Achtung, Spoiler zum Ende von „Spuk in Hill House“!
Für uns ist „Spuk in Hill House“ eines DER Serien-Highlights des Jahres. Die Geschichte der Crains, die auch Jahre nach ihrem Aufenthalt in einem Geisterhaus, unter den Folgen zu leiden haben, ist ein clever erzählter und toll inszenierter Mix aus Gänsehaut-Grusel und Familiendrama. Über den Verlauf der zehn Folgen werden nicht nur die Figuren, sondern auch das Mysterium um ihre letzte schicksalhafte Nacht im Haus behutsam aufgebaut – bis alle Fäden in der finalen Episode endgültig zusammenlaufen. Doch welche Bedeutung hat der Ausgang des Ganzen für die einzelnen Figuren wirklich?
Das passiert im Finale
„Spuk in Hill House“-Regisseur und -Autor Mike Flanagan („Oculus“, „Ouija 2“) nimmt sich noch einmal viel Zeit, um seine Netflix-Serie zum Abschluss zu bringen, schließlich ist die letzte Folge mit über 70 Minuten Laufzeit zugleich auch die längste. Und dennoch ist die Episode bis zur letzten Minute vollgepackt. Nachdem Lukes (Oliver Jackson-Cohen) Versuch, das Haus, das seiner Zwillingsschwester Nell (Victoria Pedretti) und seiner Mutter Olivia (Carla Gugino) das Leben gekostet und seiner Familie so viel Kummer bereitet hat, abzufackeln, fehlschlägt, kommen schließlich auch seine drei anderen Geschwister Shirley (Elizabeth Reaser), Theo (Kate Siegel) und Steve (Michiel Huisman) dort an – nur um allesamt wenig später neben Luke im rätselhaften Roten Zimmer zu landen, dessen Mysterium nun auch endlich gelüftet wird.
Wie sich herausstellt, funktioniert ebenjenes Zimmer ein wenig wie der Raum der Wünsche aus „Harry Potter“. Obwohl die Crain-Kinder mehrfach offenbar vergeblich versucht haben, in den Raum zu kommen, haben sie in diesem in Wahrheit unbewusst regelmäßig Zeit verbracht. Ohne zu wissen, dass es sich eigentlich um das Rote Zimmer handelte, wurde der Raum für die einzelnen Familienmitglieder zu einem individuellen Zufluchtsort nach ihren ganz eigenen Vorstellungen – für Steve war es etwa ein Videospielzimmer, für Theo ein kleines Tanzstudio und für Luke ein Baumhaus (allerdings alles mit einem sinisteren Hintergedanken des Hauses, wie im nächsten Absatz ausgeführt wird).
In der Gegenwart wird das eigentlich karge und leere Zimmer für sie nun aber zu einem Ort des Horrors, in dem sie in einer Art Koma noch einmal mit ihren schlimmsten Ängsten oder finstersten Erlebnissen außerhalb von Hill House konfrontiert werden. Dass sie von diesen nicht gänzlich verschlungen werden, kann nur das Eingreifen des Geistes ihrer verstorbenen Schwester Nell verhindern. Der Ausweg aus dem Zimmer bleibt allerdings noch versperrt – bis ihr Vater Hugh (Timothy Hutton) auf der anderen Seite der verschlossenen Tür einen Deal mit seiner toten Frau eingeht, die schon 25 Jahre zuvor ganz und gar ein Teil des Hauses geworden ist: Hugh nimmt sich mit einer Überdosis Tabletten das Leben und opfert sich somit, um anstelle seiner vier noch lebenden Kinder gemeinsam mit Olivia und Nell für immer als Geist durch Hill House zu wandeln.
Das Haus als Monster
Den eigentlichen Ursprung von Hill House und die Hintergründe seiner übernatürlichen Kräfte lässt Mike Flanagan bewusst vage. Eine große Erklärung braucht es aber auch überhaupt nicht. Das Anwesen ist im Grunde einfach ein Monster, das sich gar nicht so sehr von klassischen Horror-Monstern (wie z.B. Zombies und Vampiren) unterscheidet. Nicht nur, wenn Architektin Olivia davon redet, dass ein Haus wie ein Körper ist, wird Hill House mit einem lebenden Organismus gleichgesetzt. Und wie ein solcher braucht auch die schaurige Villa „Nahrung“, die sie sich quasi in Form der Seelen ihrer Einwohner einverleiben will. Das Rote Zimmer bezeichnet Nells Geist dann auch zunächst als Herz, nach kurzem Überlegen aber schließlich als Magen des Hauses. Im Kindesalter soll der Crain-Nachwuchs hier in Sicherheit gewogen werden, während sie langsam dem Haus verfallen, als Erwachsene werden ihnen hier die Schrecken der „Außenwelt“ vorgehalten, die sie wieder in den Schoß des Hauses treiben sollen.
Wer einmal in Hill House gelebt hat, der soll es nicht mehr verlassen, weswegen dessen unerklärliche Mächte auch Jahre später noch eine große Wirkung auf die Crains haben und sie wieder dorthin locken wollen. Den größten Einfluss hat Hill House in der Vergangenheit aber auf Mutter Olivia, die dadurch irgendwann der festen Überzeugung ist, dass ihr wahres Leben nur eine Art Traum ist, aus dem sie nur durch den Tod erwachen kann. Das treibt sie letztlich gar so weit, dass sie ihre beiden jüngsten Kinder und sich selbst im Roten Zimmer vergiften will, um so auf ewig mit ihnen im Haus zu wohnen, eine morbide Verwirklichung ihrer mehrfach angesprochenen Vorstellung vom „Für-immer-Haus“. Hill House funktioniert nämlich ganz ähnlich wie das Geisterhaus in der allerersten „American Horror Story“-Staffel: Wer innerhalb der alten Mauern stirbt, ist nicht endgültig tot, sondern wandelt für immer als Geist durch die Gänge des Hauses, ist dabei aber auch an dieses gebunden und kann nie mehr nach draußen.
Vereint in Leben und Tod
Nachdem es Hugh im letzten Moment gelungen ist, seine Zwillinge vor dem Tod durch die eigene Mutter zu bewahren, verlässt er Hals über Kopf mit all seinen Kindern das Haus und lässt dabei seine Frau zurück, die offenbar nicht mehr ganz sie selbst ist und daraufhin Selbstmord begeht und als Geist auch Jahre später noch immer will, dass die ganze Familie in Hill House durch den Tod vermeintliche Erlösung von allem Leid findet und dort bis in alle Ewigkeit vereint ist. Als sie gegenüber Hugh anführt, dass sie so vor allen schrecklichen Erlebnissen in der gefährlichen Welt da draußen geschützt wären, entgegnet ihr Mann, dass sie dort aber auch keine schönen Erfahrungen mehr machen können. Als er ihr dann auch noch anbietet, dass zumindest er, der ohnehin kein wirklich erfülltes Leben mehr geführt hat, bei ihr und Nell im Haus bleibt, lässt sich Olivia überzeugen, ihre noch lebenden Kinder gehen zu lassen.
So bekommen im Grunde alle Hauptfiguren von „Spuk in Hill House“ eine Art bittersüßes Happy End, wenn auch nicht alle das gleiche: Während Steve, Shirley, Theo und Luke mit ihrem Leben davon kommen, aber nun auch noch den Verlust ihres Vaters verkraften müssen, endet die Geschichte auch für die verstorbenen Crains trotz ihres Ablebens letztlich recht versöhnlich, wie auch die positive Note in Steves abschließenden Worten aus dem Off unterstreichen, mit denen er als Kontrast zu seiner Erzählung vom Anfang der Serie feststellt, dass wer immer in Hill House umhergeht, nicht allein ist.
Kommt eine 2. Staffel?
Das Finale von „Spuk in Hill House“ rundet die Geschichte der Crains passend ab und ist somit auch ziemlich endgültig. Grundsätzlich ist die Serie als sehr freie Adaption des gleichnamigen Roman-Klassikers von Shirley Jackson als abgeschlossene Miniserie konzipiert. Das muss im Hinblick auf eine mögliche Fortführung allerdings nichts bedeuten. Bei Serien wie „Big Little Lies“ oder „The Sinner“, die ursprünglich ebenfalls auf eine einzige Staffel angelegt waren, wurden letzten Endes auch noch zweite Staffeln angekündigt (bzw. im Fall von „The Sinner“ sogar schon umgesetzt).
Und tatsächlich könnte der massive Zuspruch, den „Spuk in Hill House“ von Kritikern und Zuschauern derzeit bekommt, Netflix dazu bringen, über eine Fortsetzung nachzudenken. Eine offizielle Ankündigung in diese Richtung gibt es bislang jedoch noch nicht. Sollte es aber dazu kommen, wäre es auch möglich, dass man die Serie zu einem Anthologie-Format macht und sich bei einer zweiten Staffel einer gänzlich neuen Gruselgeschichte widmet. Auf der anderen Seite könnte aber durchaus auch gut jemand anderes dem Einfluss von Hill House verfallen, schließlich zeigt das Ende von Staffel eins, dass das unheimliche Anwesen auch Jahre nach der eigentlichen Handlung noch immer steht. Auch Steve, in dessen Besitz das Haus übergegangen ist, hat es, wie schon sein Vater vor ihm, nicht abreißen lassen, um so die gespenstischen Überbleibsel geliebter Menschen (zum Teil auch als Trost für die Hinterbliebenen) an diesem übernatürlichen Ort zu belassen.