In Dean Devlins Katastrophen-Thriller „Geostorm“, der seit dem 12. April 2018 auf Blu-ray und DVD erhältlich ist, müssen Gerard Butler, Alexandra Maria Lara und Daniel Wu einen hochentwickelten Wettersatelliten stoppen, da dieser durch eine manuell verursachte Fehlfunktion Naturkatastrophen auslöst – anstatt sie, wie ursprünglich angedacht, zu verhindern. Bevor die Welt jedoch gerettet werden kann, fliegt sie den Figuren zur Unterhaltung des Publikums erst einmal ordentlich um die Ohren. Der namensgebende Supersturm entsteht aus einer Kettenreaktion verschiedener natürlicher Desaster, die im Lauf des Films eine Schneise der Verwüstung hinter sich herziehen und Actionfans auf ihre Kosten kommen lässt.
Doch warum können wir uns für Weltuntergangsszenarien und Zerstörungsorgien eigentlich immer wieder so begeistern? Was macht den Reiz aus, die Überlebenden dabei zu begleiten, wie sie versuchen, sich vom Krisenherd zu entfernen und durch die Ruinen der Zivilisation zu entkommen? Was genau finden wir eigentlich so geil an Katastrophenfilmen?
Das Ende der Welt als Spektakel
In erster Line natürlich, dass es kracht. Die schiere Zerstörungsgewalt der Monsterflutwellen, Tornados und Erdbeben in Filmen wie „Twister“, „San Andreas“ oder „The Wave“ auf der Leinwand zu sehen ist auf jeden Fall ein Erlebnis. Beim Katastrophenfilm versucht ja nicht von Ungefähr jeder Filmemacher, noch größere Vernichtung anzurichten als der vorherige. Der unangefochtene „Master Of Disaster“ Roland Emmerich, der das Weiße Haus mittlerweile schon zwei Mal („Independence Day“, „2012“) komplett in Schutt und Asche gelegt und einmal immerhin ordentlich verwüstet hat („White House Down“), lässt in „2012“ gleich alle Naturkatastrophen auf einmal auf die Menschheit los und ist somit der größte Krawallkopf in Hollywood.
Dass uns die Grausamkeit der Weltenzerstörung, die ja eigentlich Horror in uns auslösen sollte, so gefällt, lässt sich psychologisch begründen: Sieht man heftige Action auf dem Bildschirm, löst das ähnliche Gefühle in einem aus, als würde man auf einen Sandsack einschlagen, sprich sich abreagieren. Das wird in der Regel als Katharsis bezeichnet. Außerdem greift bei vielen Szenen, die uns tatsächlich um die Figuren bangen lassen und erst einmal negative Gefühle wie Besorgnis oder Anspannung in uns auslösen der sogenannte „Excitation transfer“ – ein wissenschaftliches Konstrukt, das Folgendes besagt: Dadurch, dass psychische Belastung eine lange Zeit benötigt, um vollkommen im Gehirn „abgebaut“ zu sein, wird die angestaute negative Energie bei einem positiven Ausgang der beobachteten Situation automatisch zu einem gleichwertigen Glücksgefühl umgewandelt und trägt so zur Unterhaltung bei. Äußerst wissenschaftlich und obendrein ziemlich dufte.
Ein vertrautes Gesicht in der Menge
Damit wir aber nicht die ganze Zeit um das Überleben der Figuren fürchten müssen, sondern auch streckenweise einfach Spaß haben können, hat Hollywood ein cleveres Sicherheitsnetz in den Desasterfilm eingebaut: den Filmstar, dessen Gesicht auf jedem Poster zu sehen ist und der garantiert bis zum Schluss überlebt. Falls er verfügbar ist, sollte man für diesen Part Dwayne „The Rock“ Johnson („San Andreas“, „Rampage“) anheuern, ansonsten geht auch ein anderer Star, wichtig ist nur ein hoher Wiedererkennungswert. In der Vergangenheit übernahmen diese Rolle John Cusack („2012“), Gerard Butler („Geostorm“, „Olympus Has Fallen“) oder früher Gene Hackman („Die Höllenfahrt der Poseidon“).
Wenn der Filmstar Leute aus eingestürzten Gebäuden oder Kätzchen aus brennenden Autos rettet, fürchten wir nicht um seine Gesundheit, sondern versetzen uns in seine Lage und erleben die Action nicht als menschliche und ökologische Tragödie, sondern als Zurschaustellung heroischer Qualitäten. Wer sieht sich nicht gern als den strahlenden Helden, der in Krisensituationen geistesgegenwärtig reagiert und am Ende alle rettet? Da Naturkatastrophen als Bedrohung glaubwürdiger sind als beispielsweise Superschurken, Zombies oder Godzilla, fällt es auch leichter, sich in die Situation des Protagonisten zu versetzen. Dieser steht stellvertretend für alle Zuschauer und vertritt ihn im Konflikt Mensch gegen Natur.
Für die etwas realistischere Darstellung der Leute, die sich während der Katastrophe gehörig in die Hosen machen vor Angst gibt es übrigens ebenfalls einen beliebten Archetyp: den feigen Schnösel, der vom Universum für seine Ruchlosigkeit und zu hohe Kaufkraft bestraft werden muss. Mehr dazu gleich.
Egal, ob arm oder reich, beim Sterben sind alle gleich
Die (Natur-)Katastrophe ist der große Equalizer, der den Menschen auf seine nackten Instinkte reduziert. Dem Vulkan ist es nämlich herzlich egal, wen er da gerade unter heißer Lava begräbt, weshalb soziale oder finanzielle Unterschiede zwischen den Figuren bei der Erzählung in den Hintergrund rücken und jeder an einem Strang zieht. Dieses Gemeinschaftsdenken vermittelt ein Gefühl von Menschlichkeit und Wärme, selbst in der dunkelsten Stunde. Ein großer Selling-Point des Genres.
Einzige Ausnahme ist dabei der Feigling. Meist ist das ein reicher Schnösel, der immer noch nicht verstanden hat, dass beim Überlebenskampf nicht zählt, wie viele Nullen er auf seinem Gehaltsscheck hat. Wenn die Naturkatastrophe die „Rache Gottes“ bzw. der Natur an der Menschheit darstellt, steht der Schnösel sinnbildlich für ihre Sünden und muss daher ein besonders grausames Schicksal erleiden. Diese Form der ausgleichenden Gerechtigkeit ist zwar zugegebenermaßen ganz schön grobschlächtig, als Ventil für kollektive Frustrationen mit der kapitalistischen Ellbogengesellschaft und der gefühlten Machtlosigkeit des „kleinen Mannes“ aber auch recht universell befriedigend.
Paranoia und Warnung vor der menschlichen Hybris
Außerdem appelliert der Desasterfilm an den Schwarzseher in uns. Neben der bereits erwähnten Ungerechtigkeit in der Einkommensverteilung enthüllen die Katastrophenszenarien auch andere gesellschaftliche und umweltpolitische Missstände, die der Mensch selbst zu verantworten hat. In „The Day After Tomorrow“ leitet der durch Treibhausgase und Umweltverschmutzung verursachte Klimawandel eine neue Eiszeit ein, in „Dante’s Peak“ und „Flammendes Inferno“ ist es die zügellose Gier von Kapitalisten, die unschuldige Menschenleben in Gefahr bringt. Im noch 2018 in Großbritannien erscheinenden Horrorfilm „Slaughterhouse Rulez“ mit Nick Frost und Simon Pegg wird das umstrittene Fracking der Auslöser für eine übernatürliche Katastrophe sein. In jedem dieser Fälle verursacht der Mensch sehenden Auges selbst das Fiasko.
Zum Heimkinostart von "Geostorm" mit Alexandra Maria Lara: Diese deutschen Schauspieler sind auch international erfolgreich!Diese Moralisierung und potentielle Vermeidbarkeit des bevorstehenden Armageddon bietet dem Zuschauer ein Rettungsseil, mit dem er sich den nihilistischen Implikationen einer unwillkürlichen Vernichtung entziehen kann (siehe als Gegenbeispiel „Melancholia“). Die Vorstellung, dass die Annahme, die Welt stehe bereits am Abgrund, keine Paranoia, sondern grausamer Fakt sein könnte, ist nur dann erträglich, wenn der Mensch das Gefühl hat, die absolute Vernichtung noch abwenden zu können. So ist die Message vieler Katastrophenfilme nicht „wir werden am Ende sowieso alle sterben und können nichts dagegen tun“, sondern meist „pass auf, wie du mit dem Planeten und deinen Mitmenschen umgehst, sonst wird es schlimme Konsequenzen geben!“. Dieser vorsichtige Optimismus und der Blick in eine bessere Zukunft, in der der Mensch aus seinen Fehlern gelernt hat, findet sich am Ende vieler Desasterfilme, sodass der Zuschauer mit einem nachdenklichen, aber guten Gefühl in die Welt entlassen wird. Essentiell für den Massenappeal und die Langlebigkeit des Genres.