Mit „Babylon Berlin“ feierte im Oktober 2017 nicht nur die teuerste deutsche Fernsehproduktion, sondern auch die teuerste nicht-englischsprachige TV-Serie aller Zeiten ihre große Premiere auf dem Pay-TV-Sender Sky. Ganze 40 Millionen Euro verschlangen die ersten beiden Staffeln, in denen die Regisseure Tom Tykwer („Lola rennt“), Achim von Borries („Tatort“) und Henk Handloegten („Liegen lernen“) Gereon Raths ersten Fall basierend auf Volker Kutschers Bestseller-Roman „Der nasse Fisch“ erzählen – mit Volker Bruch und Liv Lisa Fries in den Hauptrollen.
Bevor nun der Startschuss für die Dreharbeiten zur dritten Staffel fällt, in der Gereon Raths zweiter Fall „Der stumme Tod“ behandelt wird, sollen aber zunächst einmal die ersten 16 Episoden der Serie einem breiterem Publikum präsentiert werden. Am 22. und 23. September 2018 gibt es das komplette Programm in einem absoluten Wahnsinns-Marathon in 150 ausgewählten Kinos in ganz Deutschland zu sehen. Am 30. September folgt dann schließlich auch die Free-TV-Premiere im Ersten (Deutschland), ORF eins (Österreich) sowie SRF zwei (Schweiz).
Wir haben das Regie-Trio hinter „Babylon Berlin“ getroffen und nachgefragt, wie die Arbeit als Dreiergespann auf dem Regiestuhl verlief, warum „Babylon Berlin“ die perfekte Serie fürs Kino ist und ob sie jemals in Betracht gezogen haben, aus der Romanvorlage einfach nur einen Spielfilm zu machen.
FILMSTARTS: Die Premiere von „Babylon Berlin“ liegt fast ein Jahr zurück. Wie fühlt sich das an, die Serie nach so langer Zeit jetzt noch einmal einem breiteren Publikum näherzubringen?
Achim von Borries: Es ist nicht ganz so. Für uns war es ein langes Vorglühen und natürlich ist der Film – wie wir die Serie nennen – schon länger fertig, aber die eigentliche Feuertaufe und die Premiere für das große Publikum ist ehrlicherweise erst jetzt. Eigentlich ist es ganz erfreulich, dass nicht nur ein kleiner, begrenzter Zuschauerkreis in Deutschland die Serie sehen konnte, sondern die Fühler auch international ausgestreckt wurden, sie in viele Länder verkauft wurde und dort auch gut im Pay-TV-Bereich anlief. Ich glaube, dass wir damit jetzt auch eine gewisse Neugierde in Deutschland erzeugt haben und Leute sagen „Jetzt will ich’s aber auch mal sehen“. Und das Schöne ist, dass es jetzt auch kommt.
FILMSTARTS: Die Serie feiert nicht nur Free-TV-Premiere, sondern wird davor auch in 150 Kinos deutschlandweit in einem Wahnsinns-Marathon auf der Leinwand gezeigt. Warum ist „Babylon Berlin“ die richtige Serie fürs Kino?
Henk Handloegten: Wir haben genau dieses Erlebnis schon hinter uns – die fertigen 16 Episoden an einem Wochenende zusammen mit dem Team auf der Leinwand zu sehen. Das war die Teampremiere – und auch das einzige Mal, dass ich den Film von Anfang bis Ende gesehen habe. Und es ist ja eine Binsenweisheit, dass man im Kino noch tiefer eindringt und sich dem Sog eines Films schwerer entziehen kann. Man taucht ab in diese Zeit, sodass man alles drum herum – die Zeit, in der man eigentlich lebt – völlig vergisst. Und wenn man aus dem Kino kommt, denkt man sich, was sind das denn für komische Autos und…
Achim von Borries: …was haben die Leute alle am Ohr… oder in der Hand.
Henk Handloegten: Ja, das Kino ist eigentlich die beste Art, „Babylon Berlin“ zu sehen. Wir haben die gesamte Serie auch nicht so gedreht, dass wir gesagt haben, wir machen jetzt „nur Fernsehen“. Wir haben sie einfach nur als Filmemacher gedreht, wie wir sonst auch Filme drehen.
Tom Tykwer: Wir haben einen Film gemacht. Wir haben es auch immer so empfunden. Der geht jetzt erst einmal zwölf Stunden, aber hoffentlich nachher 60 oder 70 Stunden – das ist die Geste, mit der wir an das Projekt rangegangen sind und mit der wir das umgesetzt haben. Und, ich glaube, das spürt man auch.
Achim von Borries: Erzählerisch gibt es keinen Unterschied zu einem Kinofilm und auch technisch eigentlich nicht. Das merkt man sehr schnell, wenn man „Babylon Berlin“ im Kino sieht. Wir haben uns so wahnsinnig viel Mühe gegeben in der Tongestaltung und allen kleinen Details, für die im Fernsehen oft die Zeit fehlt oder die eben vielleicht auch bei einem kleinen Monitor verloren gehen. Aber „Babylon Berlin“ kann man sich in einem Riesensessel mit 5.1 Dolby Surround angucken und sich dem vollkommen hingeben. Und ich kann versprechen: Die Premiere mit dem Team damals war die großartigste Premiere, von der ich je Teil war.
FILMSTARTS: Während immer mehr Filme gar nicht mehr ins Kino kommen und z.B. direkt bei Netflix erscheinen, gehen Sie mit „Babylon Berlin“ den umgekehrten Weg – und bringen eine Serie ins Kino. Haben Sie das Gefühl, dem „guten, alten Kino“ mit dem Kino-Event etwas zurückgeben zu können?
Henk Handloegten: Meine Initiation im Kino war eine Vorführung am 23. November 1984 im Theatre des Amandiers in Nanterre, nahe Paris. Da lief an zwei Tagen „Heimat 1“ von Edgar Reitz, den er damals auf 35 mm gedreht hat und der eigentlich eine Fernsehproduktion war, aber ich weiß gar nicht, ob er diese Unterscheidung gemacht hat. Auf jeden Fall war das für mich das Größte, was ich je gesehen habe – wegen dieser totalen Immersion. Als ich das mit 16 gesehen habe und aus dem Film rauskam, habe ich gesagt: „Ich weiß nicht, was das war, aber das will ich machen.“ Insofern ist es für mich ganz persönlich auf jeden Fall ein Geschenk zurück, vor allem auch an Edgar Reitz. Auf der anderen Seite muss man sagen, ist das jetzt natürlich eine einmalige Sache, aber trotzdem ist es immer schön, wenn sich ein Kinoprogramm auch mit solchen Programmreihen füllt. Man kann sich „Babylon Berlin“ tatsächlich zwölf Stunden lang im Kino angucken – sicher auch später einmal.
Achim von Borries: Vielleicht wird’s ja mal sowas wie die „Rocky Horror Picture Show“. Immer wieder am Wochenende… [lacht]
FILMSTARTS: „Babylon Berlin“ basiert auf „Der nasse Fisch“, einem Kriminalroman von Volker Kutscher. Wie haben Sie den Roman entdeckt und wann kam der Gedanke, das Buch zu adaptieren?
Henk Handloegten: Also eigentlich war das sogar andersrum.
Tom Tykwer: Wir drei kannten uns ja schon vorher, wir kennen uns schon seit Ewigkeiten. Und die beiden [Achim von Borries und Henk Handloegten] haben sogar schon mal einen Film gemacht, der in dieser Epoche spielt: „Was nützt die Liebe in Gedanken“. Daher gab es sowieso schon eine Verbindung, die auch inhaltlich damit zu tun hatte – und dann war da die Sehnsucht, einen Stoff zu finden, der uns die Möglichkeit bietet, diese wirklich unglaublich reiche, widersprüchliche und vielschichtige Epoche so breit und panoramatisch zu erzählen. Und dann tauchten da plötzlich diese Romane auf, die es zwar schon eine Weile gab, aber die Option, sie zu verfilmen, eben nicht. Als sie dann frei wurden, kam das Thema noch einmal auf – und plötzlich fiel es uns wie Schuppen von den Augen, dass der Weg, den maßlosen Ansprüchen dieser Epoche gerecht zu werden, mit so unterschiedlichen kaleidoskopisch angelegten Erzählsträngen, Genre ist. Und das ist ja der Trick, den auch Volker Kutscher anwendet. Er macht einen knallharten Genre-Vorstoß und wickelt darum lose seine eigene Berlinreise durch diese Zeit – und hat sich dafür ja wirklich sehr intensiv und genau mit Berlin auseinandergesetzt. Es ist toll, wie man sich nach dem Lesen der Romane im Berlin von damals auszukennen glaubt und man dadurch gut den Vergleich zum heutigen Berlin ziehen kann. Diesen Ansatz und natürlich sein schon sehr fortgeschrittenes Plotting haben natürlich geholfen, einerseits innerhalb eines Genres einen spannenden Film zu machen und andererseits trotzdem eine Epoche zu erforschen.
Auf Seite 2 erfahrt ihr u. a. , warum eine Adaption in Spielfilmlänge für von Borries, Handloegten und Tykwer gar nie in Frage kam und in welchen Punkten sich die Serie doch deutlich von ihrer Vorlage unterscheidet. Außerdem: Ganz persönliche Film-Geheimtipps der Regisseure!