Achtung, Spoiler zu "10 Cloverfield Lane"!
„Cloverfield“ wurde 2008 von damals unbekannten Schauspielern getragen und war mit einem vergleichsweise sehr geringen Budget von 25 Millionen ausgestattet – das ist nicht viel im „Monster-zerstört-Großstadt“-Genre (zum Vergleich: Roland Emmerichs „Godzilla“ verschlang seinerzeit 130 Millionen, und das war 2008 schon zehn Jahre her). Doch die Mixtur aus Found-Footage-Inszenierung, Sci-Fi-Monster-Katastrophenfilm und New Yorker Mittzwanzigern mit ihren banalen Problemen kam sowohl bei Kritikern wie bei Zuschauern an. Produzent J.J. Abrams begann, sich nach Material für eine Fortsetzung umzusehen.
Das Material für einen zweiten Teil der lose verbundenen „Cloverfield“-Reihe fand Abrams in einem Skript der Drehbuchautoren Josh Campbell und Matt Stuecken mit dem Titel „The Cellar“, das allerdings überhaupt nichts mit „Cloverfield“ zu tun hatte. Aber Abrams gefiel das Skript so gut, dass er es als Fundament für den zweiten Film nutzen wollte. Also holte er Drehbuch-Ass Damien Chazelle („La La Land“, „Whiplash“) mit ins Boot und ließ das Dreiergespann so lange an dem Skript herumdoktern, bis am Ende „10 Cloverfield Lane“ herauskam. Die drei Autoren müssen dabei ganz schön geschwitzt haben, denn Originalskript und fertiger Film sind in diesem Fall zwei sehr unterschiedliche Dinge. So wurde das Originaldrehbuch verändert:
Das Ende: Es gab keine Aliens!
Der größte Unterschied zwischen erstem Drehbuch und Film ist das jeweilige Ende. Im Film entkommt Michelle (Mary Elizabeth Winstead) aus Howards (John Goodman) Farmhaus und stellt fest, dass die Erde von Aliens überrannt wurde, die überall ihre Schiffe patrouillieren lassen. Nachdem sie das nächstgelegene Schiff samt Alienmonster an Bord per improvisiertem Molotovcocktail pulverisiert hat, flieht sie mit dem Auto und beschließt, sich dem Kampf gegen die Aliens anzuschließen.
Hier wurde am Skript wohl am offensichtlichsten herumgeschraubt. Denn ursprünglich sollten am Ende gar keine Aliens vorkommen. Michelle flieht aus dem Bunker mit Howard dicht auf ihren Fersen, kann ihn aber schließlich unschädlich machen, indem sie ihm in die Kniescheibe schießt (anders als am Ende des Films stirbt Howard nicht). Michelle macht sich nun zu Fuß auf die Suche nach Spuren des angeblichen großen Angriffs. Von einem Hügel aus sieht sie schließlich die rauchenden Ruinen Chicagos. Eine Erklärung, ob nun Außerirdische oder doch die bösen Russen dafür verantwortlich waren, gibt es nicht.
Doch die fehlende Verbindung zur „Cloverfield“-Monstergeschichte ist längst nicht der einzige Unterschied zwischen erstem Skript und fertigem Film.
Michelle war viel langweiliger
Im Film ist Michelle eine Mittzwanzigerin mit Ambitionen zur Modedesignerin, die nach einem Streit ihren Verlobten verlässt und mit dem Auto in Richtung eines unbekannten Ziels aufbricht (Hauptsache weg von ihrer gescheiterten Verlobung, vermutlich). Im Originalskript ist Michelle erst 18 Jahre alt und fährt nach einem Streit mit ihrem Freund sturzbetrunken den Wagen, als sie in einen Unfall gerät. Die Figur wurde für den Film zu einem deutlich eigenständigeren und erfindungsreicheren Charakter gemacht, im ersten Skript hingegen hinterfragt sie erst sehr viel später und langsamer die Umstände ihrer Rettung/Gefangennahme.
Howard wurde viel fieser
Im Film ist Howard, wunderbar unberechenbar gespielt von John Goodman, eine sehr bedrohliche Erscheinung, aggressiv und gleichzeitig sozial verkorkst bis hin zur Neurose. Er hatte eine Frau und eine Tochter. Von letzterer spricht er unentwegt und zeigt Michelle sogar ein Bild von ihr. Es stellt sich heraus, dass es sich um das Bild eines anderen Mädchens handelt, das Howard vermutlich entführt und vielleicht auch umgebracht hat, als seine Frau ihn mit der gemeinsamen Tochter verließ. Skript-Howard ist weit weniger bedrohlich als vielmehr schüchtern und ungeschickt im Umgang mit Menschen. Er besitzt eine Hintergrundgeschichte als trockener Alkoholiker und hatte ebenfalls Frau und Kind, über die er jedoch kaum spricht. Es stellt sich heraus, dass er betrunken den Unfalltod seiner Frau verursacht und dann das Sorgerecht für seine Tochter verloren hat. Das Kidnapping eines anderen Mädchens existiert im Skript schlichtweg nicht.
Emmett / Nate: liebenswerter Loser und brutaler Psycho
Bei Emmett (John Gallagher Jr.)/ Nate handelt es sich um die dritte Person im Bunker neben Howard und Michelle. Die Figur wurde für den Film zu einer ganz anderen Person. Film-Emmett ist ein liebenswerter, unterwürfiger Mensch, der Angst vor seinen eigenen Grenzen hat. Er ist offenherzig und freundlich gegenüber Michelle und bringt selbst Howard dann noch Mitgefühl entgegen, als immer offensichtlicher wird, was dieser im Schilde führt. Mit seinem Tod opfert er sich für Michelle, als Howard die beiden bei der Vorbereitung eines Ausbruchsversuchs überrascht und Emmett die Verantwortung auf sich nimmt.
Nicht so im Original-Skript: Die dort Nate genannte dritte Person ist hinterhältig und gewaltbereit. Mit Howard verbindet sie eine Vorgeschichte, die dafür sorgt, dass sich beide ab dem ersten Moment (auch wörtlich) an die Gurgel gehen. Nate setzt seine Dominanz gegenüber Howard durch, beginnt mit Michelle zu flirten und sie auf seine Seite zu ziehen, sodass sie sich schließlich überreden lässt, Howard unter Drogen zu setzen. Die beiden sperren ihn ein und beginnen eine Affäre miteinander.
Am Ende stirbt Nate nicht aus selbstlosen Motiven, sondern weil es letztlich doch wieder zum Kampf zwischen ihm und Howard kommt, den letzterer gewinnt. Es stellt sich außerdem heraus, dass Nate in die Geschichte mit Howards Tochter vor Gericht verwickelt war und bewusst log, sodass Howard das Sorgerecht seiner Tochter aberkannt wurde.
Hier zeigt sich auch eine der großen Schwächen des ersten Skripts: Michelle ist dort eine sehr viel passivere Figur, dramaturgisch nur die Projektionsfläche für die Gelüste der sie umkreisenden Männer. Sie dient dazu, den zwischen den Männern herrschenden Konflikt eskalieren zu lassen. Generell porträtiert das Skript eine viel angespanntere und unangenehmere Atmosphäre unter den drei Protagonisten. Szenen wie das gemeinsame Musikhören, Filme schauen oder Spielen existieren nur im Film.
Ist der Film besser als sein Originaldrehbuch?
Auch wenn die Konfrontation mit den Aliens am Ende des Films für einige etwas aufgesetzt wirken mag: „10 Cloverfield Lane“ hat dem Originalskript „The Cellar“ viel voraus. Das Figurenensemble scheint mit dem bedrohlichen Howard, dem zurückhaltenden Emmett und der eigenständigen Michelle einfach besser ineinanderzugreifen. Im Skript wirken beide Männer wie zwei Löwen, die um ein passives Weibchen buhlen – und insbesondere Michelles Charakter wirkt hier mehr wie Füllwerk, wie ein Passgeber für das mörderische Spiel zwischen den beiden Männern. Außerdem ist die Kidnapping-Backstory der Figur Howard ein interessanter Twist, der die Stimmung im Bunker gekonnt eskalieren lässt. Der Film hat damit einen besseren Spannungsaufbau und ist moderner als er ursprünglich werden sollte.
„10 Cloverfield Lane“ läuft heute Abend um 22.40 Uhr auf ProSieben.