Achtung, es folgen Spoiler zu „The Perfection“!
Mit einer Laufzeit von gerade einmal 90 Minuten ist der neue Netflix-Thriller ein angenehm kurzweiliges Filmerlebnis, in dem aber nichtsdestotrotz reichlich Platz für Wendungen bleibt. Die Geschichte der Cellistin Charlotte (Allison William), die einst Aushängeschild einer erstklassigen Musikakademie war und diese schließlich verließ, um sich um ihre kranke Mutter zu kümmern, beginnt erst mit deren Rückkehr in die Musikwelt. An ihre Stelle als großer Star der Cello-Welt trat mittlerweile jedoch ihre Freundin Lizzie (Logan Browning).
Nach dem Tod ihrer Mutter scheint Charlotte nun allerdings wieder bereit, ihre Musikkarriere erneut in Fahrt zu bringen und ihrer ehrgeizigen Kollegin den Rang abzulaufen – koste es, was es wolle. Nun, zumindest scheint es anfangs so…
Koreanisches Genrekino als Vorbild
Sobald Regisseur Richard Shepard eine Szene zurückspult, um zu beleuchten, was wirklich geschehen war, wird einem klar: Der Regisseur genießt seine Machtposition und hat einen wohl nicht zum letzten Mal hinters Licht geführt. Nachdem die beiden jungen Frauen eine gemeinsame Nacht verbringen, klagt Lizzie über immer stärker werdende Schmerzen, die auch Charlottes Tabletten nicht in den Griff zu kriegen scheinen. Wie wir kurz darauf erfahren, hatte diese ihr ohnehin keine Schmerzmittel, sondern andere Pillen verabreicht, um Wahnvorstellungen in ihr hervorzurufen, im Zuge derer sich die berühmte Cellistin schließlich die Hand abhackt – und damit ihrem Leben als Musiker ein jähes Ende bereitet.
Als Vorbild für jene Entwicklung der Geschichte nannte Regisseur Shepard jetzt Park Chan-wooks Filme, in denen der Zuschauer nie so recht weiß, was gerade Sache ist – und in dessen „Die Taschendiebin“ ebenfalls eine Liebesbeziehung zwischen zwei Frauen im Mittelpunkt steht. „Ich liebe es, wie Park mit der Struktur von Filmen spielt […] und dass seine Twists im Film letztlich Sinn machen“, so Shepard.
Mehr als ein Rachethriller
Wie sich mit einer zweiten großen Wendung herausstellt, wollte sich Charlotte aber nicht an ihrer Freundin, sondern an ihrem gemeinsamen Mentor Anton (Steven Weber) rächen, der sie regelmäßig sexuell missbrauchte, sobald ihre Leistungen auf der Bühne nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Charlotte wusste also, in welcher Situation sich Lizzie befindet und dass sich diese daraus niemals allein befreien könnte. Es würde also nur einen Weg geben, Lizzie aus den Fängen ihres Lehrers zu befreien: Er musste sie für unbrauchbar halten – und genau das war sie nach dem Verlust ihrer Hand.
Lizzie, die ihrer Freundin erst Vorwürfe machte, letztlich aber doch einsah, dass dies der einzige Weg war, um sie aus ihrem von Ehrgeizig und sexueller Gewalt bestimmten Leben zu befreien, schließt sich Charlotte schließlich an, um sich mit ihrer Freundin an ihrem Peiniger zu rächen. „The Perfection“ bleibt trotz trickreicher Wendungen also ein Rachethriller, ist gleichzeitig aber auch ein Film über Schuld und Freundschaft.
Als Charlotte die Akademie verließ, um sich der Pflege ihrer Mutter zu widmen, hatte sie schlicht nicht die Kraft und den Mut, Lizzie ebenfalls zum Ausstieg zu verhelfen. Es ist diese Schuld, die sie nach dem Tod ihrer Mutter endlich begleichen wollte, um jene Gleichgesinnte, die im Laufe der Jahre zu ihrer Seelenverwandten wurde, in Sicherheit zu wissen – und nach einem brutalen Kampf mit ihrem Mentor in einer fantastischen letzten Aufnahme neue Kraft aus ihrem Leid zu schöpfen und gewissermaßen zu ein und derselben Person zu werden.
„The Perfection“ ist seit 24. Mai 2019 bei Netflix verfügbar.