„American Horror Story“, „American Crime Story“, „9-1-1 - Notruf L.A.“ (+ Spin-off), „Pose“, „The Politician“: Ryan Murphy hat als Autor, Produzent und/oder Regisseur gerade so viele erfolgreiche Serien gleichzeitig am Laufen wie kaum ein anderer Serienmacher. Kein Wunder also, dass sich Netflix inzwischen die Dienste des Hit-Garanten für eine stolze Summe von 250 bis 300 Millionen Dollar gesichert hat.
Neue Formate wird Murphy nun exklusiv für den Streamingdienst entwickeln. Nachdem die lukrative Kooperation vergangenes Jahr launig mit „The Politician“ gestartet ist, folgt jetzt Murphys zweiter fiktionaler Netflix-Streich – mit dem sich der Workaholic nun aber etwas übernommen zu haben scheint. „Hollywood“, das Murphy zusammen mit seinem „Glee“-Co-Schöpfer Ian Brennan kreiert hat, ist ein halbherziges naives Märchen – dessen halbes Herz aber zumindest am rechten Fleck schlägt.
Darum geht's in "Hollywood"
Los Angeles, 1947: In der Goldenen Ära Hollywoods träumen allerlei aufstrebende Talente von einer schillernden Karriere in der Traumfabrik, darunter der unerfahrene Schönling Jack (David Corenswet), der Jung-Regisseur Raymond (Darren Criss), der afroamerikanische Autoren-Newcomer Archie (Jeremy Pope), die bislang zu Dienstmädchen-Rollen verdammte Schauspielerin Camille (Laura Harrier) und der talentfreie, aber herzensgute Rock Hudson (Jake Picking).
Unter anderem wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung werden ihnen in einem von Vorurteilen durchzogenen System auf dem Weg nach oben jedoch immer wieder Steine in den Weg gelegt... so zumindest die zunächst behauptete Prämisse in „Hollywood“...
Die Macht der Filme
Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen: Jedes noch so unüberwindbar scheinende Problem löst sich in „Hollywood“ (mitunter von einer Szene zur nächsten) in Wohlgefallen auf. Mit fortlaufender Folgenzahl wird deutlich, dass sich Ryan Murphy und sein Team hier ganz bewusst dazu entschieden haben, die Traumfabrik als genau das darzustellen: eine idealisierte Wunschvorstellung, in der jegliche Vorbehalte bezwungen werden, wenn man nur an sich glaubt (und natürlich toll aussieht) und es schafft, sich ins Rampenlicht zu rücken. Kritische Randbemerkungen zur Verrohung der Filmindustrie werden zwar durchaus eingestreut, haben so aber nur wenig Gewicht, da sie nur in den allerseltensten Fällen konsequent zu Ende geführt werden.
Da werden von den angehenden Filmschaffenden zwar wiederholt sexuelle Gefälligkeiten eingefordert, um ihre Karriere zu fördern, doch mal ganz davon abgesehen, dass solche Einschübe oftmals einen befremdlich witzigen Unterton bekommen, werden sie keineswegs genutzt, um das System Hollywood als Ganzes anzuprangern. Und selbst die Einzel-Täter kommen in diesen Fällen sehr glimpflich davon, sind sie doch im Innern auch bloß arme Seelen, die es einfach nur zu läutern gilt.
Spätestens wenn Ex-Präsidenten-Gattin und Aktivistin Eleanor Roosevelt (!) an einer Stelle den Verantwortlichen des im Zentrum stehenden Filmstudios erklärt, dass die Regierung wohl nicht mehr im Stande ist, die Welt grundlegend zu verändern, die Filmemacher allerdings schon, sollte klar sein, in was für einer Fantasie-Welt wir uns hier bewegen.
Heile Hollywood-Welt
Das alles geht sogar so weit, dass die reale (Film-)Geschichte irgendwann komplett über Bord geworfen wird und uns Murphy eine alternative heile Welt präsentiert, in der die Massen von der Macht des Films im Handumdrehen von progressiven Ideen im Sturm erobert werden. Ein offen schwules Pärchen bei der Oscarverleihung 1948 (!), eine von (fast) allen gefeierte schwarze Hauptdarstellerin einer Hollywood-Großproduktion ein Jahrzehnt vor Rosa Parks? In „Hollywood“ ist alles möglich.
Ein Nachspiel hat hier so gut wie nichts. Da brennt zwar mal ein Kreuz vor den Häusern unserer Protagonisten, gibt es Proteste vor’m Filmstudio, ist in Nebensätzen von Todesdrohungen die Rede oder verlässt eine Person von Hunderten den Saal bei einem homosexuellen Kuss.
Doch wird all das nur pflichtschuldig abgehakt, ohne dass es eine wirkliche Relevanz für die Handlung hat – entweder weil es einfach so abgetan oder schlichtweg nie wieder erwähnt wird. Das hat bisweilen sogar den unerfreulichen gegenteiligen Effekt, dass bis heute spürbare Missstände wie Rassismus und Schwulenfeindlichkeit heruntergespielt werden, fast schon etwas aufgesetzt wirken, da am Ende ohne großes Zutun doch sowieso alles (ja, wirklich alles!) gut wird.
Naiver Charme ...
Dabei ist gegen den grundlegenden Ansatz von „Hollywood“ nicht mal etwas einzuwenden. Dass der (alles andere als subtile) Aufruf zu mehr Toleranz und stärkere Repräsentation von Minderheiten im Filmgeschäft ein ehrenhafter ist, steht ohnehin völlig außer Frage.
Tatsächlich versprüht die Serie (trotz fragwürdiger Romantisierung von Prostitution) gerade eingangs so auch einen einnehmenden Charme, der gepaart mit dem Tinseltown-Flair das Tor in eine fast schon magische Welt zunächst einmal weit öffnet – auch nicht zuletzt dank der über jeden Zweifel erhabenen Ausstattung und der durchweg tollen Jungdarsteller (obgleich Ex-„Big Bang Theory“-Star Jim Parsons als schmieriger Agent und „Two And A Half Men“-Mutter Holland Taylor als smarte Casting-Chefin ihnen mehr als einmal die Show stehlen).
Dass man ganz gezielt nicht den Weg von zerplatzenden Filmkarriere-Träumen geht, sondern diese durch die Bank weg wahr werden, mag naiv sein, ist aber als Feel-Good-Alternative zu Hollywood-Abgesängen durchaus erfrischend. Allerdings wird auch das irgendwann zum vorhersehbaren und ermüdenden Muster, zumal die Geschichte mit fortschreitender Handlung immer schlampiger geschrieben ist.
... der schließlich verpufft
Es ist zunächst fast schon drollig, wie sich für die charmanten Hauptfiguren alles nach ihren Wünschen zu fügen scheint, doch der Weg dorthin wird irgendwann nicht mal mehr im Ansatz nachvollziehbar illustriert. Auf eine wirkliche Entwicklung von Charakteren und Geschichte wird bald einfach nur gepfiffen. Beziehungen, Befindlichkeiten und Erfolge sind oftmals urplötzlich einfach da, sodass man sich anhand der Sprünge manchmal gar fragt, ob man gerade nicht (mindestens!) eine Folge verpasst hat.
Wenn sich das dann auch in mitunter stark schwankenden Figurengesinnungen und -entscheidungen äußert und man kaum ein Gespür dafür bekommt, wie hart sich die angehenden Film-Stars ihre Triumphe erkämpft haben, fällt es endgültig schwer, noch irgendeine Bindung zum ohnehin recht überzogenen Geschehen aufrecht zu erhalten. Murphy und seine Co-Autoren haben ein klares Ziel vor Augen, dem sie letztlich ohne Rücksicht auf Plausibiltäts-Verluste entgegenhetzen.
Selbstverständlich hätten wir eine bessere (Film-)Welt, wenn Hollywood schon früher progressiver und toleranter gewesen wäre. Nur schade, dass die Macher nichts zu sagen haben, was über diese Binsenweisheit hinausgeht.
Fazit
Dass „Hollywood“ uns größtenteils eine „Was wäre, wenn...“-Märchen-Version der Traumfabrik präsentiert und dabei sehr dick aufträgt, ist geschenkt, streckenweise sogar charmant. Allerdings vergessen die Serien-Macher um Hit-Produzent Ryan Murphy dabei, das Ganze in eine kohärente und in sich konsistene Erzählung zu packen, was für die löbliche Botschaft und den emotionalen Punch bisweilen gar kontraproduktiv ist. So bleibt die Miniserie letztlich so oberflächlich wie Hollywood selbst.
Alle sieben Folgen von „Hollywood“ können ab sofort bei Netflix abgerufen werden.