist.
Dies wird vielleicht noch deutlicher, wenn man die wie immer grandiose Jodie Foster gedanklich durch eine eher mittelmäßige Aktrice wie beispielsweise Sandra Bullock ersetzt. Durch ihre fulminante One-Woman-Show vermag es Foster, viele Schwächen des Films, zumindest beim ersten Hinsehen, zu überdecken und sorgt in vielen Momenten für mehr Intensität, als es das flache Drehbuch vermutlich für möglich erscheinen ließ. Eine Darstellerin wie Bullock (ohne jetzt Sandra Bullock diffamieren zu wollen) hätte die Schwächen des Films vielleicht eher offenbart.
Doch auch Ms. Fosters Performance der in ihrer Verzweiflung über sich selbst hinauswachsenden und zur Power-Frau mutierenden Durchschnitts-Frau wird der Zuschauer allmählich überdrüssig, spielte sie doch in ihren letzten Hauptrollen in David Finchers genial-klaustrophobischen Thriller „Panic Room“ und in Robert Schwentkes eher unterdurchschnittlichem Reißer „Flightplan“ eine sehr ähnliche Rolle wie nun in „Die Fremde in Dir“. Auch in ihren oscar-prämierten Auftritten in „Angeklagt“ und „Das Schweigen der Lämmer“ war ihre Rolle ähnlich. Hat sie Angst, das Publikum würde sie in anderen Rollen nicht mehr sehen wollen? Ich bin mir sicher, es will! Hoffen wir, dass Jodie Foster in Zukunft wieder die gesamte Bandbreite ihres Könnens in besseren Filmen als diesem zeigt, der nur dank ihr an Klasse gewinnt und einige inhaltliche Ärgernisse vergessen lässt.