+++ Meinung +++
Achtung, es folgen Spoiler zu „Wir“!
Bei Komödien gehen die Meinungen traditionell stark auseinander. Denn was der eine zum Brüllen komisch findet, ringt dem anderen vielleicht nur ein müdes Lächeln ab oder lässt ihm gar vor Fremdscham das Blut in den Kopf steigen. Bei Horror verhält es sich ähnlich: Mancher genießt bedrückende Atmosphäre, andere wollen im Minutentakt erschreckt werden und wieder andere langweilen sich, wenn die Musik nicht ordentlich gruselig klingt, Blutfontänen nicht meterweit spritzen oder der Horror zu abstrakt und ungreifbar daherkommt.
Als vielseitig interessierter Horrorfan war das für mich schon immer eher ein Glücksfall als ein Problem. Verschiedene Geschmäcker wurden gleichmäßig von verschiedenen Filmemachern bedient und ich mochte sie generell alle. Egal ob trockene britische Horrorkomödie à la „Shaun Of The Dead“, abgefuckter Arthouse-Trip der Marke „Under The Skin“ und „Climax“ oder Gore galore in Genre-Rohkost von Jeremy Saulnier, Rob Zombie oder Altmeister Sam Raimi. Ich mag das Genre in all seinen Facetten – Hauptsache, der Film ist besonders.
Schrecklicher Mainstream-Horror
In letzter Zeit hat sich als erste Anlaufstelle für Prestige- und Genrefilme vor allem die Indie-Schmiede A24 etabliert, die Titel wie „Hereditary“, „Under The Skin“, „It Follows“, „mother!“ und „The Witch“ auf die Leinwand gebracht hat und somit Filmemachern wie Ari Aster, David Robert Mitchell und Robert Eggers zu ihrem Durchbruch verhalf. Diese fanden beim Mainstream-Kinopublikum zwar wenig Zuspruch, Hardcore-Genrefans und Filmliebhaber ergötzen sich aber an jedem neuen Release und fiebern den kommenden Projekten des Verleihers bereits Fingernägel kauend entgegen.
Mainstream-Horror auf der anderen Seite wurde seit den späten 2000er Jahren immer verwässerter und formelhafter. Abgesehen von einigen Ausnahmen wie der „Conjuring“-Hauptreihe, wurden Filme mit schlechten Schauspielern und lausigem Skript, die blind irgendwelchen Trends hinterherjagen, langsam zum Standard. „Wahrheit oder Pflicht“, „Shut In“ und „The Gallows“ sind nur einige der austauschbaren und horrenden Vertreter eines Genres, das sich eigentlich immer durch Handwerkskunst und Kreativität ausgezeichnet hat.
Doch dieses Blatt scheint sich nun endlich zu wenden: „Wir“, der zweite Film des bereits jetzt zum Horror-Meister erklärten US-Komikers Jordan Peele („Key And Peele“, „Keanu“), ist der letzte Film in einer Reihe von Projekten (unter ihnen auch „A Quiet Place“, „Halloween“ und der leider gefloppte „Operation: Overlord“), die mir langsam das Vertrauen in Mainstream-Horrorfilme zurückgeben.
„Horrormeister“ Jordan Peele
Peeles Erstling „Get Out“ war nicht nur der erste Horrorfilm in einer gefühlten Ewigkeit, der für den besten Film bei den Oscars nominiert war (und sogar einen für das beste Drehbuch gewann), sondern auch kommerziell ein waschechter Hit. Mit einem weltweiten Einspielergebnis von über 250 Millionen US-Dollar zählt der nachträglich als „Social Thriller“ titulierte Horrorfilm zu den erfolgreichsten Vertretern seines Genres überhaupt und ist somit fest im Mainstream zu verbuchen. Das ist deswegen so wichtig, weil es zeigt, dass es nicht immer die beste Strategie zum Erfolg ist, einfach auf Altbewährtes zu setzen, sondern auch abenteuerlichere Ideen durchaus ein großes Publikum begeistern und finanziell lukrativ sein können.
Peeles Filme haben eine wunderschöne, klassische Ästhetik, tollen Sound, tonnenweise Charme und Witz. Szenen wie die trippige Sunken-Place-Sequenz in „Get Out“ oder das erste Wiedersehen der Lupita-Nyong’o-Doppelgängerinnen in „Wir“ gehen nicht nur unter die Haut, sondern bleiben aufgrund ihrer eigenwilligen Inszenierung und der exzellenten Darbietungen auch noch lange nach dem Kinobesuch im Kopf. Im Vergleich zum handelsüblichen Blumhouse-Horror (das Studio, das „Get Out“ und „Wir“ vertreibt), zu dem auch die meisten der oben erwähnten Filmgurken zählen, wirken Peeles Werke wie Kino-Events, ausgereift und entschleunigt. Hoffentlich sehen wir von der Firma in Zukunft also wieder mehr Filme wie „Get Out“, „Upgrade“, „Halloween“ oder „Glass“ und weniger Filme wie „Amityville: The Awakening“.
High Concept mit dem gewissen Extra-Twist
Was Peele neben seiner technischen Versiertheit vor allem auszeichnet, ist seine Fähigkeit, auf die simplen High-Concept-Prämissen (d.h. die Ausgangslage des Films kann in einem Satz zusammengefasst werden) seiner Filme clevere Twists und Enthüllungen aufzubauen, die den geradlinigen Horrorplot mit tieferer Bedeutung anreichern. In seinen beiden bisherigen Filmen bringt Peele seine Figuren in „Twilight Zone“-ähnliche Situationen, deren Auflösung dann immer einen Tick weiter ins Absurde abdriftet als erwartet. Damit steht er in der Tradition von Horror-Ikonen wie Brian Yuzna („Society“), John Carpenter („Sie leben“, „The Thing“), Larry Cohen („God Told Me To“) und Stuart Gordon („Re-Animator“), aber auch neben zeitgenössischen Filmemachern wie Edgar Wright („The World’s End“, „Shaun Of The Dead“), die genrekundig klassische Horrormotive aufgreifen und selbstbewusst remixen.
Egal wie gut oder schlecht man „Wir“ findet – für mich persönlich war der Film nicht so stark wie „Get Out“, hat mich aber trotzdem mehr als solide unterhalten – man kann Peele zumindest nicht guten Gewissens vorwerfen, er sei nicht mit Herzblut bei der Sache. Der New Yorker Comedian, der demnächst auch die „Twilight Zone“ zurück auf die heimischen Bildschirme bringen wird, macht Horrorfilme in erster Line, weil er das Genre liebt. In einer Zeit, in der Billigschocker von der Stange dominieren, bezeichnen viele Filmemacher ihre Werke gar nicht mehr als Horrorfilme, weil sie Angst haben, mit dem ganzen Trash in Verbindung gebracht zu werden. Auch Peele ist mit seinem „Social Thriller“ nicht ganz unschuldig, stellt bei „Wir“ jedoch eindeutig klar:
Trendsetter und neue Perspektiven
Neben seiner Genreverliebtheit ist auch Peeles persönliche Perspektive als Geschichtenerzähler eine Bereicherung für den Horrorfilm. Als schwarzer Horrorfan ist Peele alles andere als allein (einer Erhebung von 2016 zufolge ist das nicht-weiße Publikum in den USA bei Horrorfilmen um ganze 33% größer als im Durchschnitt), als Horror-Filmemacher, der Geschichten über schwarze Helden auf die Leinwand bringt, hingegen leider eine Besonderheit. Wo „Get Out“ die Perspektive eines schwarzen Amerikaners im modernen, vermeintlich aufgeklärten Amerika zur Horrorshow verarbeitet, ist die Hautfarbe der Protagonisten in „Wir“ komplett nebensächlich. Es handelt sich einfach nur um einen Horrorfilm mit schwarzen Hauptfiguren – so simpel das klingt, im Mainstream-Horror ist der Film damit tatsächlich einer der ersten.
Das Genre im Besonderen und die Filmkultur im Allgemeinen können nur profitieren, wenn dort verschiedenste Blickwinkel repräsentiert sind. Die Tatsache, dass Peele ein schwarzer Filmemacher ist, der seine Projekte auch fast garantiert finanziert bekommt und diesen Umstand dazu nutzt, intelligent ausgeklügelte, persönliche Filme, aber vor allem auch Horror-Filme zu machen, stimmt mich froh. Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen haben verschiedene Ängste und Alpträume und ich hoffe Peele tritt eine regelrechte Welle los, die die Pforten Hollywoods für allerlei andere zukünftige „Meister des Horrors“ öffnet, egal welche Hautfarbe sie haben und welche Geschichten sie erzählen wollen.
Peele scheint dem Genre erfreulicherweise treu zu bleiben: Der Tausendsassa arbeitet derzeit an einem „Candyman“-Remake, einer Horror-Dramaserie namens „Lovecraft Country“, dem oben erwähntem „Twilight Zone“-Reboot und hat zudem laut eigener Aussage noch eine ganze Stange Ideen für zukünftige Horrorprojekte.
Sein „Wir“ läuft seit dem 21. März 2019 in den deutschen Kinos.