Mit gewöhnlichen Morden hält sich "Hannibal" gar nicht erst auf. Die Täter sind hier ausnahmslos Psychopathen erster Güte, die ihre Opfer wahlweise essen, häuten, als Schutzengel gebrauchen oder als Nährboden für Pilze verwenden. Jeder einzelne Tatort ist ein kleines Meisterwerk von bizarrer, unwirklicher Grausamkeit, abstoßend und doch mit dem erkennbaren Willen zur absoluten Perfektion inszeniert.
Das klingt jetzt alles ziemlich krank, und deshalb ist es auch kein Wunder, dass es die beteiligten Figuren über kurz oder lang krank macht. Vor allem natürlich Will Graham, den instabilen FBI-Profiler, der Verbrechen löst, indem er sich gänzlich in die wahnsinnigen Mörder hineinversetzt. Um darüber nicht selbst den Verstand zu verlieren, sucht er sich professionelle Hilfe – ausgerechnet beim eleganten Psychologen Dr. Hannibal Lecter, dem kundigen Zuschauer unter anderem aus „Das Schweigen der Lämmer“ bekannt als Kannibale aus Leidenschaft.
Eine schlicht fantastische Konstellation: Graham, ausgestattet mit totaler Empathie, spürt die Gegenwart des Psychopathen in seiner Nähe, kann sie jedoch nicht zuordnen und ist den Manipulationen Lecters deshalb zunächst hilflos ausgeliefert. Dieser wiederum ist von Grahams Fähigkeiten fasziniert und will ihn zugleich beschützen und herausfordern. Das knallharte Psychoduell der beiden, erzählt in messerscharfen Dialogen, ist das unumstrittene Herzstück der Serie.
Ach ja, grandios gespielt ist es natürlich auch noch. Hugh Dancy legt Graham als eine Art verwundetes Tier an, ein verängstigter, hochintelligenter Therapiefall, dessen Mut dennoch immer wieder beeindruckt. Mads Mikkelsens Hannibal ist weder besser noch schlechter als der von Anthony Hopkins, und das ist das größte Kompliment das man ihm machen kann. Der dritte im Bunde ist Laurence Fishburne als FBI-Agent Jack Crawford, der wie immer eine starke physische Präsenz zeigt, beim Zweikampf Dancy vs. Mikkelsen jedoch meist außen vor bleibt.
Man mag von der ersten Staffel „Hannibal“ halten, was man will – atmosphärische Brillanz und inszenatorische Klasse kann ihr niemand ernsthaft absprechen. Einige Schwächen zeigen sich in der Erzählung; drei Folgen und ein paar Subplots weniger hätten zumindest nicht geschadet; beispielsweise der um die Bloggerin Freddie Lounds, der anscheinend als Medienkritik gedacht war, aber weitgehend in der Luft hängt. Das antiklimaktisch aufgebaute, zutiefst depressive und sehr unbefriedigende Staffelfinale ist natürlich auch genau so geplant, wird aber dennoch die meisten Zuschauer enttäuschen. Bryan Fuller und Co machen allerdings nicht den Eindruck, als würde sie das irgendwie stören.
Fazit:
Ich kann niemandem ernsthaft empfehlen, sich „Hannibal“ anzuschauen, weil ich nicht für die Einschlafschwierigkeiten verantwortlich sein will, die dadurch möglicherweise hervorgerufen werden. Wer gern Einschlafschwierigkeiten hat, kann sich aber jederzeit an der düster-hoffnungslosen Atmosphäre, den fast ausnahmslos gelungenen Schockmomenten und Hannibal Lecters Psychoterror erfreuen.
So schön und so böse war Fernsehen schon lange nicht mehr: Dreieinhalb von fünf Pfeffis, Prost!