Neben den blutigen Actioneinlagen ist es vor allem die die vierte Wand durchbrechende Titelfigur selbst und ihr Meta-Humor voller popkultureller und selbstreferenzieller Anspielungen, die so gut bei den Kinogängern ankommt und dafür sorgt, dass die „Deadpool“-Filme so erfolgreich sind. In der Tat, im Mainstreamkino dieser Größenordnung gab es wohl schon lange nicht mehr einen solch coolen Hund, der auf alle Konventionen pfiff und dabei die Grenzen zwischen Fiktion und Realität mit seinen Gags verwischte.
Permanent verweisen Deadpool und auch andere Figuren im Franchise auf die eigene Künstlichkeit und damit auch auf unsere Realität jenseits der filmischen Fiktion. Dann wird plötzlich Wissen beim Zuschauer vorausgesetzt, der es sofort parat haben und anwenden muss und wer den Gag einzuordnen weiß, gehört zum erlauchten Kreis der Kenner: McAvoy oder Stewart? Die verschiedenen Zeitlinien im „X-Men“-Franchise seien ja so verwirrend, heißt es im ersten „Deadpool“, und einen dritten wird man bestimmt nicht machen, macht man sich im zweiten Teil über eben diesen lustig. Unzählige Male spricht Deadpool direkt in die Kamera und Anspielungen auf andere Filme, Comics und dergleichen sind sowieso an jeder Ecke vorzufinden.
Doch ist das wirklich noch lustig, wenn es so ausdauernd und ausufernd eingesetzt wird wie nun in „Deadpool 2“? Mich ermüdet es mittlerweile zumindest einfach nur noch - vor allem mit der Aufdringlichkeit, mit der diese Witze daher kommen...
Den Rahmen sprengen
Mir geht es dabei nicht darum, lustige Anspielungen zu verteufeln, wie sie auch bei „The Big Bang Theory“ zuhauf vorkommen: In der beliebten Sitcom geht es um Nerds, die sich gerne über Themen der Popkultur unterhalten. Wenn Sheldon (Jim Parsons), Leonard (Johnny Galecki) und Co. über Batman reden, funktioniert das als Referenz, die man als Zuschauer wahrnehmen kann und die trotzdem ihren in sich schlüssigen Platz in der fiktionalen Welt hat. Viele Gags bei „Deadpool“ und „Deadpool 2“ sprengen aber den Rahmen, packen den Zuschauer, schütteln ihn und scheinen ihn regelrecht anzubrüllen, dass sie ja nur ein ausgedachter Witz seien und sich in dem Wissen darüber für wahnsinnig clever und eben lustig halten.
Aber wenn ein Film andauernd seine eigene Fiktion, seine eigene etablierte Welt aufbricht und mit dem Finger auf den Raum vor der Leinwand zeigt – welchen Grund habe ich dann noch, meine Gedanken und vor allem meine Gefühle in diese mühsam gestaltete Fantasiewelt zu investieren, aus der ich doch sowieso immer wieder aufs Neue und von den Machern so intendiert gerissen werde? Meines Erachtens schießen sich die „Deadpool“-Filme damit selbst in ihre (unechten) Knie. Denn egal, wie absurd eine Prämisse auch sein mag, wenn sie überzeugend inszeniert und erzählt wird, bin ich doch jederzeit bereit, mich fallen zu lassen und mein Wissen von der Realität gegen puren Eskapismus einzutauschen.
Thanos (Josh Brolin) mag in „Avengers: Infinity War“ aussehen wie eine riesige Rosine, aber die Geschichte und die Performance haben mich sehr gefesselt und ich konnte die Tragik seiner Figur wirklich spüren. Und bei meinem Lieblingsfilm „Aliens – Die Rückkehr“ fiebere ich noch beim 35. Sehdurchlauf mit Ellen Ripley (Sigourney Weaver) im Kampf gegen die Alien-Queen mit. Für zwei Stunden vergesse ich, dass ich einen Film sehe und halte die Fantasie für wahr.
Ein Armutszeugnis
Wenn bei „Deadpool 2“ das Drehbuch jedoch eine eigene tragische Geschichte beinhaltet, die mitunter auf die Tränendrüse drückt, dann kaufe ich das dem Werk einfach nicht mehr ab. Denn bis dahin wurde ich schon zu oft daran erinnert, dass das alles ohnehin nur stumpfe Unterhaltung ist – und zwar von dem Film selbst. Sorgenfreies Entertainment, das, so wird mir weisgemacht, nicht einmal besonders gut ist: Wie „faul“ das Skript doch geschrieben sei, ist einige Male zu vernehmen, natürlich als selbstironischer Gag seitens der Autoren.
Mit dieser als Lampshading bekannten Taktik wollen die Macher unter anderem Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, indem sie ganz offensichtlich auf ihre eigenen Fehler hinweisen und zugleich können sie einen vermeintlich intelligenten Meta-Witz verkaufen. Dem augenzwinkernden Hinweis auf die Schwächen des Drehbuchs gelingt aber ultimativ eines ganz sicher nicht: Eben genau diesen angesprochenen Makel zu beseitigen. Unter Umständen verweist der Gag sogar noch auf etwas, was mir vielleicht gar nicht weiter aufgefallen wäre und was schlecht ist, bleibt auch nach einem Witz darüber immer noch schlecht.
Für mich ist der permanente Rückgriff auf die eigene mediale Beschaffenheit ein humoristisches Armutszeugnis. Sich selbst zu dekonstruieren und darauf zu hoffen, dass das andere lustig finden, kann nicht ewig funktionieren und stets zu betonen, dass das Gezeigte nur ein Produkt ist, zeugt in meinen Augen nicht gerade von Vertrauen gegenüber diesem. Stattdessen fühle ich mich als Zuschauer in meiner Sehkompetenz sogar ein bisschen beleidigt und unrechtmäßig bei der Hand genommen: Ja, ich weiß, dass ich gerade einen Film sehe, können wir es jetzt dabei belassen? Nerv nicht!
Nur Filme, nicht mehr
Dabei ist mir schon bewusst, dass nicht 100 Prozent des Humors in den „Deadpool“-Filmen nur daraus besteht. Oft genug wird bewiesen, dass es auch anders geht, dass Slapstick und Sprüche sich auch einfach aus der rein filmischen Realität heraus ergeben und auch dort verbleiben können. Ungeachtet dessen, ob das nun konform ist mit der Comicvorlage: Reicht das nicht völlig aus? Ist das nicht vielleicht sogar besser? Zumindest empfinde ich es so.
Einer der meines Erachtens lustigsten Filme der letzten Zeit war „The Death Of Stalin“. Für mich hatte Armando Iannuccis Regiearbeit, gerade auch im gedanklichen Vergleich mit „Deadpool 2“, das viel größere komödiantische Selbstbewusstsein: Die Geschichte an sich bereitet unzähligen absurden Situationen den Nährboden, die von grandiosen, weil bierernsten und damit im Anbetracht der den jeweiligen Momenten inhärenten Komik saulustigen Schauspielern vollends ausgekostet werden, das es keiner weiteren Gimmicks bedarf. Story, Dialoge, Darsteller – die Elemente harmonieren perfekt miteinander, der Film funktioniert von daher aus sich selbst heraus, statt von außen auf sich selbst zu zeigen.
Wenn ein Film sich jedoch selbst als Film nicht ernst nimmt, mach ich es auch nicht, das gilt auch für eine Superhelden-Komödie. „Deadpool“ und „Deadpool 2“ tun aber aufgrund ihres Meta-Humors krampfhaft und penetrant alles dafür, damit man sie als das wahrnimmt, was sie eben sind: Filme. Nicht mehr und nicht weniger. Und das ist mir verdammt nochmal zu wenig.