Das Leben in der Vorstadt scheint herrlich. Die Gegend ist ruhig, man kennt seine Nachbarn, die Rasen sind immer perfekt gestutzt und man muss sich keine große Gedanken machen, wenn man die Kinder morgens zur Schule gehen lässt. Dass dieser schöne Schein nicht immer ganz so ungetrübt sein mag, wissen wir spätestens seit David Lynch, schließlich demaskierte er diese Idylle in seinem abgründigen Sado-Maso-Thriller „Blue Velvet“. Auch „Dexter“-Star Michael C. Hall muss dies in der neuen Netflix-Serie „Safe“ auf die schmerzhafte Tour erkennen, als das Verschwinden seiner Tochter die Illusion seiner ach so sicheren Vorstadtenklave ins Wanken bringt und ein Gerüst aus Lügen und menschlichen Abgründen zu Tage fördert.
Worum geht es in "Safe"?
Der erfolgreiche Kinderchirurg Tom Delaney (Michael C. Hall) lebt mit seiner Familie in einem wohlhabenden Vorstadtörtchen, in dem die Bewohner weitgehend ungestört von der Außenwelt vor sich hinleben können. Erst vor kurzem ist seine Frau verstorben, was weder er, noch seine beiden Töchter so richtig verarbeitet haben. Insbesondere Tochter Jenny (Amy James-Kelly) kann ihrem Vater nicht verzeihen, dass er in der verhängnisvollen Nacht nicht zu Hause war. Eines Abends verlässt sie das Haus, um sich mit ihrem Freund Chris (Freddy Thorpe) zu treffen und heimlich auf eine Hausparty zu gehen. Sie kehrt nicht zurück. Als auch am nächsten Tag jede Spur von ihr fehlt, macht Tom sich zunehmend panisch auf die Suche nach seiner Tochter. Ist sie etwa mit ihrem Freund weggelaufen?
Heile, eingezäunte Welt
Ähnlich wie Lynch widmen sich die Serien-Macher Harlan Coben („The Five“) und Danny Brocklehurst („The Driver“) in der ersten Folge erstmal dem Aufbau der bieder-bürgerlichen Vorstadtfassade, die genau das zu halten verspricht, was man von ihr erwartet. Helle, klare Farbtöne, schöne Häuser, schöne Gärten und erfolgreiche Menschen, die am besten zwei bis drei Kindern haben, aber auch bei einer Gartenparty nicht aus ihrer Haut können und mindestens ein Hemd, zur Not auch ein Polo-Shirt tragen. Die Nachbarschaft ist eingezäunt, zugänglich nur durch eine Zufahrtsstraße, die durch ein Tor und einen Wachmann abgesichert ist. Wenn man die Tochter für einen Wellness-Urlaub zu Hause lässt, wird am besten davor noch ein codegesichertes Schutzsystem eingebaut. Sicher ist sicher.
Erfolgreich schafft es „Safe“, innerhalb kurzer Zeit ein gewisses Gefühl des Unwohlseins heraufzubeschwören. Zwar scheint der Sicherheitswahn der Bewohner erstmal harmlos, dennoch fragt man sich bald, wovor sie sich denn da überhaupt mit so viel Aufwand schützen wollen. Dass man den schönen Schein nicht einfach hinnehmen will, liegt dabei schon an der ersten Szene: Die Beerdigung von Toms Frau wirft einen unheilvollen Schatten auf die danach geschilderte Idylle. Als der trauernde Witwer nach der Hand seiner ältesten Tochter Jenny greifen will, weist ihn diese kalt ab. Sichtlich verstört und mühsam um Fassung ringend murmelt Tom eine Entschuldigung, aber der Schaden scheint schon getan. Auch beim Zuschauer, denn so werden subtil erste Zweifel beim Zuschauer geschürt, die sich bald auch in ersten Rissen in der bürgerlichen Fassade bewahrheiten.
Denn wie schon die kleine Familienszene zeigt, stammt die Bedrohung nicht von außen, sondern von innen. Immer neue Details werden – fast beiläufig – dem Bild hinzugefügt: Drogenverkauf unter Jugendlichen. Eine Lehrerin, die der Verführung und des Missbrauchs minderjähriger Schüler verdächtigt wird. Ein verheerender Brand an der örtlichen Schule vor einigen Jahren, dem einige Kinder zum Opfer gefallen sind. Unter der Oberfläche scheint es zu brodeln. Und dann verschwindet Jenny.
Starker "Dexter"-Star
„Safe“ ist die erste Serien-Hauptrolle für Michael C. Hall, seit die finale Staffel von „Dexter“ vor fünf Jahren abgelaufen ist. Damals spielte er noch einen mörderischen Forensiker, der andere Kriminelle gnadenlos über die Klinge springen ließ. Davon ist seine neue Figur Tom – zumindest bislang – noch weit entfernt. Der Familienvater liebt seine Töchter, doch fällt ihm die neue Rolle als alleiniger Elternteil schwer, auch, weil ihn ein schlechtes Gewissen wegen seiner Affäre mit der Polizistin Sophie (Amanda Abbington) plagt. Immer wieder wird er von kurzen Flashbacks heimgesucht, in seinem Alltag sieht er plötzlich Erscheinungen seiner toten Frau.
Hall zeigt sich in seiner neuen Rolle in Bestform. Er verkörpert diesen trauernden, in sich widerstreitenden Charakter mit angemessener Einfühlsamkeit, bei gleichzeitiger Intensität und Zurückhaltung. Man kauft ihm den erfolgreichen, charismatischen und stets beliebten, fast schon peinlichen Gartenparty-Löwen genauso ab, wie den emotional fast schon hilflosen Vater, der seinem besten Freund Pete (Marc Warren) gesteht, dass er die Erziehungssachen und ernsten Tochtergespräche bislang immer seiner Frau überlassen hatte. Umso panischer und energischer reagiert er dann, als Jenny plötzlich weg ist und er sich auf die Suche nach ihr begibt.
Diese führt ihn nach dem relativ ruhigen Aufbau nach und nach zu verschiedenen Bewohnern der eingeschlossenen Gemeinschaft, die allesamt mehr zu verbergen haben, als es auf den ersten Blick scheint. Schon in den ersten zwei Folgen gibt es hier die eine oder andere überraschende Wendung und während das Tempo langsam anzieht, fragt man sich schnell, wem hier überhaupt wirklich zu trauen ist.
Spannende Figuren und erste Twists
Das gestaltet sich bislang recht spannend, da die weiteren Figuren des Bewohnerarsenals durchaus Lust darauf machen, sie weiterzuverfolgen. Da wäre zum Beispiel die bereits erwähnte Polizistin Sophie, die mit Tom – wohl auch schon vor dem Tod seiner Frau – eine Affäre hat. Erfahren, ruhig und spöttisch, mit einem weichen Kern aber auch einer entschiedenen, rauen Art versucht sie Tom bei seiner Suche zu helfen, muss aber gleichzeitig Emma (Hannah Arterton), ihre verbissene, neue Kollegin aus der Stadt bei Stange halten. Diese scheint ein übertriebenes Interesse an Toms besten Freund Pete zu haben, den sie rätselhafterweise nach Dienstschluss verfolgt und heimlich Fotos von ihm schießt.
Ohne zu viel von der Geschichte verraten zu wollen, ist es zum Ende der zweiten Folge aber vor allem das Familien-Trio der Marshalls, das mit den besten Wendungen und einigen wirklich witzigen, schwarzhumorigen Szenen aufwarten kann. Es war nämlich das Haus der weitgehend symphatischen, vielleicht etwas zu einnehmend-direkten JoJo (Nigel Lindsay) und Lauren Marshall (Laila Rouass), in deren Haus Tochter Sia (Amy-Leigh Hickman) heimlich die Party feierte, bei der Jenny zuletzt gesehen wurde. Vom ersten Eindruck vor der Tür mit Tom, bis zum Rückblick in der zweiten Folge sind die Marshalls definitiv für die eine oder andere Überraschung und auch zukünftige Komplikation zu haben.
Fazit
Nach den ersten zwei Episoden macht „Safe“ schonmal einen äußerst positiven Eindruck. Vom geduldigen-langsamen Auftakt, dem atmosphärischen Aufbau der Vorstadtenklave und den interessanten, größtenteils vielschichtigen Figuren macht hier vieles Lust, weiter dranzubleiben. Hinter jedem Charakter scheint eine verborgene Geschichte zu stecken, ein dunkler Fleck in der Vergangenheit, ein dreckiges Geheimnis. Allein diese Prämisse dürfte viele Zuschauer bei der Stange halten, jedoch bleibt zu hoffen, dass bei der Menge der Figuren und Geschichten nicht der Haupthandlungsstrang zu leiden hat. Auch die Schauspielleistung scheint bislang auf hohem Niveau, wobei sich auch Hauptdarsteller Michael C. Hall und auch „Sherlock Homes“-Star Amanda Abbington in bester Form zeigen.
Ob die Serie in den weiteren sechs Episoden das Tempo noch anziehen und die Qualität der Wendungen und Handlungsstränge beibehalten kann, wird sich zeigen. Einen Blick oder gleich mehrere sollte „Safe“ allemal wert sein.
Alle acht Folgen der ersten Staffel „Safe“ sind ab sofort (10. Mai 2018) bei Netflix auf deutsch und in englischer Originalfassung verfügbar.