Nach „The Dark Knight“ von 2008 schien es eine Zeit lang so, als würde ganz Hollywood versuchen, die von Christopher Nolan salonfähig gemachte Formel des ernsthaften, bodenständigen und realistischen Blockbuster-Epos zu kopieren. Es gab kaum einen neu angekündigten Superhelden-, Fantasy- oder Science-Fiction-Film, bei dem nicht im Vorfeld der Vergleich mit dem großen Vorbild gewagt wurde.
Doch so richtig wurde dieses Versprechen nie eingelöst. Das liegt zum einen daran, dass kaum einer dieser hoffnungsvollen Nachfolger an die inhaltliche, thematische und filmische Qualität von Nolans revolutionärer „The Dark Knight“-Trilogie anknüpfen konnte. Auch nicht das nach „The Dark Knight Rises“ mit „Man Of Steel“ begonnene DCEU, das zwar anfangs tonal ähnlich düster war, jedoch auch wesentlich fantastischer und übernatürlicher.
Das MCU sticht "The Dark Knight" aus
Dass es lange Zeit keinen Film gab, der das Erbe von Nolans Trilogie antrat, liegt aber zum anderen auch daran, dass 2008 ein gewisser Film mit dem Titel „Iron Man“ in die Kinos kam, der damals fast ein wenig im Schatten von „The Dark Knight“ zu verschwinden drohte. Zum Vergleich: „Iron Man“ spielte 2008 „nur“ 585 Millionen Dollar weltweit ein und wurde für zwei Oscars nominiert, während „The Dark Knight“ mehr als eine Milliarde einspielte, mit zwei Oscars ausgezeichnet und für sechs weitere nominiert wurde.
Doch mit „Iron Man“ legte Kevin Feige eben auch den Grundstein für das Marvel Cinematic Universe (MCU), das das Superhelden-Kino im Speziellen und das Blockbuster-Kino im Allgemeinen für immer verändern sollte. Auch wenn der Erfolg von „The Dark Knight“ vielleicht zunächst größer war, hatte der im selben Jahr gestartete „Iron Man“ somit auf lange Sicht doch den größeren Einfluss.
Denn spätestens nach dem gewaltigen Erfolg von „The Avengers“, der interessanterweise im selben Jahr wie „The Dark Knight Rises“ in die Kinos kam, wollte plötzlich kein Studio mehr den nächsten „The Dark Knight“ in die Kinos bringen, sondern die Erfolgsformel des MCU kopieren: Ein untereinander verbundenes Filmuniversum, das in einem großen Team-Up-Film mündete (dieser Versuch ist bisher übrigens genauso erfolglos geblieben).
So tritt "Joker" das Erbe von "The Dark Knight" an
So erklärt sich wohl, warum es mehr als sieben Jahre gedauert hat, bis mit „Joker“ ein Film wieder an die Machart der „The Dark Knight“-Trilogie anknüpft. Die Ähnlichkeiten sind kaum von der Hand zu weisen: Hildur Guðnadóttirs Filmmusik, die irgendwo zwischen „Game Of Thrones“ und Hans Zimmer schwankt. Lawrence Shers großartige, düstere-realistische Bilder, bei denen sich sogar immer wieder visuelle Parallelen finden (Joker im Polizeiauto, Joker im Taxi dort).
Vor allem aber ist es der Realismusgrad, der an die „The Dark Knight“-Trilogie erinnert. Nolan gelang es darin, das Konzept eines Milliardärs, der im Fledermauskostüm auf Verbrecherjagd geht, so glaubwürdig und bodenständig zu verpacken, dass er sogar die Zuschauer überzeugte, die sonst nichts mit Superhelden am Hut haben.
Regisseur Todd Phillips wagt sich in „Joker“ hingegen daran, dem wohl berühmtesten Comic-Bösewicht eine realistische, nachvollziehbare und sogar irgendwie Mitleid erregende Hintergrundgeschichte zu verpassen. Und in gewisser Weise geht Phillips sogar noch einen Schritt weiter: Denn während die „The Dark Knight“-Trilogie bei aller Bodenständigkeit immer noch eine Actionfilmreihe war, hat das weitgehend actionfreie Drama „Joker“ noch weniger Berührungspunkte mit eher klassischen Superheldenfilmen.
Und der Erfolg gibt Phillips recht: „Joker“ befindet sich aktuell auf gutem Weg, die magische Milliardenmarke an den internationalen Kinokassen zu knacken. Ein weltweites Einspielergebnis von 948 Millionen Dollar steht bislang (Stand: 8. November 2019) zu Buche. Dass „Joker“ dabei auch ein Publikum in die Kinos lockt, das sich sonst wenig für Superhelden interessiert, ist eine weitere Gemeinsamkeit mit „The Dark Knight“.
Was kommt nach "Joker"?
Es ist wohl unvermeidlich, dass es bei dem gewaltigen finanziellen Erfolg und der enormen Popularität von „Joker“ Versuche geben wird, auch dieses Konzept zu kopieren – egal, ob in einem „Joker 2“ mit Joaquin Phoenix, einem ähnlich gelagerten Film über einen anderen DC-Schurken oder einem Projekt von einem anderen Studio.
Dass diesen Versuchen derselbe Erfolg wie „Joker“ beschieden sein wird, darf gerne bezweifelt werden. Doch dass sich die Studios wieder mehr an mittelgroße, riskantere Filme wagen, wäre wohl nicht verkehrt. Denn die Kinokassen werden ansonsten von wenigen megaerfolgreichen Filmen und Studios dominiert (sechs Filme haben die Milliardengrenze 2019 bislang geknackt, davon fünf Disney-Filme) und gleichzeitig floppen immer wieder teure Fortsetzungen (von „X-Men: Dark Phoenix“ bis „Terminator: Dark Fate“).
Angesichts dieser Tatsachen könnte die Erfolgsgeschichte eines mittelteuren Films („Joker“ hat zwischen 55 und 70 Millionen gekostet) dafür sorgen, dass es in Hollywood wieder mehr Mut zum Risiko und damit auch mehr Abwechslung gibt – und das nicht nur bei Superheldenfilmen.
„The Dark Knight Rises“, der letzte Teil der „The Dark Knight“-Trilogie, läuft am heutigen 9. November 2019 um 20.15 Uhr auf Vox. „Joker“ läuft weiterhin mit großem Erfolg in den deutschen Kinos.
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