In „Mia und der weiße Löwe“ zieht die elfjährige Mia (Daniah de Villiers) mit ihren Eltern nach Südafrika, wo sie sich um ein weißes Löwenbaby kümmert, das sie Charlie nennt. Auch als dieses schon lange zu einer großen prächtigen Raubkatze herangewachsen ist, bleiben Tier und Mädchen unzertrennliche Freunde. Als Mias Vater (Langley Kirkwood) den Löwen aber für zu gefährlich hält und verkaufen will, büxt Mia gemeinsam mit Charlie aus, um ihn in ein Schutzreservat zu bringen…
Der als „Löwenflüsterer“ bekannte Kevin Richardson hat die Dreharbeiten zu „Mia und der weiße Löwe“ von Beginn an betreut und führte die Kinderdarsteller Daniah de Villiers und Ryan McLennan, der Daniahs Filmbruder spielt, an die Tiere heran. Wer ein so umfangreiches Projekt betreut, der hat auch viel zu erzählen. Wir trafen Kevin Richardson daher in Berlin zu einem Interview und erfuhren nicht nur, wie der Löwe Charlie, der in Wirklichkeit Thor heißt, für den Film „schauspielerte“, sondern auch, ob Freundschaften zwischen Menschen und Löwen überhaupt möglich sind. Außerdem erklärte der Löwenflüsterer, warum die Welt noch nicht bereit für einen Film mit liebenswerten Hyänen ist…
FILMSTARTS: Wir haben uns gerade per Handschlag begrüßt – wie würden das wohl Löwen machen?
Kevin Richardson: Löwen kommunizieren sehr ähnlich wie Menschen. Anstatt sich einen Kuss auf die Wange zu geben, sich die Hand zu reichen oder „Hallo“ zu sagen, würden sie ein freundliches „Wrrraaau“ brüllen, dich mit ihrem Gesicht anstupsen und sich gleichzeitig an dir reiben. Also ist es auf eine Weise ziemlich ähnlich wie bei den Menschen, auch Löwen begrüßen einander.
FILMSTARTS: War das auch das erste, was du Daniah und Ryan beigebracht hast? Wie sie einen Löwen richtig begrüßen sollen?
Kevin Richardson: Ja, so in etwa. Wir mussten erst mal eine Grundlage für die Kommunikation schaffen, weil wir ja wussten, dass das keine einmalige Sache ist, sondern drei Jahre dauern wird. Mit einem Löwen zu arbeiten bedeutet nicht, dass man ausgelassen herumtollen und spielen kann. Wir mussten das so angehen als würde jemand lernen, ein Flugzeug zu fliegen: Ich sagte den beiden, dass wir zwar auch Spaß haben würden, dass wir aber vor allem auch ernst an die Sache herangehen müssen. Denn wenn nicht, könnte sich jemand verletzen oder den Tieren geschadet werden. Wir mussten erst mal eine Art Routine für alle Beteiligten reinbringen, die uns durch die kommenden Jahre führen würde.
Löwe und Mensch: Eine Freundschaft fürs Leben?
FILMSTARTS: Die Dreharbeiten sind beendet, aber Daniah darf Thor ja weiterhin jederzeit in deinem Reservat besuchen. Sind die beiden nach den drei Jahren jetzt Freunde? Oder wird er sich nicht mehr an sie erinnern, wenn er sie nicht mehr täglich sieht?
Kevin Richardson: Er wird sich definitiv an sie erinnern, weil sie drei Jahre lang einen großen Teil seines Lebens ausgemacht hat. Aber man muss sich immer vor Augen halten, dass ein Löwe nicht wie ein Mensch ist, was Freundschaften angeht. Wenn Daniah da ist, erinnert sich Thor an sie. Wenn sie aber nicht da ist, ist es nicht so, dass er dasitzt, weint und sich fragt, wo sie ist. Man muss das so sehen: Wenn ein so großes Projekt zu Ende ist, ist man als Mensch vielleicht traurig, dass alles vorbei ist.
Aber aus Thors Perspektive sieht es etwas anders aus: Er hat immer noch sein Rudel, er hat seine Damen, seine männlichen Freunde und natürlich hat er auch mich, der ihn regelmäßig besucht. Also macht es ihm – so schlimm das auch klingt – nichts aus, wenn ein Mensch nicht mehr da ist. Aber wenn er dich wiedersieht, dann kommt er zu dir und „sagt“ schon „hallo“ und "oh wo warst du?" und all das. Wenn die Beziehung aber nicht kontinuierlich gepflegt wird, kann es natürlich schon zu Problemen kommen. Daher wird Daniah Thor nie alleine im Reservat besuchen dürfen. Die drei Jahre, die sie zusammen hatten, sind immer noch nur ein Crash-Kurs über Löwen. Das ist nicht genug.
Löwen im Film – moralisch vertretbar?
FILMSTARTS: Ihr musstet für den Film mehrere Löwen aus ihrem Rudel nehmen. Es gab den neugeborenen und einen zwei Monate alten „Charlie“ sowie schließlich Thor, der Charlie ab dem Alter von vier Monaten spielte. Wie hast du das für dich gerechtfertigt?
Kevin Richardson: Für mich war tatsächlich die Moral das große Problem. Ich habe den Film nicht gemacht, weil ich dachte „Wow, lasst uns einen Film über einen Löwen und ein Kind machen““ Nein, für mich war es wichtig, die Message zu verbreiten, welch eine Bedrohung die Jagd auf Löwen in Afrika darstellt. Klar, die Menschen wollen einen tollen Film sehen und unterhalten werden. Aber das Schöne an dem Werk ist, dass eine wichtige Botschaft dabei rumkommt. Das ist zumindest mein persönlicher Anspruch. Und natürlich kommt da die Frage auf, warum ausgerechnet ich junge Löwen aus einem Rudel nehme, obwohl ich dagegen bin. Für mich hat einfach das große Ganze den Kompromiss gerechtfertigt. Außerdem war es für uns sehr wichtig, Löwen nur von dort zu nehmen, wo wir es moralisch vertreten konnten.
FILMSTARTS: Was bedeutet das genau? Woher kamen die Löwen, die Charlie gespielt haben?
Kevin Richardson: Uns war sofort klar, dass wir sie nicht von einem „anständigen“ Ort nehmen und sie nicht aus ihrer natürlichen Umgebung reißen können. Wir wollten nur Tiere nehmen, die in ihrem Lebensumfeld nicht sicher sind und dort gejagt werden könnten. Im Kern kann man also sagen: Die Löwen, die du im Film siehst, wären sonst womöglich Opfer derselben Industrie geworden, die man auch im Film sieht– also der Trophäenjagd. Und wenn ich darüber nachdenke, graut es mir. Das passiert aber leider tagtäglich in Südafrika…
"Mia und die Hyänen" würde nicht funktionieren
FILMSTARTS: Ich weiß, dass du auch in einem Rudel von Hyänen akzeptiert bist und dich mit den Tieren gut auskennst. Was denkst du: Würde der Film auch mit Hyänen funktionieren?
Kevin Richardson: [lacht] Das wäre um einiges lustiger! Hyänen liegen mir sehr am Herzen. Als ich damals anfing mit Löwen zu arbeiten, hatte ich eine sehr schlechte Meinung von den Tieren. Als ich aber die ersten Hyänen traf, hat sich das geändert. Sie sind die erstaunlichsten Kreaturen, die man sich vorstellen kann. Ich glaube aber nicht, dass ein solcher Film mit Hyänen funktionieren würde, weil die Welt einfach noch nicht bereit ist, Hyänen auf der Leinwand zu sehen [lacht]. Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier sitzen und ein Interview mit dir führen würde, wenn man im Film ein Mädchen sieht, das eine starke Bindung zu Hyänen aufbaut. Vielleicht in zehn Jahren, wer weiß. Erst müssen wir wohl dafür sorgen, dass die Hyänen von ihrem schlechten Image wegkommen, dass sie angeblich gemein zu Löwen sind und die Natur sie nicht braucht.
FILMSTARTS: Wie zum Beispiel im Film „Der König der Löwen“, in dem Hyänen sehr böse dargestellt werden…
Kevin Richardson: Das wollte ich jetzt nicht sagen. Aber das ist genau das, woran ich denke. Du hast es gesagt, nicht ich [lacht]!
Viele Drehbuchautoren rauchen wohl Gras…
FILMSTARTS: Wie habt ihr Thor eigentlich dazu bekommen das zu machen, was er für den Film sollte?
Kevin Richardson: Der Trick ist, dass der Autor in das Drehbuch schreibt, was Löwen sowieso machen – und nicht in das Skript schreibt, was er denkt, das ein Tier machen sollte. Als Thor zum Beispiel noch sehr jung war, hat er es geliebt auf Dinge zu springen. Auf Tische oder Autos ist er von sich aus gern gesprungen. Alles, was wir machen mussten, ist ihm zu zeigen, dass er es jederzeit machen darf – und wir konnten das dann für den Film verwenden. Ich habe das Gefühl, dass die Drehbuchautoren vieler Filme irgendwas geraucht haben, vielleicht Marihuana oder sowas… Weil sie etwas herbeifantasieren, was Tiere ihrer Meinung nach in der Lage sein sollten, zu tun. Und in der Realität sehen sie dann, dass die Tiere das nicht machen können.
Diese Szene ist so nie wirklich passiert
FILMSTARTS: Es gibt eine Szene im Film, in der Thor auf dem Auto sitzt und Hip-Hop und klassische Musik gespielt wird. Er reagiert dann darauf. Mag Thor diese Musik wirklich? Hört er einen Unterschied zwischen den Genres?
Kevin Richardson: Nein, die ganze Szene, die man da sieht ist nicht wirklich so passiert. Wir haben zwar ein bisschen experimentiert und Musik gespielt, aber er hat keine besondere Reaktion gezeigt. Wir haben da getrickst und sein natürliches Verhalten genutzt: In dem Moment, in dem er hochsieht, sieht es im Film aus, also würde er auf die Musik reagieren. In Wirklichkeit reagiert er da wohl eher auf mich – mit einem Stück Fleisch in der Hand... [lacht].
FILMSTARTS: Im Film wird Thor auch mal traurig gezeigt. Würdest du das bei einem Löwen erkennen?
Kevin Richardson: Ja, du kannst Gefühle erkennen, wie auch bei einem glücklichen Menschen. Es gibt Hinweise in der Haltung, Zeichen, wenn sie dichtmachen oder optimistisch sind. Mein Job war es, die Stimme für Thor zu sein und dem Regisseur zu sagen: Hör zu, wir sollten diese Szene nicht machen, wir sollten es für heute lassen, er hat genug. Du musst verstehen, dass die Aufmerksamkeitsspanne eines Löwen wie die eines Vier- oder Fünfjährigen ist. Also kannst du nicht wirklich erwarten, dass er acht Stunden am Tag arbeitet.
Wie geht es jetzt für den Löwenflüsterer weiter?
FILMSTARTS: Was hast du als nächstes vor? Gibt es weitere Filmprojekte, die du angehen willst?
Kevin Richardson: Ich habe so viele Projekte, die ich gerne machen möchte! Die meisten gehen in die dokumentarische Richtung, denn das ist mein Gebiet. Als nächstes möchte ich gerne auf das Problem aufmerksam machen, dass mit den Knochen von Löwen gehandelt wird – sie werden häufig nach Südostasien verkauft, wo sie für die Herstellung traditioneller Medizin verwendet werden. Ich würde gerne eine Dokumentation darüber machen und deutlich machen, dass diese Knochen von Wildlöwen kommen. Und ich würde gerne enthüllen, was da den Löwen angetan wird. Es gibt so viele Sachen, die da hinter den Kulissen passieren. Also habe ich noch einiges vor. Aber nach „Mia und der weiße Löwe“ brauche ich erstmal eine Pause. Es waren drei lange Jahre [lacht].
„Mia und der weiße Löwe“ läuft seit dem 31. Januar 2019 im Kino. Unserer Meinung nach verknüpft das Werk von Gilles de Maistre Entertainment mit Enthusiasmus und ist „ein Film, der sich wirklich mal für die ganze Familie eignet.“ Daher erhält „Mia und der weiße Löwe“ vier von fünf Sternen in unserer Kritik:
Mia und der weiße LöweIm folgenden Video erklärt Kevin Richardson anhand von Fotos vom Set die Sprache der Löwen: