Achtung, der folgende Text enthält Spoiler zum Han-Solo-Film!
Chewbacca (Peter Mayhew) ist am Boden zerstört. Gerade erst hat er gemeinsam mit einem Einsatztrupp des Widerstands die Starkiller Basis der Ersten Ordnung in übergroßen Weltraumschrott verwandelt, nun läuft er langsam über ein Rollfeld, während sich um ihn herum Menschen dem Siegestaumel hingeben. Dem behaarten Hünen ist jedoch nicht nach Feiern zumute. Sein bester Freund Han (Harrison Ford) ist tot. Plötzlich sieht man Leia (Carrie Fisher) auf ihn zukommen. Das Gesicht der langjährigen Freundin spiegelt denselben Schmerz wieder, den auch Chewie fühlen muss. Beide haben einen wichtigen Menschen verloren. Sie gehen aufeinander zu, fast sind sie schon beieinander und... gehen einfach aneinander vorbei. Leia schließt Rey (Daisy Ridley) in die Arme, Chewie trottet alleine weiter.
So wird Chewie missachtet
Harter Tobak: Chewie und Leia kennen sich schon seit über 20 Jahren und da gibt es keine tröstliche Umarmung? Keine aufmunternde Hand auf die Schulter? Ja, nicht mal ein mitfühlender Blick für den Freund, der gerade den Tod seiner wichtigsten Bezugsperson mitansehen musste? Ich weiß, es ist nur eine kleine Szene, aber manchmal sind es eben genau diese, die einer Figur emotionale Tiefe verleihen können. Oder auch einfach nur schlüssig sein sollten. Leia die wildfremde Rey anstatt den vertrauten Freund umarmen zu lassen, war für mich dagegen vollkommen unsinnig, ja, sogar respektlos gegenüber der Figur von Chewbacca.
Selbst Regisseur J.J.Abrams bezeichnet dieses Versäumnis mittlerweile als seinen größten Fehler im Film, ändern tut dies an einer Tatsache jedoch nichts: Chewbacca wird ständig als minderwertiger Teil des „Star Wars“-Heldentrupps dargestellt und es wird verkannt, dass er ein eigenständig handelndes, denkendes und fühlendes Wesen ist. Denn wenn man genau hinschaut, ist Han Solos Wookie-Partner bis heute ganz schön blass geblieben. Wie oft hat Chewie eine eigene Entscheidung unabhängig von Han getroffen? Was wissen wir großartig über seine Vergangenheit, außer dass er ein Häuptlingssohn vom Planeten Kashyyyk ist? Welche Motivation treibt ihn an? Schon nach fünf Minuten Cantina wusste ich gefühlt genauso viel über den Kerl, der Luke dumm anmacht, wie über Chewbacca nach sechs Filmen. Das ist natürlich etwas überspitzt, dennoch bin ich froh, dass „Solo: A Star Wars Story“ ihn endlich ernst nimmt und Chewie das gibt, was sämtliche andere Figuren schon lange haben: Eine autonome Figurenzeichnung und einen eigenen Kopf.
Gleichwertiges Kennenlernen
Dass Chewbacca vom Vater-Sohn-Autorengespann Jonathan und Lawrence Kasdan anders behandelt wird, fällt schon beim ersten Zusammentreffen zwischen Han und dem riesigen Wookie auf. Lernten sich die beiden bisher laut der Darstellung im Expanded Universe (mittlerweile Star Wars Legends) dadurch kennen, dass Han Chewie aus der Sklaverei befreite und dieser ihm anschließend eine Lebensschuld schwor, baut „Solo: A Star Wars Story“ eine wesentlich gleichwertigere Ausgangssituation für ihre Freundschaft auf.
Han (Alden Ehrenreich) wird nämlich inmitten einer Schlacht von der imperialen Militärgerichtsbarkeit wegen Desertion zum Tode verurteilt und kurzerhand einem Monster zum Fraß vorgeworfen. Dieses entpuppt sich überraschenderweise ausgerechnet als Chewbacca (Joonas Suotamo), der zunächst blind vor Wut zu sein scheint. Doch Han schafft es mit ihm zu kommunizieren und ihm einen Plan zum Ausbruch vorzuschlagen. Tatsächlich können die beiden auf diese Weise gemeinsam entkommen und fertig ist Geburtsstunde des legendären Schmuggler-Duos.
Im Gegensatz zur ursprünglichen Origin-Story gibt es diesmal kein Schuld-Schwur-Verhältnis, sondern ein gleichwertiges Kennenlernen zweier Figuren, die ohne einander verloren gewesen wären. Ohne Han hätte Chewie vielleicht wirklich das Schicksal eines Sklaven oder der Hungertod erwartet, ohne den Wookie hätten die Soldaten Han wohl aber auch einfach einen Blasterschuss in den Kopf gejagt. Und keinem von beiden wäre ohne den jeweils anderen die Flucht gelungen.
Chewie darf mitentscheiden
In den bisherigen Filmen liefen die Entscheidungen bei der Millenium-Falken-Besatzung meist wie folgt ab: Han entscheidet, Chewie folgt. Wenn also Han nicht am Angriff auf den Todesstern teilnehmen will, ist Chewie genauso wenig dabei. Ob er manchmal Bedenken hat, ist oft schwer zu sagen. Solange sein Freund nicht für ihn übersetzt, wissen wir oft nicht, was in dem Wookie vorgeht oder was er sagen will. Irgendwann nimmt man automatisch an, dass er Han immer treu zur Seite steht. Dass Chewbacca aber auch einen eigenen Kopf und durchaus mal eigene Probleme hat, die es zu klären gilt, zeigt sich nun in „Solo“.
Die neue Darstellung von Han und Chewies Beziehung lässt sich schon an einem kleinen Detail festmachen: Ab dem Zeitpunkt, als Han und Chewbacca sich kennenlernen, fällt eigentlich kaum eine Entscheidung im Film, ohne dass der junge Corellianer seinen neuen Wookie-Freund um seine Meinung oder sein Einverständnis fragt. Was hältst du davon, dass wir uns Tobias Beckett (Woody Harelson) anschließen? Sollen wir bei Beckett bleiben? Was hältst du von den Karten in meiner Hand? Chewie wird nun aktiv in den Entscheidungsprozess miteingebunden. Und das ist erst der Anfang.
Wookie ohne Leine
Denn Chewie bekommt auch endlich eine Vergangenheit und damit eine eigene Motivation. Wie wir nämlich am Lagerfeuer mit Beckett erfahren, war Chewie vor seiner Gefangennahme auf der Suche nach den Angehörigen seines Clans, die vom Imperium versklavt wurden. Als sie dann auf Kessel ihren großen Raub durchziehen, wird klar, dass Chewie eigentlich besseres zu tun hat, als zusammen mit Han Coaxium zu stehlen. Er will nach seinen Clanmitgliedern suchen, die eventuell in den engen Minenschächten des Planeten Zwangsarbeit leisten müssen. So trennt er sich erstmal von seinem Partner und geht dem nach, was in diesem Moment wichtiger für ihn ist: Die Rettung anderer Wookies. Auf diese Weise wird aus Chewie eben mehr als nur ein stets loyales, Han immer auf Schritt und Tritt folgendes Haustier (seine Vorlage war schließlich George Lucas damaliger Hund).
Der Feinschliff in der Figurenzeichnung von Chewbacca lässt sich sogar in seinen Kampfszenen sehen. Auch hier wird in „Solo“ mehr auf seine Ursprünge, beziehungsweise auf das Wesen der Wookies eingegangen. Diesmal gibt es keinen Bowcaster, dafür aber Chewie im regelrechten Schlachtrausch, wenn er munter Arme ausreißt und Sklaventreiber brachial im Nahkampf durch Minenschächte kloppt. Dass in der riesenhaften Wookiegestalt mehr steckt, als mit einem Blaster rumzuballern, war natürlich auch vorher klar (Stichwort: Holoschach). Aber es mal so schön deutlich dargestellt zu sehen, ist dann doch erfreulich und zeigt, wie Wookies eben aussehen, wenn sie in den Berserkermodus schalten. Die Zeiten von seichten „Chewie ist kalt“- und „Chewie hat ein Aua“-Witzen sind vorbei.
Chewbacca der Menschenfresser?
Dazu passt auch eine der strittigeren Fragen, die sich aus „Solo“ ergeben: Als die Soldaten Han in die Monstergrube werfen, freuen sie sich schon auf das Spektakel und deuten an, dass sie das Wesen dort unten schon seit einigen Tagen nicht mehr gefüttert haben. Als Han unten im Matsch aufblickt, sieht er die Überreste seiner unglücklichen Vorgänger. Ihre Leichen scheinen nicht nur zerrissen worden zu sein, ihnen scheinen auch Teile zu fehlen. Hat Chewbacca wirklich Menschen gegessen?
Eine klare Antwort darauf gibt es nicht, vorstellbar wäre es aber schon. Schließlich litt Chewie nicht nur Hunger, er lebt auch schon ganz schön lange, hat einiges gesehen und weiß wohl, was manchmal nötig ist, um zu überleben. Mit dieser Einstellung gleicht er womöglich seinem Kumpel Han „Ich-schieße-immer-zuerst“ Solo. In jedem Fall würde es ihm eine überraschend düstere Note verleihen, die seine Partnerschaft mit dem moralisch oft auch flexiblen Schmuggler besser erklären würde.
Endlich Respekt
Fest steht, dass in „Solo: A Star Wars Story“ deutliche Bemühungen zu sehen sind, aus Chewbacca ein nachvollziehbareres Wesen mit unterschiedlichen Facetten werden zu lassen. Natürlich hängt dies auch damit zusammen, dass der Rahmen eines solchen Ablegers bessere Möglichkeiten und vor allem mehr Leinwandzeit bieten kann, als es in einem regulären Teil der „Star Wars“-Reihe mit einem größeren Ensemble möglich wäre, doch wie bereits geschrieben, sind es manchmal auch einfach die Details und Nuancierungen, die den Unterschied machen: So verleiht die Tatsache, dass Chewie in „Star Wars IV: Eine neue Hoffnung“ anders als Luke und Han keine Medaille verliehen bekommt, der ganzen Zeremonie im Nachhinein (ich gebe zu, bei frühen Sichtungen ist mir das nicht aufgefallen) einen fahlen Beigeschmack. Dieses Mal bekommt Chewie aber den Respekt, den ein über hundert Jahre alter Wookie und Veteran zahlreicher Kriege verdient hat.