So haben sich das alle Beteiligten natürlich nicht vorgestellt: Statt vor 80.000 Zuschauern fand das größte Wrestling-Event des Jahres an den vergangenen zwei Abenden in einer Trainings-Turnhalle vor einer Handvoll Kameraleute statt. Echtes WrestleMania-Feeling kam bei dieser Corona-Notlösung trotz einiger starker Matches wie dem im Stil eines 80er-Jahre-B-Movies aufgemachten Boneyard Match zwischen AJ Styles und dem Undertaker wie erwartet nicht auf.
Dabei war der Plan nur logisch, die breit angelegte Partnerschaft, in deren Rahmen die WWE gleich eine ganze Reihe von familienfreundlichen Filmen und Serien mit Wrestling-Thematik für Netflix produzieren wird, direkt im Anschluss an WrestleMania zu starten: Die erste Staffel der Sitcom „The Big Show Show“ startet nur wenige Stunden nach dem letzten Match – der erste Film „Mein WWE Main Event“ folgt am kommenden Freitag pünktlich zum verlängerten Osterwochenende:
Marketingtechnisch wird sich die Kooperation trotz Mini-WrestleMania sicherlich für beide Seiten auszahlen. Die Frage ist nur: Steigt auch der Netflix-Abonnent als Gewinner aus dem Ring? Oder wird er von den beiden Entertainment-Giganten im Staub liegengelassen?
Was taugt "The Big Show Show"?
In „The Big Big Show“ spielt der reale Ex-WWE-Superstar Paul Donald Wight II alias The Big Show eine fiktionalisierte Version von sich selbst. Nach dem Ende seiner Wrestling-Karriere will er sich mit seiner Frau Cassy (eine schrecklich künstliche Sitcom-Performance: Allison Munn) und den zwei gemeinsamen Töchtern Mandy (Lily Brooks O'Briant) und J.J. (Juliet Donenfeld) in Tampa zur Ruhe setzen. Zudem hat sich auch noch seine Teenager-Tochter Lola (Reylynn Caster) aus einer früheren Ehe angekündigt, weil ihre Mutter beruflich nach Belgien zieht und sie deshalb zukünftig bei ihrem Vater und seiner Familie leben soll...
Der 2,13 Meter große und mehr als 170 Kilogramm schwere The Big Show (alle Episodennamen der ersten Staffel beginnen mit „The Big ...“) inmitten von vier halb so hohen und ein Viertel so schweren Frauen – das mutet erst einmal amüsant an. Aber der Gag mit den Größenunterschieden wird schon in der ersten Folge zu Tode geritten. Und in den nächsten sieben Folgen kommt dann leider kaum noch was Neues dazu: Statt die Absurdität des ganzen Formats zu unterstreichen, erweist sich „The Big Show Show“ als typische Familien-Sitcom, in der jede Episode mit einem meist aus dem Hut gezauberten, moralinsauren Happy End schließt.
Zu den WWE-Gaststars der ersten Staffel zählt unter anderem Mick Foley – einer der wahnsinnigsten Wrestling-Badasses aller Zeiten, der seine Widersacher eine Zeitlang mit einer sprechenden Socke (!) als Finishing Move auf die Bretter schickte. Aber selbst Foley wird in das kreuzbrave Sitcom-Format gezwängt – der ganze Gag seiner Episode dreht sich darum, dass er The Big Show eine Meeresfrüchte-Platte wegisst.
Der einzige Aspekt, mit dem sich „The Big Show Show“ ein winziges bisschen aus dem Fenster lehnt, sind die zahllosen Popkultur-Verweise – die sind nämlich mitunter derart spezifisch (von Mandys Vorbildern RBG und Leslie Knope bis hin zu Lin-Manuel Mirandas American-Express-Spot), dass gerade außerhalb der USA viele Gags gar nicht beim Durchschnittszuschauer ankommen werden (wir haben die Serie nur im englischen Original gesehen, es kann also durchaus sein, dass die Gags auch inhaltlich „eingedeutscht“ werden).
Fazit:
Die pure Sitcom-Künstlichkeit wird nur hin und wieder von Paul Donald Wight II alias The Big Show durchbrochen, der als Schauspieler zum Glück (!) nicht gut genug ist, um seine Rolle genauso mechanisch runterzureißen wie die anderen Cast-Mitglieder. Die Gastauftritte anderer Wrestler werden bisher ebenso verschenkt wie die von Kult-Co-Star Jaleel White aka Steve Urkel aus „Alle unter einem Dach“. So bleibt nur Juliet Donenfeld als jüngste Tochter J.J., die ihre Versetzung in die Begabtenklasse nutzt, um als eine Art Bond-Bösewicht-Mastermind einen nur aus Genies bestehenden Grundschüler-Verbrecherring zu gründen, als zuverlässiger Gag-Lieferant – aber auf Dauer ist das einfach viel zu wenig.