+++ Meinung +++
Als ich „Swing Kids“ (aktuell verfügbar auf Disney+) zum ersten Mal sah, war ich nur wenig älter als die darin von Christian Bale und Robert Sean Leonard verkörperten jungen Musikfreunde. Als jemand, der glücklicherweise nicht in einer Diktatur aufwachsen musste, wollte ich natürlich glauben, dass ich mich in dieser Situation für die „richtige“ Seite entschieden hätte. Doch kann man sich dessen wirklich so sicher sein? Wäre ich tatsächlich immun gewesen gegenüber der NS-Indoktrinierung, die immerhin Abermillionen von Menschen in unserem Land dazu verleitete, diesen Monstern zu folgen, die so viel Tod, Leid und Unheil über die Welt brachten?
Aufgrund dieser Frage hat mich speziell die Beziehung der beiden besten Freunde, von denen einer zum blind der Ideologie gehorchenden Nazi mutiert, während der andere sein Leben aufs Spiel setzt, um sich dieser irgendwie zu entziehen, so fasziniert.
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Kürzlich habe ich mir das Drama, das auf einer recht übersichtlichen, aber realen Jugendbewegung von damals basiert, noch einmal angeschaut. Sofort fielen mir einige inakkurate Darstellungen wie Fehler bei den Uniformen oder holpriges Deutsch auf Plakaten im Hintergrund auf. Auch ist schnell klar, dass nicht wirklich in Hamburg gefilmt wurde. Der Drehort war Prag und einige Kulissen sehen weniger nach einem Kino- als nach einem eher günstig produzierten TV-Projekt aus. Zudem gibt es Szenen, die ganz schön cheesy oder kitschig geschrieben sind. Und auch der junge Christian Bale ist, in Bezug auf sein Spiel, gelegentlich etwas wacklig. Robert Sean Leonard agiert da deutlich stabiler. Dennoch berührt mich der Film auch viele Jahre nach dem ersten Ansehen noch immer emotional. Vielleicht auf eine andere, nicht ganz so unmittelbare Art, aber doch noch immer absolut spürbar.
Alternativ zum Disney+-Stream könnt ihr euch den Film als DVD bei Online-Händlern wie Amazon bestellen. Als Blu-ray gibt es den FSK-12-Titel bisher leider nicht und eine diesbezügliche Veröffentlichung ist auch nicht abzusehen:
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Darum geht es in "Swing Kids" auf Disney+:
Hamburg im Jahre 1939: Peter (Robert Sean Leonard) und Thomas (Christian Bale) sind beide 17 Jahre alt und absolut begeistert von amerikanischer Swing-Musik – vom Sound, vom Feeling, von den dazugehörigen Klamotten, vom ganzen Lebensstil. Das ist im Dritten Reich natürlich alles andere als gern gesehen, um nicht zu sagen streng verboten. Deshalb können sie sich nur heimlich mit Gleichgesinnten zum Tanzen treffen.
Eines Tages wird Peter erwischt, als er ein Radio stehlen will. Mit Hilfe des einflussreichen Gestapo-Mannes Knopp (Kenneth Branagh), der gern mit Peters Mutter (Barbara Hershey) anbandeln würde, entgeht er einer schlimmen Strafe. Allerdings besteht Knopp darauf, dass Peter der Hitlerjugend beitritt. Aus Loyalität schließt Thomas sich ihm an.
Peter erachtet die HJ als notwendiges Übel und hasst alles, wofür sie steht. Thomas hingegen empfindet schnell echte Freude an den dort angebotenen sportlichen Wettkämpfen und anderen Veranstaltungen. Dabei merkt er gar nicht, wie er mehr und mehr von der NS-Propaganda vereinnahmt wird. Bald beginnt er, Bekannte und Familienmitglieder für die Nazis zu bespitzeln. Ein Zerwürfnis der einst besten Freunde scheint unvermeidlich …
Tanzen gegen Hitler
Visuell betrachtet, sind die Musik- und Tanzszenen die absoluten Höhepunkte des Films von Regisseur Thomas Carter („Metro“, „Coach Carter“). Die Farbenfreude, das Szenenbild, die Kostüme, das ausgelassene Spiel der Darsteller sowie die wunderbar lebendigen, dynamisch gefilmten Choreografien sind bis heute bemerkenswert.
Den größten Eindruck hinterlässt bei „Swing Kids“ letztlich aber doch die Erkenntnis, welch unglaublich brutalen Einfluss die grausame Herrschaft der Nationalsozialisten selbst auf privateste, zwischenmenschliche Beziehungen hatte. Nachbarn wurden von den Behörden über Nacht verschleppt und ermordet, lebenslange Freundschaften selbst unter Kindern und Jugendlichen zerbrachen an Ideologien oder Abstammungen und zahllose Familien wurden für immer zerstört.
„Swing Kids“ ist für viele Filmfans sicher interessant, um eine heute fast schon obskure, frühe Arbeit von Stars wie Christian Bale („The Dark Knight“, „Thor 4“), Kenneth Branagh („Tenet“) oder Robert Sean Leonard („Der Club der toten Dichter“, „Dr. House“) auf Disney+ nachzuholen. Es ist aber auch ein Titel, dem es – seinen durchaus ins Auge springenden Schwächen zum Trotz – noch immer gelingt, uns zum Nachdenken anzuregen.
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