Eine erfrischend-freche Cam-Girl-Comedy!
Von Christoph PetersenKein anderes Genre wurde in den vergangenen 50 Jahren so sehr vom Zeitgeist ein- und überholt wie die Sex-Komödie. Natürlich sind die aggressiv sexistischen und oft auch rassistischen Lederhosen-Softpornos der Siebziger, von „Wo der Wildbach durchs Höschen rauscht“ bis „Ach, jodel mir noch einen – Stoßtrupp Venus bläst zum Angriff“, heutzutage aus gutem Grund nur noch filmhistorische Kuriositäten. Aber selbst die Beiträge der um die Jahrtausendwende von „American Pie“ losgetretenen Welle von Teen-Sex-Comedys, in Deutschland prominent vertreten durch Filme wie „Harte Jungs“ oder „Mädchen, Mädchen“, wären in ihrer vergleichsweise unbedarften Form in der aktuellen Kinolandschaft kaum noch denkbar.
Ob diese Entwicklung jetzt begrüßenswert oder doch ein wenig schade ist, muss am Ende jeder für sich selbst entscheiden. Auf jeden Fall bleibt so mehr Aufmerksamkeit für die paar wenigen, die es trotzdem versuchen. So wie Regisseurin Anna Unterweger mit „Broke. Alone. A Kinky Love Story“, einer erfrischend offenherzigen Cam-Girl-Comedy, die sich lange Zeit erstaunlich viel traut, bis es dann auf der Zielgeraden doch noch ein wenig spießig wird. Aber kann man dem Film dafür wirklich böse sein, wenn die finale Moral von der Geschicht‘ dann zumindest vom ultimativen Power-Paar, bestehend aus „Harte Jungs“-Star Tobias Schenke als PS-Proll und Trash-TV-Queen Caroline Beil als obdachlose Einkaufswagen-Philosophin, überbracht wird?
Bei ihrem Job in einer Bar muss die Kunststudentin Sarah (Nora Islei) ein rosafarbenes Paillettenkleid und einen Flamingo-Hut tragen. Aber jetzt ist sie gerade mit dem Fahrrad ungeplant früh auf dem Weg nach Hause – ein Kollege hat Corona, deshalb hat sie das Gesundheitsamt für 14 Tage in Quarantäne geschickt. Nur pennt ihr Freund Jonas (John Förster) in der gemeinsamen Wohnung gerade mit einer anderen, was Sarah zu einem regelrechten Paintball-Massaker motiviert – besonders schmerzhafte Schüsse in die Weichteile (beider Geschlechter!) inklusive. Aber nach diesem kunterbunt-kathartischen Shootout wartet auf Sarah direkt der nächste Schock: Jonas hat in den vergangenen sechs Monaten offenbar all sein Geld für ein Cam-Girl-Portal namens NoodleShaker verpulvert und deshalb die Miete nicht gezahlt!
Ihr Schmierlappen-Vermieter Henry Tempel (Tim Wilde) und dessen lethargische Sekretärin (Luna Schweiger) stellen Sarah ein Ultimatum: Ihr bleiben nur wenige Tage, um die aufgelaufenen Schulden vollständig zu begleichen, ansonsten muss sie ausziehen. Aber wie soll sie das in Quarantäne anstellen? Ihren Psychologen-Vater (Gedeon Burkhard) um Geld zu bitten, kommt für Sarah jedenfalls nicht infrage. Und irgendwelche typischen Internet-Jobs bringen maximal Mini-Beträge ein, die niemals reichen werden. Aber dann schaut sich Sarah aus Neugierde mal die Lieblings-Seite ihres Ex an, die ja irgendwie an allem Schuld ist – und dort erklärt Erotik-Expertin Alicia Secret (Aische Pervers), wie man als Cam-Girl sehr schnell viel Geld verdienen kann…
Sarah hat zwar keinerlei falschen Hemmungen, unter ihrem neuen Künstlerinnennamen Lexi Feucht vor der Kamera zu performen, aber trotz der Profi-Tipps tut sich die Studentin zunächst doch schwer. Für ihre unbeholfenen Striptease-Tänze erntet sie vernichtende Kommentare: „Da tanzt ja ein Gartenzwerg besser!“ Und sich ohne Puder in den hautengen Latex-Anzug ihrer besten Freundin Mila (Pauline Afaja) zu zwingen, war sicherlich auch nicht die beste Idee. Newcomerin Nora Islei verkörpert Sarah in diesen Szenen allerdings weniger mit einer potenziell nervigen Naivität, sondern vielmehr mit einer erfrischenden Unbekümmertheit. Ganz nach dem Motto: Scheiß drauf, ich zieh das jetzt durch – selbst wenn mich jemand fragt, ob er wegen „meiner kleinen Titten nur den halben Preis bezahlen muss“!
Natürlich lacht man auch über ihre Tritte ins Fettnäpfchen, aber vor allem ist man auf ihrer Seite, wenn der ständig eingeblendete Schuldenstand langsam, aber beständig nach unten tickert. Und während Kostümdesignerin Marla Volmer mit jedem neuen Outfit das Wort „Kinky“ im Titel dick und fett unterstreicht, groovt sich Sarah langsam ein – wenn auch anders als gedacht: Statt als weitere NoodleShaker-Nymphomanin landet sie ungeplante erste Erfolge als kunsttherapeutische Online-Seelsorgerin. Das klingt jetzt vielleicht pädagogisch wertvoll, ist aber tatsächlich ziemlich lustig. So nutzt Sarah etwa einen Kunden, der auf ganz besonders aggressiven Dirty Talk steht, um sich selbst nach all dem Stress mal so richtig schön abzureagieren – eine Win-win-Situation freigegeben ab Achtzehn.
Aber wie der Titel schon sagt, ist „Broke. Alone. A Kinky Love Story“ ja nicht nur eine kinky Sex-Comedy, sondern auch eine Liebesgeschichte – und zwar die zwischen Sarah und Tim (Julian Bloedorn), dem gerade nach einer gescheiterten Auslands-Kochkarriere nach Deutschland zurückgekehrtem Bruder ihrer besten Freundin. Aber wo der Film auf der einen Seite so erfrischend progressiv daherkommt, ist das Anbändeln zwischen den beiden dann doch erstaunlich altbacken – inklusive der erwartbaren dramaturgischen Wendung, bei der er kurz vor Schluss doch noch mal alles kaputtzumachen droht. Aber dafür hat man dann ja Tobias Schenke und Caroline Beil auf der Cast-Liste stehen, um dem unvermeidlichen Old-School-Happy-End doch noch einen gewissen Pep zu verleihen.
Fazit: Frisch, frech, forsch – und zum Ende hin auch ein wenig spießig, was die alles überstrahlende Newcomerin Nora Islei aber locker wieder wettmacht.