++ Meinung ++
„Game Of Thrones“ ist phänomenal in jedem Wortsinn. Die HBO-Prestigeserie, die 2019 mit Staffel 8 zu Ende geht, prägt den Zeitgeist, inspiriert neue Formen des Fernsehkonsums und macht komplexe, progressive Fantasy-Geschichten im TV salonfähig. Für mich und Millionen andere Genrefans ist der Erfolg der Serie ein absoluter Glücksfall, weil er eindrucksvoll zeigt, was dabei herauskommt, wenn man einem Publikum auch mal zutraut, sich Zusammenhänge bis zur nächsten Episode merken zu können. Außerdem passt die Serie in mehr als einer Hinsicht perfekt in unsere Zeit, propagiert trotz hohem Gewaltgrad und einer kalt und herzlos wirkenden Welt ein (größtenteils) progressives und humanistisches Menschenbild und fungiert, wie es die besten Serien immer tun, als Nährboden und Trainingsgelände für hochtalentierte Filmemacher und -macherinnen. Auch wenn es mir wohl unmöglich sein wird, in den folgenden Zeilen alles zu behandeln, was die Serie zu etwas Besonderem macht, will ich dennoch versuchen, meine persönliche Wertschätzung für den TV-Meilenstein hinreichend zum Ausdruck zu bringen, ohne seine Verfehlungen komplett außen vor zu lassen.
"Game Of Thrones" ist Eventkino für Zuhause
„It’s not TV, it’s HBO“ lautet der Slogan des US-Pay-TV-Senders, auf dem „Game Of Thrones“ seit jeher beheimatet ist. Die drei Buchstaben im Sendernamen stehen übrigens für Home Box Office und bringen die Firmenphilosophie kurz und knapp auf den Punkt. Statt auf das zu setzen, was im TV-Bereich traditionell funktioniert, nämlich Serien mit abgeschlossenen Episoden und einem Spannungsbogen, der sich perfekt um die eingeplanten Werbeblöcke herumschlängelt, möchte HBO seine Nutzer mit kinoreifem Nervenkitzel bei der Stange halten. Bereits vor „Game Of Thrones“ stand der Kanal mit Programmen wie den „Sopranos“, „Sex And The City“, „The Wire“, „Rom“ und „Deadwood“ für prestigeträchtige Unterhaltung, die sich nicht immer zwangsläufig an ein Mainstreampublikum richtet, sondern sich in erster Linie durch ihre Ecken und Kanten und ihre Einzigartigkeit definiert – und natürlich über Nacktheit und Gewalt.
Die Tatsache, dass Fernseher und Soundanlagen heute tatsächlich fast das leisten können, was HBO seit Jahren verspricht, nämlich ein waschechtes Heim-Kino-Erlebnis, ist essenziell für den Erfolg von „Game Of Thrones“. Niemals würde ein Sender eine solch logistische Mammutaufgabe wie derart mühsame Dreharbeiten und die ausufernde Postproduktion auf sich nehmen, wenn sich das daraus resultierende Endprodukt nicht lohnen würde. Dass „Kino“ heute theoretisch also auf jedem Bildschirm möglich ist, hat den Effekt, dass nicht nur die eigene Couch oder die eines Kumpels, sondern in vielen Städten in Deutschland mittlerweile auch Kneipen, Sporthallen und -heime oder sogar tatsächliche Kinosäle für den „Game Of Thrones“-Konsum genutzt werden. Das führt zu einer inklusiven, stetig wachsenden Fankultur, die abseits von speziellen Conventions und Kinovorführungen überall und alltäglich gelebt wird.
Fan sein macht wieder Spaß
Es mag für viele keinen Unterschied machen, wie eine Serie von anderen rezipiert wird oder wo der Austausch über eine Sendung stattfindet, aber mich persönlich macht dieser Umstand unendlich froh. Obwohl ich schon mein ganzes Leben lang Sci-Fi-, Horror- und Fantasy-Fan bin, habe ich Fankultur meistens nur von außen erlebt. Ich war nie auf Foren und Messageboards aktiv und auch kein regelmäßiger Besucher von überfüllten und oft überteuerten Conventions. Außerdem leide ich nicht erst seit gestern unter der zunehmenden Toxizität, die sich um viele meiner liebsten Film- und Fernsehproduktionen entwickelt.
Obwohl ich „Ghostbusters“ zu meinen Lieblingsfilmen zähle und die „Star Wars“-Saga mich weit über meine Kindheit hinaus begeistert hat, beteilige ich mich nur noch ungern an den zunehmend deprimierenden Diskussionen um diese Franchises. Bei „Game Of Thrones“ ist das anders. Auch, weil sich die Serie an Erwachsene richtet, denen man zutraut, schon einmal ein ganzes Buch (oder fünf) gelesen zu haben und weil ein Herz für Außenseiter zur DNA der Serie gehört, freue ich mich, Teil der Fankultur zu sein und mich mit anderen über die neuesten Entwicklungen im Kampf um den Thron von Westeros auszutauschen.
Loser als Gewinner im Spiel um den Thron
Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass „Game Of Thrones“ mit klassischen Fantasy-Tropen und Rollenbildern spielt und bei seinen Figuren für Genreverhältnisse recht progressiv ist. Frauen wie Brienne (Gwendoline Christie) und Arya (Maisie Williams) rebellieren gegen die patriarchalen Strukturen von Westeros, Königin Cersei (Lena Headey) kann diesen selbst nach dem Tod ihres zur häuslichen Gewalt neigenden Ehemannes und in ihrer Rolle als Weltherrscherin nicht entfliehen und ist daher eher tragische Figur als Oberschurkin. Behinderte Charaktere wie Bran (Isaac Hempstead-Wright) oder der kleinwüchsige Tyrion (Peter Dinklage) sind hier die Helden, der schöne und vermeintlich strahlende Ritter Jaime Lannister (Nikolaj Coster-Waldau) wird auf der anderen Seite erst dann zur sympathischen Figur, als er seine Schwerthand und damit seine Macht verliert.
Sogar kleinere Nebenfiguren sind dreidimensional. Eunuch Grey Worm (Jacob Anderson) ist kein bedauernswertes Klischee, sondern erfährt im Laufe der Handlung eine beachtliche Wandlung. Vom stoischen Sklavenkrieger wird er zu einem buchstäblich und spirituell freien Idealisten und liebevoll-romantischen Helden, den das Publikum trotz seiner Wunden sexy finden kann und soll. Wenn in Staffel 7 Wildling Tormund (Kristofer Hivju) der Lady Brienne, die in ihrer Jugend darunter leiden musste, als burschikos und hässlich angesehen zu werden, schöne Augen macht, ist das zwar ein lustiger Moment, aber der Witz geht zu keinem Moment auf ihre Kosten. Briennes Attraktivität wird von der Inszenierung zu keiner Sekunde in Frage gestellt, ihre für eine Frau ungewöhnliche Größe törnt den liebestollen Tormund sogar mächtig an – eine Tatsache, die ihr ziemlich auf die Nerven geht.
Auch wenn man der Serie vorwerfen kann, teilweise unnötig grausam zu ihren Figuren zu sein (siehe diverse Vergewaltigungen / alles, was Ramsay Bolton macht) und man durchaus die Meinung vertreten kann, dass einige der nackten Brüste in den ersten Staffeln nicht wirklich nachhaltig zum Plot beigetragen haben, würde ich „Game Of Thrones“ und seinen Machern David Benioff und D.B. Weiss trotzdem keine nihilistische oder frauenfeindliche Weltsicht unterstellen. Im Gegensatz zu anderen Serien, in denen regelmäßig Figuren auf garstige Weise sterben, haben die Tode – und auch das Leben – in „Game Of Thrones“ nämlich Bedeutung.
Es sei denn, der Night King bringt am Ende einfach alle um.
Die achte und letzte Staffel „Game Of Thrones“ startet am 14. April 2019 auf Sky.