In Pixars „Coco“ findet sich der mexikanische Junge Miguel Rivera plötzlich im Reich der Toten wieder, wo er sich auf die Suche nach seinem großen Idol, dem verstorbenen Musiker und Filmstar Ernesto de la Cruz, macht. Die mexikanische Kultur und insbesondere der Dìa de Muertos (der Tag der Toten) spielt in der Geschichte eine zentrale Rolle. Im Interview erzählen Regisseur Lee Unkrich und Produzentin Darla K. Anderson, die auch schon gemeinsam an „Toy Story 3“ gearbeitet haben und das Projekt „Coco“ bereits seit 2011 betreuen, von welchen mexikanischen Legenden sie sich inspirieren ließen, welche Schwierigkeiten bei der Animation von Skeletten auftauchen und in welchen Bereichen ihnen Authentizität ganz besonders wichtig ist…
Authentisches Mexiko
FILMSTARTS: Wart ihr vor eurer Arbeit an „Coco“ schon einmal auf einer Día-de-Muertos-Feier?
Lee Unkrich: Ihr bin vorher noch nicht einmal in Mexiko gewesen.
Darla K. Anderson: Du warst doch schon einmal dort, um einen Film zu promoten.
Lee Unkrich: Ja, aber das zähle ich nicht wirklich als Mexiko-Besuch. Man sitzt ja nur in einem Raum und gibt Interviews. Ich war also noch nie dort, bevor wir diesen Film gemacht haben. Dort gewesen zu sein, war aber essenziell für die Arbeit. Wir haben eine Menge recherchiert.
FILMSTARTS: Wie haben denn die mexikanischen Zuschauer auf den Film reagiert?
Darla K. Anderson: Es war wunderbar. Wir haben viele Nachrichten und Tweets geschickt bekommen von Menschen, die sich vom Film sehr angesprochen fühlen und ihn mehrmals gesehen haben. Es ist überwältigend gewesen. Wir hatten so gehofft, dass „Coco“ dort gut ankommt und die Leute sehen, wie sehr es uns am Herzen liegt, die Festivitäten und ihre Kultur authentisch darzustellen und mit Respekt zu behandeln. Die Tatsache, dass der Film so gut aufgenommen wurde, ist einfach überwältigend, fast surreal. Wir sind unglaublich dankbar.
FILMSTARTS: Apropos Authentizität. Musik spielt im Film eine wichtige Rolle und immer wenn Instrumente gespielt werden, wirken die Bewegungen der Musiker sehr realitätsnah. Wie habt ihr das hinbekommen?
Lee Unkrich: Das lag mir von Anfang an sehr am Herzen. Wir kennen ja alle Filme, in denen die Musiker zwar Instrumente halten, es aber offensichtlich ist, dass sie sie nicht wirklich selbst spielen. Ich denke, so etwas erkennt jeder. Und das zerstört die Magie. Es fühlt sich nicht mehr wahrhaftig an. Wir wussten von vornherein, dass sehr viel Musik in unserem Film vorkommt und dass viele Instrumente gespielt werden. Deshalb wollten wir sichergehen, dass dieser Aspekt auch akkurat dargestellt wird. Wann immer Musik wie eine Gitarrennummer im Studio eingespielt wurde, wurde das von mehreren Kameras aufgezeichnet, die auf unterschiedliche Teile der Gitarre gerichtet waren. Außerdem waren am Hals der Gitarre GoPro-Kameras angebracht, einfach um viel Referenzmaterial für die Animationsabteilung aufzunehmen. Diese hat sich anschließend genau an den Aufnahmen orientiert, um jedes Detail und jede Handbewegung richtig darstellen zu können.
Zwischen Leben und Tod
FILMSTARTS: Zum Stichpunkt Animation: Die Figuren im Film haben haufenweise einzigartige Merkmale, seien es die Falten der Großmutter oder die unterschiedlichen Bärte der Männer. Im Reich der Toten sind jedoch alle Figuren Skelette. Das macht es für euch doch schwerer, sie voneinander auf den ersten Blick unterscheidbar zu machen?
Lee Unkrich: Am Ende des Tages war uns immer klar, dass die Skelette auch nur Personen sind. Oft haben wir sie daher zuerst als lebendige Menschen mit Fleisch und Blut gezeichnet und uns einen einzigartigen Charakter für jedes einzelne überlegt. Von diesem Ausgangspunkt sind wir dann rückwärtsgegangen. Wir haben versucht, diesen Charakter auch in der Skelettversion beizubehalten. Wir mussten das Land der Toten mit zahlreichen Skeletten füllen, daher war es wichtig, jedes einzigartig zu gestalten, damit es nicht aussieht, als hätten wir einfach immer dasselbe Modell verwendet. Das war eine große Herausforderung.
FILMSTARTS: Im Land der Toten gibt es aber nicht nur Skelette, sondern bunte Fabelwesen, die die Seelen der Verstorbenen begleiten. Was hat es damit auf sich?
Lee Unkrich: Die sogenannten Alebrijes sind inspiriert von mexikanischer Volkskunst aus den 1930ern. Es gab einen Künstler, Pedro Linares, der sehr krank war. Er lag im Fieber und hatte einen Fiebertraum. Er stellte sich diese ganzen Kreaturen vor, diese bunten Geschöpfe, die alle Kombinationen verschiedener Tiere waren. Als er wieder gesund war, erschuf er Kunst, die von seiner Vision inspiriert war. Diese Skulpturen werden heutzutage von vielen Menschen angefertigt, vor allem in Oaxaca, aber auch im Rest von Mexiko. Wir dachten einfach, es wäre spaßig, diese Kreaturen zum Leben zu erwecken, auch wenn sie eigentlich keine direkte Verbindung zum Tag der Toten haben. Sie sind ja dennoch ein großer Bestandteil mexikanischer Kultur und passen damit in unseren Film. Wir wollten einen Weg finden, sie irgendwie organisch in unsere Geschichte einzubauen.
FILMSTARTS: Gibt es solche Alebrijes auch im Land der Lebenden?
Lee Unkrich: Ja, aber dort existieren sie sozusagen als „reale“ Versionen ihrer selbst. Wir haben uns gedacht, dass sie womöglich als Geisterführer zwischen den Welten wandeln können, aber wenn sie sich in unserer Welt befinden, sehen sie aus wie ganz normale Hunde oder eben andere Tiere.
Darla K. Anderson: Wenn ein Hund oder eine Katze einfach dasitzt und ins Leere starrt, bekommt man manchmal das Gefühl, sie könnten in eine andere Realität oder in eine andere Welt blicken. Darauf haben wir ein bisschen angespielt.
Die Welt der Toten und ihr berühmtester Bewohner
FILMSTARTS: Wovon ist die Architektur im Land der Toten inspiriert? Gab es eine Vorlage für die riesigen Türme?
Darla K. Anderson: Die Türme sollten all das widerspiegeln, was wir auf unseren Reisen gesehen haben. Als erstes wären da die Pyramiden. Die Aztekenpyramiden. Und darüber kommen dann weitere Schichten, die Generation für Generation aufeinander aufbauen. Daher finden auf der Turmspitze immer Bauarbeiten statt. Es ist gewissermaßen wie ein Familien-Stammbaum, der sich immer weiter aufspaltet und wächst.
Lee Unkrich: Es ist eine Welt, die permanent im Aufbau ist. Wir haben verschiedene Designs ausprobiert und uns letztendlich auf diese korallenartigen Türme geeinigt, die aus dem Wasser emporragen und dort über die Zeit hinweg immer massiver werden. Wir wollten sie zudem so bunt und magisch wie möglich gestalten. Überall sind Lichter.
FILMSTARTS: Im höchsten Turm im Totenreich residiert der Musiker Ernesto de la Cruz, dem der Protagonist nacheifert. Gibt es eine bestimmte Inspiration für ihn?
Lee Unkrich: Er sollte der größte Star sein, den Mexiko jemals hervorgebracht hat. Er ist fiktional und damit natürlich wesentlich berühmter als alle realen mexikanischen Stars. Wir haben einen Blick auf die Geschichte mexikanischer Entertainer geworfen und uns sind zwei Personen aus den 40er und 50er Jahren besonders aufgefallen. Pedro Infante und Jorge Negrete. Große Filmstars und Sänger. De la Cruz ist von ihnen und von ihren Rollen inspiriert. Außerdem von einem modernen Sänger namens Vicente Fernández und auch ein bisschen von Elvis Presley. Und von Liberace.
Coco - Lebendiger als das Leben!FILMSTARTS: Könntet ihr euch vorstellen, in Zukunft noch einmal ins Land der Toten zurückzukehren? Gibt es eventuell schon Pläne für eine Fortsetzung?
Lee Unkrich: Wir haben „Coco“ immer als alleinstehende Geschichte gesehen. Das sagen wir über jeden Film, den wir machen, auch über die, die letztendlich Sequels bekommen haben.
Darla K. Anderson: Es kommt immer darauf an, ob jemand eine konkrete Vision hat.
Lee Unkrich: Es müsste eine Geschichte geben, die es wert ist, erzählt zu werden.
In den USA steht der bunte Spaß bereits souverän an der Spitze der Kinocharts, bei uns startet „Coco“ am 30. November 2017.