+++ Meinung +++
Ich bin 1985 geboren. Die Science-Fiction-Geschichten meiner Kindheit und Jugend handelten von Killer-Robotern aus der Zukunft („Terminator“), von Raumschiffen aus der sehr weit entfernten Zukunft („Star Trek“) oder von Kampfkünstlern, die coole Brillen trugen („Matrix“). 2002 aber sah ich mit Steven Spielbergs „Minority Report“ einen Sci-Fi-Film im Kino, der herausstach.
Alle genannten Filme und Serien haben ihre Reize, aber „Minority Report“ begeisterte mich auch deswegen, weil ich mir vorstellen konnte, durch diesen Film wirklich in die Zukunft zu schauen.
In großen Sience-Fiction-Erzählungen des 20. Jahrhunderts wurde sehr weit nach vorne geblickt – man denke an „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley, an Frank Herberts „Dune“ oder an „Star Trek“. Jüngere Vertreter wie „Minority Report“ aber entwerfen eine Zukunft, die schon begonnen hat.
Zwar mögen manche Aspekte der Handlung bis auf Weiteres reine Fantasie bleiben (etwa, dass begabte Menschen in die Zukunft gucken und die Polizei so Verbrechen verhindern kann). Selbstfahrende Autos aber und die Allgegenwart personalisierter Werbung erwiesen sich als treffsichere Prognosen.
Ähnlich verhielt es sich mit der dystopischen Tech-Serie „Black Mirror“, die zunächst nur im englischen Fernsehen lief und mittlerweile bei Netflix beheimatet ist. Viele der Folgen sind unheimlich, weil unheimlich nah dran an unserer Gegenwart – zum Beispiel Episode 1 aus Staffel 3 („Abgestürzt“), in der alle Menschen gegenseitig ihr Sozialverhalten per App bewerten, wovon Jobs und Kredite abhängen.
Auch die neue Amazon-Prime-Video-Serie „Upload“, die gerne als „das nettere ‚Black Mirror‘“ beschrieben wird, zeigt eine Zukunft, die greifbar erscheint.
Das macht für mich einen Teil der Faszination dieser Serie aus (sie ist außerdem witzig, charmant und spannend, also solltet ihr sie auch gucken, wenn euch Science Fiction am Arsch vorbeigeht – dann einfach Artikel verlassen und direkt mit dem Schauen beginnen).
Digitale Lebensverlängerung
In „Upload“ stirbt der Protagonist Nathan (Robbie Amell aus „The Duff“) direkt in der ersten Folge. Das ist kein Schocker der Marke „Game Of Thrones“, sondern setzt die Haupthandlung in Gang. Nathan wird auf Anweisung seiner Freundin, der stinkreichen Ingrid (Allegra Edwards), kurz vor seinem Tod in eine digitale Welt transferiert: in die virtuelle Realität eines teuren Hotelkomplexes an einem lauschigen Bergsee.
Nathan gehört zu den Menschen, deren Bewusstseine digitalisiert werden, damit sie ewig weiterleben können, oder besser: so lange, wie ihre Lieben bereit sind, dafür zu zahlen und die Server nicht abrauchen.
Er kann in dem Luxushotel sämtliche Annehmlichkeiten nutzen, bleibt Mensch mit allen Bedürfnissen (andernfalls würde der menschliche Geist durchdrehen) und darf nach Belieben in die echte Welt videotelefonieren – sodass er sogar auf seiner eigenen Beerdigung zu Gast sein wird.
Technik, wie wir sie heute jeden Tag nutzen, macht unser Leben beherrschbarer. Nur logisch, wenn wir damit auch den Tod beherrschen wollen. Dieses Vorhaben aber bringt Probleme mit sich. So passt es etwa nicht zur Vorstellung der großen Weltreligionen:
In „Upload“ weigert sich ein kranker Papa (Chris Williams), hochgeladen zu werden – er glaubt an Gott und daran, dass menschliche Seelen nach dem Tod in den Himmel kommen (die Menschen im Digitalhotel wären demnach seelenlos).
Aber die Probleme sind auch viel profaner – und damit umso nachvollziehbarer: „Upload“-Serienschöpfer Greg Daniel („Parks And Recreation“) und sein Autorenteam haben sich eine künstliche Hotelwelt ausgedacht, die vor allem deswegen so glaubwürdig ist, weil sie nervt wie eine echte App: Die besonders verlockenden Dinge im virtuellen Hotel kosten nämlich extra, als In-App-Käufe.
Selbstfahrende Autos – und Fahrräder!
In „Upload“ fahren die Autos selber – und Science Fiction ist das im Grunde nur wegen des kompakten, kurvigen Designs der Fahrzeuge. Im beschaulichen Berliner Ortsteil Tegel etwa testet das lokale Bus- und Bahnunternehmen BVG schon längst einen selbstfahrenden Kleinbus.
Meinen „DAS WILL ICH AUCH“-Moment aber hatte ich, als in der ersten Folge „Upload“ ein geliehenes Fahrrad abgestellt wird, um dann selbstständig dahin zu fahren, wo es eben als nächstes gebraucht wird.
Der soziale Faktor
Es gibt in „Upload“ weitere Technik zu bestaunen, die uns Gegenwarts-Menschen ziemlich altbacken aussehen lässt: Smartphones etwa sind in der Serie Hologramme zwischen gespreiztem Zeigefinger und Daumen (es ist halt umständlich, wie wir ständig unser Telefon aus der Tasche kramen). Aber bei allem Optimismus besteht in „Upload“ dennoch kein Zweifel: Technischer Fortschritt alleine wird unser Leben nicht besser machen.
Große Technologie-Konzerne wie Google oder Apple erwecken gerne den Eindruck, mit ihren Produkten eine bessere, weil effizientere und gebildetere Welt zu schaffen. Man muss kein Fan von Karl Marx sein, der die sozialen Verwerfungen der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts erlebte und zur Grundlage seiner Forderungen machte, um einzugestehen:
Neue Produkte, ob Eisenbahn, Smartphone oder virtuelle Realität, können von sich aus keine Armut bekämpfen – das müssen die Menschen schön alleine machen.
Nathan lebt nach dem „Upload“ in einer Luxuswelt, weil die Familie seiner Freundin sehr reich ist. Die Mitarbeiter der Firma, die sich um diese Luxuswelt kümmern, bekommen dagegen dermaßen wenig Geld, dass es für die zweite Serien-Hauptfigur Nora (Andy Allo) gerade mal dazu reicht, sich ein kleines New Yorker Apartment mit einer Mitbewohnerin zu teilen (immerhin kann Nora, während die Mitbewohnerin im selben Zimmer mit einem Typen vögelt, hinter einer VR-Brille verschwinden). Nora und ihre Kollegen sind die Uber-Fahrer von morgen:
Mies bezahlte Arbeiter, die reicheren Menschen eine virtuelle Dekadenz ermöglichen.
Alle zehn Folgen der ersten Staffel „Upload“ sind auf Amazon Prime Video verfügbar*. Eine zweite Staffel ist geplant.
*Bei dem Link zum Angebot von Amazon handelt es sich um einen sogenannten Affiliate-Link. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision.