Für M. Night Shyamalan selbst hat es sich auf jeden Fall gelohnt – seit er seine Filme selbst finanziert (und die Budgets dabei bewusst niedrig hält), verdient sich der „The Sixth Sense“-Regisseur mit seinen Thriller-Mindfucks dumm und dämlich. Gut für ihn – das hat er sich nach dem ganzen Studio-Schlamassel um „Die Legende von Aang“ und „After Earth“ irgendwie auch verdient.
Aber tut es seinen Filmen auch künstlerisch gut? Bei dieser Frage kommen die FILMSTARTS-Redakteure Julius Vietzen und Christoph Petersen jedenfalls zu komplett unterschiedlichen Einschätzungen:
Contra: Der Do-It-Yourself-Stil funktioniert nicht (mehr)
Eine Meinung von Julius Vietzen
Nachdem er mit den teuren Möchtegern-Blockbustern „Die Legende von Aang“ und „After Earth“ auf die Schnauze gefallen ist, hat der bei den Studioentscheidern in Ungnade gefallene M. Night Shyamalan um das Jahr 2014 eine drastische Entscheidung gefällt: Statt um Budgets zu betteln, bezahlt er die Kosten für seine Filme seitdem einfach aus eigener Tasche, streicht dafür aber auch die Gewinne selbst ein. Und bei „The Visit“ (fünf Millionen Dollar Budget, 98 Millionen Dollar Einspiel) und „Split“ (neun Millionen / 278 Millionen) hat diese Do-It-Yourself-Vorgehensweise auch ganz wunderbar funktioniert – und das nicht nur finanziell.
Schließlich braucht man für einen kleinen, aber feinen Horror-Schocker wie „The Visit“ oder einen fiesen Psychothriller wie „Split“, der vor allem von James McAvoys schauspielerischer Glanzleistung als 24 verschiedene Persönlichkeiten von Kevin Wendell Crumb lebt, eben auch kein großes Budget. Doch bei „Glass“ hat Shyamalans Eigenfinanzierungsmodell für mich endgültig nicht mehr funktioniert – aus verschiedenen Gründen.
Öde Action, lahmer Horror
Zum einen zeigt sich das verhältnismäßig schmale Budget nämlich an den Action- und Horrorszenen. Zwar beginnt das erste Aufeinandertreffen der Bestie (James McAvoy) mit David Dunn (Bruce Willis) durchaus stark, besteht dann jedoch gefühlt nur noch daraus, dass sich die beiden Kontrahenten gegenseitig würgen, während Shyamalan zwischen ihren Perspektiven hin und her schneidet.
Auch beim zweiten Duell der übermenschlich starken Wesen blitzt immer mal wieder Shyamalans inszenatorische Klasse auf, etwa wenn die Bestie Dellen in die Seite eines Transporters hämmert, was dann aus der Perspektive der verängstigten Menschen im Fahrzeug gezeigt wird. Doch irgendwann artet der Kampf dann wieder in ödes Gewürge aus. Dass hier wie bei einem „Man Of Steel“ ganze Häuserblöcke plattgemacht werden, muss überhaupt nicht sein. Doch insgesamt waren mir beide Actionsequenzen viel zu dröge.
Bei den Horrorszenen ist es ähnlich. Als die Bestie während des Finales etwa einen Polizisten tötet, zieht sie diesen zwischen zwei geparkte Autos und der Zuschauer bekommt von dem Gemetzel nichts zu sehen. Wäre das die einzige derartige Szene, könnte man das vielleicht noch als clever inszenierten Schockmoment durchgehen lassen, der das Schlimmste der Fantasie des Zuschauers überlässt. Aber mir sind immer wieder ähnliche Szenen aufgefallen, bei denen womöglich auch aus Kostengründen Dinge nicht gezeigt wurden – und in der Häufung ist das dann nur noch langweilig.
Irrungen und Wirrungen
„Glass“ ist bei den internationalen Kritikern insgesamt längst nicht so gut weggekommen wie zuvor „The Visit“ und „Split“ – und das liegt in erster Linie daran daran, dass „Glass“ vor allem im Mittelteil eine einzige erzählerische Enttäuschung ist. Der ganze Teil in der Anstalt ist viel zu wirr und verquer geraten und ergibt spätestens nach dem ersten Twist - Dr. Ellie Staple (Sarah Paulson) gehört einer Geheimgesellschaft an, die die Existenz von Superhelden geheim halten will – für mich überhaupt keinen Sinn mehr: Wenn das wirklich das Ziel von Dr. Staple & Co ist, warum heuert man dann die wohl unfähigsten Wärter und Pfleger der Kinogeschichte an, um drei so gefährliche Individuen wie Kevin, David und Elijah (Samuel L. Jackson) zu bewachen? Nur dadurch wird nämlich der zweite, finale Twist möglich, in dem Elijah der Welt die Existenz von Superhelden offenbart – was aber so auch nicht funktioniert.
Im Interview hat uns Shyamalan verraten, dass Disney und Universal ihn bekniet hätten, für „Glass“ bezahlen zu dürfen, und dass er locker das Vierfache des Budgets hätte haben können. Ob mehr Geld geholfen hätte, darüber lässt sich streiten. Aber vielleicht hätte er das Angebot schon allein deswegen annehmen sollen, damit nochmal jemand über sein Drehbuch drüberliest.
Pro: Selbst zu bezahlen, bedeutet nicht nur die Freiheit, Scheiße zu bauen
Eine Meinung von Christoph Petersen
Wenn man in Hollywood mit einem Kreativen spricht, dann hat jeder von ihnen mehr als nur eine Horrorgeschichte über unfähige, absolut gar nichts kapierende, sich an Marktforschungsergebnisse oder Haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Traditionen klammernde, nur auf ihren eigenen finanziellen Vorteil bedachte oder auch einfach nur rückgratlos-feige Studioverantwortliche zu erzählen. Da kann es doch nur eine gute Idee sein, diese außer Geld kaum etwas Essentielles zur eigentlichen Arbeit beisteuernden Erbsenzähler aus dem kreativen Prozess herauszunehmen. Oder?
M. Night Shyamalan konnte „Unbreakable - Unzerbrechlich“, übrigens mein persönlicher Lieblingsfilm von ihm, damals überhaupt nur realisieren, weil er nach dem Megaerfolg „The Sixth Sense“ ein Stück weit als unfehlbar galt. Wobei ihm die Marketing-Verantwortlichen von Disney trotzdem noch ausgeredet haben, in der schließlich völlig am eigentlichen Werk vorbeischießenden Werbekampagne die Worte „Comic“ und „Superheld“ auch nur zu erwähnen. Dass „Glass“ jetzt längst nicht so gut geworden ist, hängt da für mich weniger mit der Finanzierungsmethode zusammen, als vielmehr mit dem Fakt, dass nicht jeder Film ein Volltreffer sein kann (und bei „The Visit“ und „Split“ hat es ja auch schon funktioniert).
Limitationen sind die wahre Würze
Aber viel wichtiger als die Freiheiten, die eine solche Selbstfinanzierungen eröffnet, finde ich ohnehin die Limitationen, die das Aus-der-eigenen-Tasche-Bezahlen eben auch mit sich bringt. Wenn ihm Universal oder Disney tatsächlich das Vierfache des Budgets zur Verfügung gestellt hätte, hätte das dem Film meiner Meinung nach aber eher geschadet als geholfen: Für mich ist gerade spannend, wie Shymalan die klassischen Erwartungen des Zuschauers an einen Superheldenfilm in „Glass“ konsequent unterläuft. Und auch Shyamalan selbst hat erkannt, dass er die Konkurrenz auf ihrem Feld, dem Wir-schmeißen-einfach-Unsummen-an-Geld-und-Effekten-auf-die-Leinwand, sowieso nicht schlagen kann.
Mit diesen Limitationen meine ich im Fall von „Glass“ auch nicht nur den Marvel-Tower-Tease: Schon früh im Film gibt es in Form einer Schlagzeile auf der Titelseite eines Architekturmagazins einen klaren Hinweis darauf, dass das Finale des Films – vergleichbar mit einem typischen Marvel-Showdown – auf dem neueröffneten höchsten Gebäude der Stadt stattfinden könnte. Stattdessen gibt es einen Schlusskampf auf einem schnöden Parkplatz. Vielmehr verzichtet Shyamalan auch bei der Inszenierung der einzelnen Actionszenen auf den schnellen Überwältigungseffekt zugunsten eines Spiels mit den Genrekonventionen. Es gibt MEHR als genug Comic-Blockbuster – da ist mir so ein Ansatz wie hier viel lieber. Und selbst wenn Shyamalan den an einigen Stellen nur gewählt haben sollte, um seinen eigenen Geldbeutel zu schonen, was ich übrigens nicht glaube: Wenn interessierts? Das Ergebnis zählt. (Nur bei der bisweilen mauen CGI-Qualität fällt mir leider auch keine Entschuldigung ein.)
GlassDies ist eine Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.