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Michael S.
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Staffel 1 Kritik
4,0
Veröffentlicht am 8. März 2018
Eine Serie, die zumindest in der ersten Staffel ohne ihren Hauptdarsteller verloren wäre. Doch Shaun Evans verleiht dem jungen Insprektor einige angenehm kauzige Züge, die den Ermittler gleichzeitig interessant und doch geheimnisvoll machen. Ein von seiner Arbeit regelrecht besessener Mensch, der gleichzeitig ein nicht unerhebliches Problem mit Blut und Leichen hat. Eine gewisse Melancholie umgibt die Figur zusätzlich, mit der es Showrunner und Drehbuchautor Russell Lewis zum Glück nie allzu sehr übertreibt.
Die ersten paar Fälle zeigen bereits die unschönen Seiten der so romantisch wirkenden Bildungsstätten Oxfords, während man sich in Sachen Erzähltempo aufgrund der Spielfilmlänge aller Folgen eher auf dem Niveau einer durchschnittlichen Agatha-Christie-Verfilmung wähnt. Die Betulichkeit einiger Nebenfiguren, zu erwartende Konflikte, sowie die trügerische Idylle sind klassische Motive des britischen Krimis, aber eigentlich auch nichts Neues.
Umso besser, dass sich die Folgen nach dem soliden Pilotfilm und zwei weiteren Episoden zum Warmwerden sichtbar weiterentwickeln. Der am Anfang trotz aller Ecken und Kanten noch etwas zu idealistische Morse macht bei seiner Arbeit aus lauter Übereifer so manchen Fehler und offenbart zusätzlich dunkle Seiten. Eine prinzipiell reizvolle Idee, die die Prämissen klassischer Krimikost mit den Gepflogenheiten des postmodernen Psychokrimis kombiniert. Mit Chefinspektor Thursday hat Morse zudem einen wahren Fels an seiner Seite, der dem Jungspund auch mal liebevoll die Leviten lesen darf.
Bleibt zu hoffen, dass es in Zukunft ähnlich weitergeht. Eine treue Fangemeinde dürfte sich der junge Inspektor, dessen Abenteuer schon seit 2012 ausgestrahlt werden und bald in die fünfte Staffel gehen, schon nach relativ kurzer Zeit verdient haben, auf der man sich hoffentlich nicht ausruht. Denn in Oxford gibt es noch manche Verschwörung aufzudecken.
Qualitativ und erzählerisch setzt Staffel 5 da an, wo sie zuvor geendet hat. Das Morse-Universum wird nicht nur durch eine Handvoll neue Figuren größer, die aktuelle Staffel hat mit insgesamt sechs neunzigminütigen Folgen sogar deutlich mehr Laufzeit zu bieten als ihre Vorgänger. Den filmischen Stil der Serie setzen die neuen Fälle nahtlos fort, insbesondere in Folge 3 "Passagiere" werden keine Kosten und Mühen gescheut, historische Eisenbahnzüge aufs Gleis zu setzen und den folgenden neunzig Minuten die Atmosphäre von Filmklassikern wie "Eine Dame verschwindet" zu verpassen.
Das klassische Kino spielt auch in der zweiten Folge "Kartusche" eine wichtige Rolle. "Game of Thrones"-Star Donald Sumpter gibt hier einen alternden Filmstar, der noch ein letztes Mal als Mumie (!) auftreten darf. Selbstironisch gibt das die Serie produzierende Filmstudio Mammoth Screen seinen Namen für die fiktive Produktionsfirma "Mammoth Pictures" her, mehrere stilsicher inszenierte Film-im Film-Szenen bezeugen einmal mehr den Aufwand, den der junge Inspektor seinen Schöpfern mittlerweile wert ist. Filmfans werden auch hier zahlreiche augenzwinkernde Verweise auf das zeitgenössische Kino finden.
Gleichzeitig ist der Wandel der Zeiten unübersehbar. Die Polizeistation wird modernisiert und damit teilweise abgeschafft, neue Hierarchien, neue Methoden und neue Vorgesetzte kündigen sich an. Das und Thursdays Beziehung zu seinem Bruder Charlie sowie Morse' diverse Affären und seine offenkundige Sehnsucht nach Thursdays Tochter Joan (Sara Vickers) sorgt für das obligatorische Privatleben, das den Figuren jenseits der Ermittlungen Tiefe verleihen soll. Gut gemeint, aber hier gar nicht immer nötig, denn die Fälle und der zeitgeschichtliche Kontext machen die Serie schon spannend genug - schon weil sie sich nicht in anheimelnder Nostalgie sonnt und der Versuchung widersteht, alles immer glücklich enden zu lassen.
Wäre da nicht noch der im Hintergrund tobende Bandenkrieg - man könnte die sechs neuen Folgen fast in beliebiger Reihenfolge anschauen. Gut abgeschmeckter trockener Humor sorgt an den richtigen Stellen für Unterhaltungswert, nichtsdestotrotz bleibt Tragik Tragik und Verbrechen Verbrechen. Der politische und technische Wandel wird durch kleinere (technische Geräte) und größere ("Make Britain Great Again"-Demos, Gameshows, Hippies, Drogen ...) Storyelemente verdeutlicht, während die Erzählung geschickt mit den Erwartungen des Publikums zu spielen versteht. Alles Argumente für eine der besten Krimiserien unserer Tage, die so viel mehr als die üblichen Verdächtigen des Genres zu bieten hat.
Der Schnauzbart dient als Indikator: In Staffel sechs ist alles ein wenig anders. Bevor eine beliebte Serie dem treuen Zuschauer etwa zu langweilig wird, muss mindestens einmal alles auf den Kopf gestellt werden. Und wenn es nur auf Probe ist. Ohne vorgreifen zu wollen: Es bleibt nicht ganz so schlimm wie es anfangs aussieht, aber der Weg dahin ist steinig und voller Gefahren für Morse und seine Kollegen.
Das Ende von Staffel 5 wies schon auf einen Generationenwechsel beim Führungspersonal hin, aber auch in Sachen Moral und Ermittlungsmethoden haben die neuen Chefs andere Ansichten als die korrekten Gentlemen Thursday und Bright. Ersterer hat sogar mehr oder weniger die Seiten gewechselt und gibt jetzt den Handlanger für seinen deutlich jüngeren Chef Box. Eine spannende Kehrtwende, zumal es die Beziehungen zu Familie und Kollegen auf den Prüfstand stellt und er am Ende nicht einmal mehr ganz selbstverständlich ins Vertrauen gezogen wird. Andere Kollegen wie Strange und Bright gehen ebenfalls ihre eigenen Wege, Trewlove ist aus den Drehbüchern verschwunden; nur Morse ist trotz Gesichtsbehaarung und neuer Dienststelle ganz der Alte geblieben: eigenbrötlerisch, in sich versunken und dennoch stur beim Ermitteln.
Umso besser, dass die vier neuen Fälle und die Machenschaften der ausgetauschten Führungskräfte das alte Team wieder mehr oder weniger vereinen. Mit Beatmusik, Rassismus und Betontürmen greifen die Episoden passende Aspekte der Zeitgeschichte auf, Nostalgie gibt es dieses Mal allerdings deutlich weniger als in den letzten fünf Staffeln. Lediglich Episode 2 "Apollo" macht sich klassische Filmtricks, die Atmosphäre eines alten Filmstudios und die Aufregung rund um die Mondladung zunutze. Mit dem Umzug in das kantige neue Dienstgebäude und dem langsamen Aussterben einer Generation von Gentleman-Polizisten werden Problemstellungen, Privates und Mordermittlungen insgesamt deutlich ernster und kühler.
Mit der finalen wendungsreichen Folge gönnt sich Showrunner Russell Lewis sogar beinahe einen waschechten Thriller, dessen Ausgang bis zum clever gelösten Ende unklar bleibt. Der Epilog ist von versöhnlicher Atmosphäre und einer Rückkehr zum Gewohnten geprägt, was man den Figuren durchaus gönnt. Und falls sich Morse von seinem unmöglichen Schnauzer verabschiedet, besteht Hoffnung auf ähnlich starke Fortsetzungen.