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    "House Of Gucci" bietet die lächerlichsten Performances des Jahres – und ist deswegen so gut
    Pascal Reis
    Pascal Reis
    -Redakteur
    Pascal liebt das Kino von „Vertigo“ bis „Daniel, der Zauberer“. Allergisch reagiert er allerdings auf Jump Scares, Popcornraschler und den Irrglauben, „Joker“ wäre gelungen.

    „House Of Gucci“ ist ein wahres Faszinosum. Eigentlich dürfte der Film zu keiner Zeit funktionieren, doch mit seiner unverblümten Lächerlichkeit erschafft Ridley Scott hier einen der interessantesten Widersprüche des Kinojahres.

    Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved.

    +++ Meinung +++

    Was man in der Zoologie als Mimikry bezeichnet, lässt sich seit jeher auch in Hollywood entdecken: Wenn Schauspieler und Schauspielerinnen eine reale Person verkörpern, dann geschieht das oftmals mit einer derart detailgetreuen Versessenheit, dass es durchaus unfreiwillig komisch werden kann. Paradebeispiele aus den vergangenen Jahren sind für mich Eddie Redmayne als Stephen Hawking in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“, Christian Bale als Dick Cheney in „Vice“ oder auch Rami Malek als Queen-Frontsänger Freddie Mercury in „Bohemian Rhapsody“.

    Besonders amüsant wird es aber, wenn sich englischsprachige Darsteller darum bemühen müssen, sich einen Akzent aus einem anderen Land anzueignen. In „House Of Gucci“ von Ridley Scott, der seit dem 2. Dezember in den deutschen Kinos zu sehen ist, wird dieses schauspielerische Verfahren nun auf die Spitze getrieben. Selten zuvor wurden Charaktere mit einer solch irren Souveränität der eigenen Lächerlichkeit preisgegeben. Das ist hochgradig unterhaltsam, immer wieder irritierend, dabei aber überraschenderweise niemals unangenehm.

    Das Modeimperium wird zur Karnevalsveranstaltung

    Wo die säuberlich durchkomponierten Hochglanzaufnahmen nicht nur auf ein prestigeträchtiges Biopic verweisen, sondern durchaus passend den Anschein erwecken, als würde man sich genüsslich durch einen Modekatalog blättern, gibt Ridley Scott dem Affen in Sachen Schauspielführung so richtig Zucker. Mit Lady Gaga, Adam Driver, Jared LetoAl Pacino und Jeremy Irons kann der „Gladiator“-Regisseur auf ein hochkarätiges Ensemble zurückgreifen, das seine Klasse eigentlich nicht mehr beweisen muss.

    In „House Of Gucci“ scheint es jedoch so, als hätte Ridley Scott zu seinem Cast gesagt, dass dieser hier derart chargieren soll, bis von den historischen Vorbildern nur noch absurde Zerrbilder bleiben. Gerade Lady Gaga, Jared Leto und Al Pacino tragen hier einen so breiten, merklich unnatürlichen italienischen Akzent spazieren, dass ihre Figuren immerzu etwas Künstliches, Übersteigertes, Gestelztes mit sich bringen. Das ist absolut köstlich und genauso seltsam, aber womöglich auch eine ziemlich clevere Methode.

    "House Of Gucci" ist ein großer Lacher – aber mit Methode

    Denn so exorbitant der Unterhaltungsfaktor von „House Of Gucci“ (in der Originalfassung wohlgemerkt) auch ist, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Ridley Scott sich nicht im Klaren darüber gewesen ist, dass er seine Darsteller*innen hier auch gewissermaßen ans Messer liefert, wenn er sie so übertrieben agieren lässt und der Geschichte damit zusehends jeden Funken Ernsthaftigkeit raubt. Stattdessen ist „House Of Gucci“ vielmehr eine edeltrashige Seifenoper mit außerordentlicher Kompetenz auf allen weiteren kreativen Positionen.

    Und als Soap-Opera geht „House Of Gucci“ dann sogar als spitzfindiger Kommentar zur Welt der Reichen, Schönen und Abgehobenen durch, die sich durch ihre Privilegien und Profilneurosen immer mehr von jeder greifbaren Menschlichkeit distanzieren. Lady Gaga und Co. irrlichtern durch den Film und übertreiben in ihrem Spiel so maßlos, weil Ridley Scott hier auch auf einen maßlosen Kosmos verweist, in dem jedweder Bezug zur Realität alsbald verloren gegangen ist. Das beginnt ja schon damit, dass Aldo Gucci (Pacino) den Ursprung der Familie Gucci als Adelsgeschlecht herbei dichtet, obwohl sie in Wahrheit Pferdemist am Hofe weggeschippt haben.

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    Dadurch entfacht „House Of Gucci“ die wohl interessantesten Widersprüche des aktuellen Kinojahres, weil er seine sich über 160 Minuten erstreckende Geschichte um die von Eifersucht, Habgier und Missgunst getriebenen Machtumwälzungen innerhalb des Gucci-Modeimperiums über tonale Spaltungen entschlüsselt. Das ist hinreißend drollig, wirkt dabei zusätzlich gerne lächerlich, aber es folgt einem erzählerischen Ansatz, der mutig und leicht zu übersehen ist, wenn Lady Gaga, Jared Leto und Al Pacino mit ihren gigantischen Akzenten durch den Film pflügen. Aaah, molto bene!

    "House Of Gucci" im Podcast

    Falls euch interessiert, was das FILMSTARTS-Trio Sebastian, Björn und Christoph über „House Of Gucci“ zu sagen hat, müsst ihr euch unbedingt die schwärmerische Ausgabe unseres Leinwandliebe-Podcast zum Ridley-Scott-Gaga-Epos anhören.

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