Obwohl schockierende Momente bei „Game Of Thrones“ eigentlich zur Serien-DNS gehören, waren wohl die wenigsten Fans auf das vorbereitet, was sie in Episode 5 der letzten achten Staffel erwartete: Bei der Belagerung von King’s Landing schwingt sich Fanliebling Daenerys Targaryen (Emilia Clarke) auf ihren Drachen Drogon und beschließt im Luftraum über der Hauptstadt spontan, die kapitulierenden Truppen ihrer Gegnerin Cersei Lannister (Lena Headey) und mit ihnen zahlreiche unschuldige Bürger mit Drachenfeuer regelrecht abzuschlachten.
„The Bells“, so der Name der Folge, wurde inszeniert von „Game Of Thrones“-Stammregisseur Miguel Sapochnik, der bereits Episoden wie „Hardhome“ und die Schlacht der Bastarde inszenierte und in Staffel 8 auch schon für die Inszenierung des großen Gefechts gegen die Weißen Wanderer in Episode 3 „The Long Night“ verantwortlich zeichnete. In einem Interview mit IndieWire hat der Regisseur nun seine Interpretation der Ereignisse geteilt – und die Fans mitverantwortlich für den großen Aufreger gemacht.
Sympathy for the Devil
Sapochnik sei schon immer der Meinung gewesen, der Beifall, der Daenerys von der „GoT“-Fangemeinde entgegengebracht wurde, sei fehlgeleitet und ein Indikator dafür, dass das Publikum über die Jahre unterbewusst für Gewalt und Grausamkeit die Daumen gedrückt habe und nun den Preis dafür gezahlt hat.
„Ich habe gefühlt, dass da ein Durst nach Blut und Rache in den Fans existiert hat, der von Dany personifiziert wurde. Ich wollte einfach zeigen, was das im Grunde bedeutet. Denn selbst, wenn die Figuren am Ende nicht wirklich existieren, [schaltet man als Zuschauer ein, um] Tod und Zerstörung zu sehen. Ich wollte den Leuten in dem sicheren Umfeld, in dem sie leben, zeigen, wie böse Tod und Zerstörung sein können.“
Für Sapochnik sei Daenerys in dem Moment nicht mehr zu retten gewesen, in dem sie anfing, ihre Handlungen nicht mehr zu hinterfragen. „Das ist ein Teil dessen, was uns menschlich macht. Die Frage danach, ob wir das Richtige getan haben oder nicht.“, so Sapochnik.
Gewalt als Entertainment ist krank
Mit der Zerstörung von King’s Landing habe Sapochnnik versucht, dem Publikum den Spiegel vor zu halten: „Die Zerstörung von King’s Landing war für mich immer ein Event mit Publikumsbeteiligung. Ihr wolltet das, ihr wolltet das, ihr wolltet das. Hier. Ist es das, was ihr wolltet?“
Sich selbst lässt der Filmemacher bei seinen Anschuldigungen übrigens nicht außen vor. Auch er sei Mittäter, weil er Gewalt und Elend im Deckmantel der Unterhaltung in die heimischen Wohnzimmer bringe:
„Ich denke, ich bin mit Schuld und Teil einer Gesellschaft, die Gewalt als Entertainment akzeptiert und das ist krank.[…] An einem gewissen Punkt, fragt man sich ‚warum nehme ich an so etwas teil? Warum erschaffe ich das, damit es Leute sehen können? Gibt es nicht genug Blutvergießen und schreckliche Dinge auf der Welt?‘“
Zerstörte Träume
Um zu verhindern, dass die dargestellte Gewalt im Kontext der Serie einfach als normal gesehen und hingenommen wird und, um das Publikum wachzurütteln, konzentrierte sich Sapochnik in der mittlerweile ikonischen Sequenz vor allem auf die Opfer am Boden:
„Was ich mit King’s Landing verwirklichen wollte, ist die Idee, dass jede einzelne scheiß Figur zählt. Und nicht nur die Figuren, auch die Statisten und die Leute, die man nicht kennt und selbst all die Leute, die man nicht sieht und die, von denen man nichts erfährt. Sie alle zählen. […] Diese Idee, dass jede einzelne Person, die in dieser Geschichte stirbt, jede Person, die von Trümmern begraben wird, jedes Kind, das kleine Mädchen, sie alle Personen sind und sie Mütter und Väter und Leben haben, genau so wie wir. Sie hatten Vorstellungen und Träume und die wurden von diesem Ereignis zunichte gemacht.“
Alle Staffeln von „Game Of Thrones“ sind als Stream unter anderem bei Sky, Amazon und maxdome erhältlich. Die Prequel-Serie mit Naomi Watts soll voraussichtlich 2020 erscheinen.
Sapochnik beschäftigt sich in seinem nächsten Projekt übrigens ebenfalls mit Fragen der Menschlichkeit: Im post-apokalyptischen Science-Fiction-Film „BIOS“ mit Tom Hanks bekommt ein Roboter von seinem sterbenden Erschaffer die Aufgabe, gut auf den Hund aufzupassen. In Folge dessen lernt der Automat die Bedeutung des Lebens, der Liebe und der Freundschaft. Der Film soll am 8. Oktober 2020 in den deutschen Kinos anlaufen.
Brutaleres "Game Of Thrones"? Darum haben wir nur die harmlose Version der Serie gesehen