Panik breitet sich in mir aus und der Angstschweiß bricht langsam aber ganz sicher auf meiner Stirn aus. Als in der Einladung zum „Early Man - Steinzeit bereit“-Pressetag in Berlin die Rede von einem Bastelworkshop mit Modellbauerin Hanna Habermann war, dachte ich noch, dass das sicher ganz lustig und unkompliziert werden würde. Bestimmt würde man da ein paar einzelne Teile zusammenstecken und gut ist‘s. Aber jetzt sitze ich an einem großen, gläsernen Tisch mit Kollegen und Kindern vor einem undefinierbaren Haufen Knete.
Der Auftrag: ein prähistorisches Wildschwein formen. Um Himmels willen, wie soll ich das nur packen? Und dann sind da auch noch Menschen mit Kameras anwesend: Ich werde mich blamieren! Schließlich habe ich seit meiner Kindheit keine Knete mehr angefasst und in der Schule war ich eine grandiose Kunstniete, die andauernd Fünfen kassiert hat. Aber unter der professionellen Anleitung von Hanna wird diese Unternehmung schon klappen.
Hanna hat visuelle Kommunikation in Offenbach studiert und ist seit Jahren in der Filmbranche tätig, wo sie bei Projekten wie „Das Sandmännchen – Abenteuer im Traumland“ oder „The Apostle“ als Künstlerin tätig war. Zuletzt arbeitete sie wie schon bei „Piraten! Ein Haufen merkwürdiger Typen“ auch verstärkt bei Aardman Animations – jenem englischen Studio, aus dem solche Ikonen des Stop-Motion-Films wie „Wallace & Gromit“ und „Shaun das Schaf“ hervorgegangen sind. Auch beim Stop-Motion-Film „Early Man“ von Regisseur Nick Park war sie mit von der Partie. In dem prähistorischen Feelgood-Abenteuer liefern sich Steinzeit- und Bronzezeitmenschen ein Fußballspiel um die Zukunft eines üppig bewaldeten Tals.
Aber wie ist sie überhaupt zu ihrem Beruf gekommen? „Ich glaube, der Puppenbau hat mich gewählt“, verrät mir Hanna im Gespräch. „Ich habe früher in einem Produktionsbüro gearbeitet und spürte damals, dass mir das nicht so recht zusagte. Gleichzeitig hatten wir damals Probleme, Knetfigurenbauer zu finden, weil ein Projekt schon zehn Mal verschoben wurde. Und dann haben wir einfach entschieden, es selber zu machen. Ich bin also in die Puppen-Abteilung gegangen … und seitdem nie wieder weggegangen.“
Festverträge gibt’s nicht
Die Entscheidung für den Knetfigurenbau („Puppen“ im Fachjargon) ist das eine, aber eine Karriere daraus zu machen, steht auf einem gänzlich anderen Blatt geschrieben. Ob sie denn Ratschläge für den Nachwuchs hätte, frage ich sie. „Also, erst einmal: Festanstellungen gibt es in der Branche überhaupt gar nicht. Bei Aardman kann man dem schon näherkommen, wenn man schon lange dabei ist. Das war bei mir der Fall, dass in den vergangenen fünf Jahren nach einem Projekt immer gleich das nächste anfing. Trotzdem waren es immer nur befristete Verträge.“
Um überhaupt durchstarten zu können, muss man schon versuchen, einen Fuß in die Branchentür zu bekommen – leider. Hanna hat zum Beispiel früher für sehr wenig Geld gearbeitet. Das empfiehlt sie eigentlich nicht, ist aber die Realität. Und bewerben muss man sich natürlich auch: Über zwei Jahre hinweg hat sie es mehrmals bei Aardman versucht, ehe es eine Rückmeldung gab. In der Zwischenzeit hat sie Erfahrungen bei anderen, kleineren Projekten gesammelt. Dem weiblichen Nachwuchs kann Hanna beruhigend mitteilen, dass sie die Branche als offen und fair erlebt hat – anders als bei ihrem ehemaligen Job als Druckerin: „Da hört man schon mal andere Sachen.“
Grundsätzlich muss man natürlich sehr an der Materie interessiert sein und wenn man sich die technischen Aspekte des Berufes wie Formbau oder Löten aneignen will, sollte man sich an anderen orientieren. Besonders wichtig seien allerdings die technischen Datenblätter, in denen man viel schmökern sollte und die genaue Angaben zur Beschaffenheit des Arbeitsmaterials liefern. Das sei eh besser, als wenn einem zehn Leute verschiedene Dinge sagen wollen.
Ein solches Datenblatt liegt mir bei meinem Knetversuch leider nicht vor und ob mir das auch weiterhelfen würde, wage ich zu bezweifeln. Immerhin habe ich bereits eine grobe Form und man kann erkennen, in welche Richtung die Reise gehen soll. Mit meinen Händen forme ich nun vier gleichmäßig lange Beine und um die am Rumpf zu befestigen, sind mir Zahnstocher sehr behilflich. Es geht voran mit meinem Schwein! Apropos Schwein: Muss man denn ein ausgewiesener Fan von Höhlenmenschen, prähistorischen Tieren und Fußball sein, um ein Projekt wie „Early Man“ anzunehmen? Wie wählerisch kann man beim Beruf als Knetfigurbauerin eigentlich sein?
„Das ist mal so, mal so“, sagt Hanna. „Ich habe ja jetzt einige Zeit bei Aardman gearbeitet und konnte so etwas Geld zur Seite legen. Das heißt, zurzeit kann ich es mir erlauben, wählerisch zu sein. Nach einiger Zeit muss man dann aber wieder zu allem ja sagen. Es kommt immer darauf an, wie gut die Arbeit bezahlt ist und wie viele Aufträge reinkommen.“
Eine Knetfigur in sechs Wochen
Weiter geht’s mit der Bastelei: Diese ist für nur eine Stunde angesetzt, viele Versuche, die richtigen Formen zu erkneten, bleiben mir also nicht, ehe der nächste Schritt ansteht. Hochkonzentriert versuche ich, mit den anderen und vor allem Hanna Schritt zu halten und schaue dabei neidisch auf die bisherigen Ergebnisse meiner Nachbarn und der Kinder – die können das alle besser als ich! Etwas mehr Zeit wäre schon nicht schlecht, denke ich mir.
Und diese Zeit hat Hanna auch bei ihrem Job: Es kommt zwar immer auf die Komplexität der jeweiligen Puppe an. Standardmäßig kann man aber eine Knetfigur in sechs Wochen bauen, wobei die Hälfte der Zeit für Rumpf und Gliedmaßen benötigt wird und der Kopf aufgrund seiner vielen Details ebenso viel Zeit verschlingt – und dann hat das Modell noch nicht einmal Haare oder Fell, die zusätzliche Herausforderungen sind. Und was man auch nicht unterschätzen darf: Bis der jeweilige Regisseur eine Figur abgesegnet hat, kann auch schon mal eine Woche vergehen.
Mittlerweile hab ich’s fast geschafft, die Augen, Zähne und Nasenlöcher sind gemacht und jetzt muss ich nur noch mit dem Zahnstocher lauter kleiner Striche in die Knete ritzen, die das Fell darstellen sollen. Wenig später halte ich mein eigenes Wildschwein in der Hand – und ich find es gar nicht mal so schlecht! Aber seht selbst:
Ob ich vielleicht doch eine Zukunft als Puppenbauer und Modellmacher hätte? Ich denke nicht. Aber wie sieht Hanna die kommenden Jahre im Stop-Motion-Film, gerade mit Blick auf die computeranimierte Konkurrenz? „Die Projekte sind schon vergleichsweise rar gesät und was permanente Stop-Motion-Studios angeht, gibt es ohnehin nur Aardman und Laika.“
Für Deutschland wünscht sie sich jedenfalls mehr Animation und vor allem mehr Stop-Motion-Animation und zwar nicht nur im Bereich des Indiefilms. So fände sie es schön, wenn zum Beispiel hiesige Werbeagenturen in der Hinsicht mutiger wären und Stop-Motion einsetzen würden – das nötige Kleingeld wäre vorhanden. „Jeder liebt witzige Charaktere und verrückte Designs und es gibt so viele Möglichkeiten, aber in Deutschland ist man da noch sehr verhalten.“
Hanna Habermann war auch bei "Shaun das Schaf 2" dabei
Hanna war übrigens auch an den Arbeiten zu „Shaun das Schaf - Der Film 2“ beteiligt und hat für das Sequel verschiedene neue Figuren modelliert. Seitdem widmet sie sich anderen Aufgaben und möchte dabei Kontakte in anderen Bereichen und zur unabhängigen Szene knüpfen. Wie es um die Fortsetzung des Kinofilms über das berühmte Schaf bestellt ist, kann sie jedenfalls nicht sagen. Da bleiben nur noch zwei zentrale Fragen zu klären: Wäre sie in der Steinzeit eine Jägerin oder eher eine Sammlerin? „Ich wäre eine Sammlerin, weil man da nicht so viel rumrennen muss und es nicht so risikoreich ist.“ Und wer wird Fußballweltmeister 2018? „Wenn es jemand anderes als Deutschland wird, ist es schon okay.“
„Early Man - Steinzeit bereit“ wurde von Nick Park inszeniert und startet am 26. April 2018 in den hiesigen Kinos.