+++ Meinung +++
Nach dem Blutrausch von „Kill Bill Vol.1“ war 2004 plötzlich ein wenig die Luft raus. Zwar erhielt „Kill Bill Vol. 2“ positive bis starke Kritiken und schnitt zufriedenstellend an den Kinokassen ab. Jedoch ging es für das große Finale von Quentin Tarantinos und Uma Thurmans Vendetta-Saga wirtschaftlich abwärts und die Leidenschaft vieler Filmnerds brannte auf kleinerer Flamme.
Nicht, dass der Film ein verkannter Meisterstreich wäre. Mit wachsendem Abstand zum Kinostart spielt es immer weniger eine Rolle, dass Tarantinos Tempowechsel einst viele Erwartungen enttäuscht hat. Dennoch: Man kann sich nicht oft genug vor Augen führen, wie stark dieses Rache-Epos aufgelöst wird, und dass es mindestens denselben Respekt verdient hat, den seine erste Hälfte genießt.
Heute gibt es erneut Gelegenheit dazu. Denn ProSieben zeigt am heutigen 9. September 2022 ab 22.55 Uhr „Kill Bill Vol. 2“ – und zwar uncut. Filmfans, die von der TV-Ausstrahlung angespornt Lust bekommen haben, sich beide Teile am Stück anzuschauen, können natürlich einfach zur DVD oder Blu-ray greifen und so auch die Werbung umgehen.
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"Kill Bill Vol. 2": Bittersüße Rache, bedächtig serviert
Der Rachefeldzug der Braut (Uma Thurman) ist längst nicht vorbei. Obwohl sie sich bereits durch zahlreiche Menschen gemetzelt hat, fehlen ihr noch drei wichtige Ziele. Da wären ihre gallige Ex-Kollegin Elle Driver (Darryl Hannah), der Alkoholiker Budd (Michael Madsen) und natürlich Bill (David Carradine) – ihr gewissenloser Ex-Geliebter. Genau der offenbart völlig unerwartete Seiten, als die Braut ihm näher kommt...
Streaming-Tipp: Dieses Rache-Meisterwerk lässt sogar "John Wick" alt aussehen – mit brachialer Action & sadistischem Twist!Wer nach dem ruhelosen, aufpeitschenden „Kill Bill Vol. 1“ hofft, dass Tarantino in „Kill Bill Vol. 2“ exakt so weitermacht, erlebt einen mittelgroßen Filmkulturschock. Die energiereiche FSK-18-Gewalt, in der das Kunstblut spritzt, als seien die verletzten Figuren Springbrunnen, weicht einem stark gedrosselten Erzähltempo. Die Gewaltausbrüche erfolgen sporadischer, sind längst nicht mehr so exaltiert und „nur“ auf FSK-16-Niveau. Aber sie schmerzen mehr.
Die choreografierten, der Realität entrückten Schwertkämpfe, die einem Ehrenkodex folgen, plätschern aus. Dafür bekommt die Braut von einem lustlosen Mann eine Ladung Steinsalz in den Brustkorb geschossen. Und nicht nur die verlogeneren Attacken hinterlassen herbere Spuren: Tarantinos farbenfrohe Gewaltparade wird mit aufwühlenderen Gefühlen unterfüttert. Wir sehen etwa, wie die Braut im Rahmen einer langen, harten Ausbildung voller Demütigungen ihr kämpferisches Können und ihre emotional abgestumpfte Schale erlangt hat.
Nachdem Teil eins Filmgewalt zelebrierte, entzaubert „Kill Bill Vol. 2“ sie. Im Zuge dessen dreht Tarantino kongenial den Anteil an Referenzen auf Italo-Western auf, ein von ihm zelebriertes Genre, dessen stärkste Einträge ebenfalls Moralvorstellungen hinterfragen. Anspannung entsteht hier wie dort vermehrt durch Warten, Abwägen und Aufbäumen. Zugleich kehren Tarantinos bestechende Dialoge zurück in den Vordergrund. Beispielsweise mittels einer unerwartet zärtlichen Rückblende auf das letzte Aufeinandertreffen zwischen der Braut und Bill, bevor er zum plötzlichen, abartigen Gewaltumschlag ausholte, der dieses Epos in Gang setzte.
Die besten Western aller ZeitenDas Highlight von „Kill Bill Vol. 2“ ist das ausführlich geschilderte Wiedersehen dieser gewissenlosen Ex-Liebenden, das jegliche Erwartungshaltung unterwandert. Es gibt David Carradine die Gelegenheit, schauspielerisch aus dem Vollen zu schöpfen: Er schüttelt als Bill erstaunliche, nachdenkliche Monologe über die Braut, seine Schandtaten und Popkultur aus dem Ärmel. Themenfetzen, die Carradine mit extrem natürlichem Witz und dennoch auch mit Gravitas zu einer Flickendecke der trügerischen Geborgenheit zusammennäht.
Für Thurman, die weiter so großartig spielt wie im ersten Part, bedeutet dies, dass sie nun die Verletzlichkeit der Braut offener zeigen darf. Eine Entwicklung, die sich nachhaltig auf's Publikum übertragen kann. Schleichend entstehen Zweifel an der Rachemission der Braut sowie komplexe Gefühle für diese eng verbundenen, brutal entzweiten Menschen. Auf einmal lacht man mit den Figuren über aufmunternde Späße, fiebert einer Aussöhnung entgegen.
Ihre Menschlichkeit wird hervorgekehrt, ihr Status als Tarantino-Übermenschen frei von Impulskontrolle verfällt zu Staub. Genau das macht den Schluss der „Kill Bill“-Saga so befriedigend. Tarantino gibt seinem Publikum das, was es wollte, aber nicht so, wie es das haben wollte. Nachdem man mit dem obersten Racheziel gelacht hat und sich von ihm einlullen ließ, „die Braut“ derweil zu einer Person mit Ängsten, Hoffnungen und Reue wurde, kann dieses Vendetta-Epos nicht mit einem Knall enden. Was stattdessen folgt, ist würdevoller, tröstlicher und leiser – und hat doch ein längeres Echo als es der kompakte Knalleffekt je hätte haben können.
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