+++ Meinung +++
Wenn man nicht mit dem Anspruch an „Cowboy Bebop“ herangeht, eine Neuauflage zu bekommen, die mit der Genialität der Vorlage mithalten kann, kann man sich von der Netflix-Adaption durchaus unterhalten fühlen. Doch mehr als ein kurzweiliges Sci-Fi-Abenteuer mit leichtem Trash-Faktor ist meiner Meinung nach nicht drin. Dafür haben die Macher*innen einfach zu viele Fehlentscheidungen getroffen. Die meisten davon lassen sich auf den im Vergleich zum Original deutlich ausgearbeiteten Handlungsstrang rund um Spike (John Cho), Vicious (Alex Hassell) und Julia (Elena Satine) zurückführen.
In diesem Text soll es aber nicht um die völlig misslungene Live-Action-Variante von Vicious gehen, die mehr mit einem wütenden Kleinkind zu tun hat, als mit der Anime-Vorlage in Gestalt eines düsteren Todesengels. Auch soll es nicht um Julia gehen, die im Original nur schemenhaft charakterisiert wurde und eher als Symbol für Spikes Sehnsucht diente, bei Netflix aber völlig zweckentfremdet wird und sich am Ende als genauso durchtrieben und verdorben herausstellt wie der Rest des Syndikats.
Denn es gab eine Entscheidung der Autor*innen, die Netflix' „Cowboy Bebop“ noch tiefer sinken lässt und mir ausgerechnet die Hauptfigur Spike Spiegel mit einem Schlag zunichtegemacht hat.
Vom coolen Antihelden zum kaltblütigen Killer
Spike Spiegel ist ein ambivalenter Charakter und gerade das macht ihn auch so interessant. Er ist eben kein Held ohne Ecken und Kanten, sondern eine tragische Figur mit einer Vergangenheit als Auftragskiller. Diese Vorgeschichte wird von der Netflix-Serie sogar in einigen Punkten sinnvoll ergänzt. Dass er ein Waise ist, der einst in Armut lebte, dann aber von Vicious gerettet wurde, somit von kleinauf in dessen Schuld stand und sich deshalb zum Syndikats-Gauner hat ausbilden lassen, macht seine fragwürdigen Taten von früher verständlicher. Doch mit seiner Freundschaft zu Vicious übertreibt es Spike in dem Moment, als er für ihn ein hilfloses Mädchen erschießt!
Es ist Episode 9, die uns in einem großen Flashback die zuvor nur häppchenweise servierte Hintergrundgeschichte von Spike und Vicious nun in seiner Gänze auftischt. Darin erfahren wir, dass Vicious aufgrund seiner impulsiven Art einen wichtigen Auftrag versaute, weshalb Spike die Mission bekommt, seinen Freund zu töten. Doch Spike ist Vicious immer noch treu ergeben und setzt daher einen riskanten Plan in die Tat um.
Er infiltriert einen Unterschlupf einer verfeindeten Gang und mäht die dortigen Bandenmitglieder im Alleingang nieder. Dumm nur, dass ihn beim Verlassen des Tatorts jemand sieht. Blutverschmiert steht er vor einer vor Schock erstarrten Jugendlichen. Zunächst sagt ihr Spike, sie solle wegrennen und nie jemandem davon erzählen, was sie gesehen habe. Doch wenige Sekunden später, als sie schon fast hinter der nächsten Ecke verschwunden ist, entscheidet er sich um und betätigt doch noch den Abzug seiner Pistole.
Spike zeigt keine Gnade. Es soll schließlich keiner wissen, dass er alleine den Massenmord verübte. Stattdessen soll es so wirken, als hätte Vicious diesen Erfolg für das Syndikat errungen. Um also zu 100 Prozent sicherzugehen, dass die Wahrheit nie ans Licht kommt, scheut er auch nicht davor zurück, einem flüchtenden Mädchen kaltblütig in den Rücken zu schießen – und das nicht im Affekt, sondern nachdem er einen Moment lang drüber nachdachte.
Das ist nicht mehr mein Spike
Zwar war Spike schon zuvor kein besonders guter Mensch und hatte schon in den vorherigen Folgen einige Leute auf dem Gewissen, aber dabei handelte es sich eben um Kriminelle, die allesamt auch Dreck am Stecken hatten. Zu Beginn von Episode 9 sagte Spike Vicious sogar noch, dass Kinder zu erschießen für ihn ein Tabu sei, und rettete somit eine Mutter und ihre Tochter davor, Vicious zum Opfer zu fallen.
Doch gegen Ende der Folge kommt es zu diesem einen Moment, der mir die Figur Spike komplett versaut hat. Mit seinem kaltblütigen Mord an dem Mädchen begibt sich der vermeintliche Held auf das moralische Niveau von Vicious hinab. Von nun an war mir das Schicksal von Spike völlig egal. Wieso sollte ich im Finale überhaupt noch mit ihm mitfiebern? Spikes Schuss hinterließ nicht nur ein Loch in seinem Opfer, sondern auch in meiner emotionalen Involviertheit.
Zwar gab es mit Jet und Faye immerhin noch zwei Figuren, die mir was bedeuteten. Aber „Cowboy Bebop“ ist eben in erster Linie Spikes Geschichte – und die Hauptfigur mit einer einzigen Aktion so unsympathisch zu machen, dass es einem plötzlich egal ist, ob sie stirbt, lebt, leidet oder glücklich wird, ist einer der schnellsten Wege, um eine Serie belanglos zu machen.
See you Space Cowboy?
Nein, lieber nicht...
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Unsere Kolleg*innen von Moviepilot diskutieren in ihrem Podcast Streamgestöber spoilerfrei, ob die Netflix' Sci-Fi-Adaption von „Cowboy Bebop“ sowie die oft als möglicher „Game Of Thrones“-Ersatz betitelte Fantasy-Serie „Das Rad der Zeit“ auf Amazon Prime Video wirklich die von vielen erwarteten Highlights sind: