+++ Meinung +++
Filmeschauen war nie einfacher als heute. Für ein paar Euro im Monat bekommt man bereits Streaming-Abos, die einem unzählige Filme und Serien auf dem Silbertablett servieren. Und ich muss dafür noch nicht mal aufstehen! Gefällt mir irgendetwas nicht, breche ich einfach ab und spring zum nächsten. Ach, haben wir’s nicht gut? Vielleicht ein bisschen zu gut.
Zugegeben, ich kam wohl etwas zu spät auf die Welt (1989), um die Magie der Videotheken in vollem Umfang zu erfassen. Trotzdem gab es in meiner Jugend praktisch nur zwei Anlaufstellen, wo ich genau das tun konnte, was mir auch Spaß machte – den Bolzplatz um die Ecke und die Videothek, die praktischerweise auf dem Weg lag. Die Verleihneuheiten waren lange Zeit der einzige Grund für mich, Filmmagazine zu kaufen oder überhaupt einen Kalender zu besitzen. Immerhin musste man schnell sein, wenn die brandaktuellen Must-Sees frisch in den Regalen landeten.
Und wenn man doch mal leer ausging, hat man eben irgendeinen anderen Film mitgenommen, eine Ewigkeit mit dem Ober-Nerd hinter der Theke gequatscht, der einen besser verstand als die eigene Mutter – oder vielleicht sogar darauf gewartet, bis der gewünschte Film zurückgegeben wurde. So lange kann das ja nicht dauern.
Aber ganz egal, ob ihr in den 80ern mehr Zeit in den Gängen eurer Stamm-Videothek als in der Schule verbracht habt oder ob ihr euch so gar nicht vorstellen könnt, dass Menschen früher das Haus verlassen mussten, um sich einen Film zu leihen – „The Last Blockbuster“ ist für die einen Nostalgie pur und für die anderen die vielleicht spannendste Geschichtsstunde ihres Lebens.
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Darum geht’s in "The Last Blockbuster"
Der Titel verrät es schon: Im Zentrum der Dokumentation steht die allerletzte von einst über 9.000 Blockbuster-Filialen, der größten Videotheken-Kette aller Zeiten. Im amerikanischen Bend, Oregon kämpft Betreiberin Sandi nämlich bis heute tapfer ums Überleben des letzten Relikts einer vergangenen Zeit – und lockt mit ausgefallenen Hollywood-Memorabilia wie Russell Crowes Roben aus „Das Comeback“ oder „Les Misérables“ nicht nur jede Menge Tourist*innen an. Darüber hinaus bastelt die Blockbuster Mom auch noch an unterschiedlichsten Merchandise-Artikeln, die sie in alle Welt verkauft. (Ich hab’ mir letzte Woche übrigens zwei Blockbuster-Caps bestellt. Yay!)
Für alle Zuschauerinnen und Zuschauer, die mit der Geschichte des einstigen Leih-Riesen weniger vertraut sind, fasst Regisseur Taylor Morden außerdem die entscheidenden Höhepunkte und Tiefschläge zusammen, die Blockbuster im Laufe der Zeit erlebte – bis hin zum bitteren (Fast-)Ende. Bitter für prominente Nerds wie unter anderem „Dogma“-Macher Kevin Smith und Comedian Ron Funches, die in „The Last Blockbuster“ in Erinnerungen schwelgen. Weniger bitter für Troma-Schöpfer Lloyd Kaufman, der kein gutes Haar an dem Konzern lässt – immerhin war er es, der seine Filme nie ins Sortiment nehmen wollte. Ja, nicht mal „Toxic Avenger“!
Ein bittersüßer Nostalgie-Trip
Ich bin Filmsammler, aber ich streame auch – gerne und immer häufiger. Dinge verändern sich nun mal, ob man das nun will oder nicht. Zur Früher-war-alles-besser-Fraktion, die jedweden Wandel schon ablehnt, sobald er sich auch nur abzeichnet, zähle ich mich wirklich nicht. Doch auch wenn Filme leihen heute einfacher denn je ist, können Netflix, Amazon & Co. das Erlebnis eines Videothekengangs einfach nicht ersetzen.
Und genau das zelebriert „The Last Blockbuster“ nicht nur charmant, sondern vor allem auf Augenhöhe mit dem Publikum, dass es sich beinahe so anfühlt, als würde man wieder in seiner alten Stammvideothek stehen. Wenn auch nur einige Minuten. Spätestens der Abspann holt einen dann aber wieder zurück in die Realität. Ja, es wird wohl nie wieder so, wie es einmal war.
Klar, auf Streaming-Plattformen werden einem auch haufenweise Tipps um die Ohren gehauen, die ein Algorithmus anhand meiner geschauten Inhalte errechnet. Aber niemand kennt meinen Filmgeschmack so gut wie mein Lieblings-Videothekar, der mir Woche für Woche haufenweise Filme in die Hand drückt, mich und meinen Filmgeschmack bei stundenlangen Gesprächen über indizierte Splatter und Martial-Arts-Klopper, über Jackie Chan und Takashi Miike kennenlernt und mir sofort ansieht, nach welcher Art Film mir ist, sobald ich auch nur mit einem Bein in seiner Tür stehe. Noch bevor ich es selbst überhaupt weiß.
Netflix ruiniert das Heimkino-Erlebnis: Darum lohnen sich DVD & Blu-ray nach wie vor!Während man sich bei gewissen Experten, die in „The Last Blockbuster“ zu Wort kommen, durchaus fragen könnte, ob sie bei den Aufnahmen nüchtern waren – aber gab’s solche Leute zum Wochenende nicht auch in jeder Videothek? –, geht einem das Herz auf, wenn Schauspieler wie Samm Levine („Nicht noch ein Teenie-Film“), Paul Scheer („Piranha 3D“) und Brian Posehn („The Big Bang Theory“) von ihren Blockbuster-Erfahrungen erzählen – und zwar nicht nur als Kunden, sondern auch als Mitarbeiter.
Denn was kann es Schöneres geben, als seine (Film-)Leidenschaft zum Beruf zu machen? Mir fällt nicht viel ein. Ich bin auf dem Weg zum Hollywoodstar zwar in der FILMSTARTS-Redaktion hängengeblieben, aber selbst das hätte ich mir nie erträumt.
Die Videothek ist tot – lang lebe die Videothek!
Das Videotheken-Sterben ist so gut wie rum – denn kaum eine konnte sich bis heute halten. Und wenn doch, dann wird in vielen Fällen Corona wohl sein Übriges tun. Manche werden aber auch das überleben, vielleicht sogar eine in eurer Nähe. Und dann könnte „The Last Blockbuster“ der Film sein, der euch dazu bewegt, vielleicht mal vorbeizuschauen, zu fachsimpeln, einen Film zu leihen oder einfach nur verträumt durch die Gänge zu streifen. Sei es zum ersten oder zum letzten Mal.
Es ist so traurig wie passend zu gleich, dass ausgerechnet ein Film über das Ende der Videotheken-Ära direkt als Stream erscheint. Wenn er den ein oder anderen aber nicht nur in Erinnerungen schwelgen lässt, sondern vielleicht auch wieder mal in eine Videothek lockt, haben sich die Streaming-Kosten schon gelohnt. Und selbst wenn nicht: Die knapp 90-minütige Zeitreise zurück in eine Welt, in der Filme noch zurückgespult werden mussten und eine geheimnisvolle Doppeltür die Pforte ins Reich des Verbotenen war, ist jeden einzelnen Cent der Leihgebühr wert.
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