Das Ziel des Taiwan Film Fest ist es, Berlin und Taipeh auch kulturell miteinander ins Gespräch kommen zu lassen – aber das geht in diesem Jahr leider nicht von Angesicht zu Angesicht. Deshalb muss die zweite Ausgabe des jungen Festivals nun online stattfinden. Trotzdem wird es nicht einfach nur die neun Filme aus dem Programm online zu sehen geben: Interviews mit den Filmemachern sowie weitere Gesprächsrunden (etwa über taiwanesische B-Movies) und die Eröffnung mit zeitgenössischer Konzertmusik aus Taiwan wurden vorab für das Festival aufgezeichnet.
Wir haben uns bereits einige Beiträge aus dem diesjährigen Programm, das vier thematische Doppelprogramme und die Schwarzbären-Doku „Formosan B.B. Is Coming“ als Special Selection umfasst, vorab angesehen. Dabei sind wir auf drei Filme gestoßen, die wir euch – aus völlig verschiedenen Gründen – besonders ans Herz legen möchten (ein Pass für das komplette Festival mit allen Filmen und Videos kostet 15,40 Euro):
Rettet den Schwarzbären:
„Formosan B.B. Is Coming“ von Jue-Ming Mai
Die Dokumentation begleitet die Biologin Hwang Mei-hsiu über fast zehn Jahre hinweg bei ihren Forschungsexpeditionen in die taiwanesischen Berge, wo sie den Bestand und die Verhaltensweisen des taiwanesischen Schwarzbären (Formosan Schwarzbär) erforscht. Ihr Arbeit ist aber nicht nur wissenschaftlich, sondern auch aktivistisch – schließlich verlieren die zottelig-majestätischen Tiere immer größere Teile ihres natürlichen Lebensraums. Ein aufrüttelnder Film mit Aufnahmen wilder Schwarzbären, denen man wohl noch nie so nahegekommen ist wie hier. Bildgewaltig und berührend.
Die Geburtsstunde eines Auteurs:
„Ice Poison“ von Midi Z
Der in Myanmar geborene Taiwanese Midi Z ist einer der im Festivalzirkus aktuell angesagtesten Dokumentaristen und Spielfilmregisseure seiner Heimat – gerade seit sein neuer Film „Nina Wu“ über eine Schauspielerin, die beim Dreh eines Spionage-Blockbusters gnadenlos ausgenutzt wird, bei den Filmfestspielen in Cannes für Furore gesorgt hat (der Film startet im September auch regulär in den deutschen Kinos). Da ist es nur logisch, dass das Taiwan Film Fest ihm nun mit zwei seiner früheren Filme ein eigenes Spotlight widmet: Neben seiner Dokumentation „Jade City“ über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Jademinen in Myanmar wird außerdem der mit Mitteln des Dokumentarfilms arbeitende Spielfilm „Ice Poison“ gezeigt:
In Myanmar, ganz in der Nähe der Grenze zu China, verpfändet ein armer Bauernjunge seine letzte Kuh, um sich stattdessen als Scooter-Fahrer eine vermeintlich bessere Existenz aufzubauen. Zugleich kommt eine junge Frau zur Beerdigung ihres Großvaters nach Myanmar zurück, nachdem sie unter Vortäuschung falscher Tatsachen an einen doppelt so alten Mann in China verheiratet wurde. Die beiden einsamen Seelen nähern sich beim Karaoke an – und wer deshalb jetzt gefühligen Armuts-Kitsch erwartet, ist völlig falsch gewickelt: „Ice Poison“ ist ein konsequenter Downer, der einen am Ende ohne jede (falsche) Illusion ziemlich verzeifelt zurücklässt. Ein gnadenloser, aber gerade deshalb so sehenswerter Film.
Propaganda im Gegenzug für Sex und Gewalt:
„On The Society File Of Shanghai“ von Chu-Chin Wang
Zu Beginn der Achtzigerjahre wollten einige taiwanesische Filmemacher gerne mehr Sex und Gewalt zeigen, um ihre B-Movies nicht nur in Taiwan, sondern per Hong Kong auch auf dem internationalen Filmmarkt besser verkaufen zu können. Aber damit hätten sie bei den staatlichen Zensoren schlechte Karten gehabt – zumindest bis sie einen genialen Einfall hatten: Sie drehten einfach „sozialrealistische“ Filme, in denen die Missstände im kommunistischen China angeprangert wurden – und als Austausch für diese willkommene anti-chinesische Propaganda haben die Zensoren dann eben in Sachen Sex und Gewalt ein Auge zugedrückt.
Im Rahmen des Festivals läuft nun die Doku „Taiwan B-Movies“ über diese Epoche des taiwanesischen (Schmuddel-)Kinos. Aber während wir die sehr simpel und nicht wirklich tiefgehende Doku nur bedingt empfehlen können, läuft mit „On The Society File Of Shanghai“ von 1981 auch einer der ersten und zugleich besten Vertreter dieser Strömung: Wenn B-Movie-Superstar Hsiao-Fen Lu nicht wie üblich ihrem Widersacher, sondern im Wahn sich selbst ein Messer in die Brust rammt, ist das eine der ikonischsten Einstellung des taiwanesischen Kinos – und deshalb logischerweise auch das Postermotiv des Films:
Alle weiteren Infos zum Taiwan Film Festival 2020, das vom 21. – 30. August 2020 online veranstaltet wird, findet ihr auf der offiziellen Homepage des Festivals.