Ein älterer Mann hockt in aller Öffentlichkeit auf der Straße und verrichtet sein (großes) Geschäft, als ein Kind ihm von hinten die Hände um den Kopf legt und ihm die Augen zuhält: „Rate mal, wer da ist, Papa?“, fragt der Sohn seinen Vater. Eine ganz alltägliche Szene in Indien, denn der öffentliche Stuhlgang ist in der Milliardennation absolut nichts Ungewöhnliches.
Trotzdem hätte wohl niemand – erst recht nicht im Westen – damit gerechnet, dass aus der Thematik gleich ein ganzer Kinofilm entstehen würde: Die oben beschriebene Szene stammt aus „Toilet: Ek Prem Katha“ (übersetzt etwa „Toilette: Eine Liebesgeschichte“), einem Film von 2017, in dem tatsächlich der Bau einer Toilette im Mittelpunkt steht. Der Protagonist Keshav (Akshay Kumar) verliebt sich darin Hals über Kopf in die schöne Jaya (Bhumi Pednekar), wenig später heiraten die beiden. Dock am Morgen nach der Hochzeit muss die Braut mal aufs Klo – und dafür mit den anderen Frauen des Dorfes raus in die Felder, in Keshavs Haus gibt es nämlich kein WC. Aber da spielt die resolute Jaya nicht mit! Bis zur Lösung des Problems zieht sie zurück zu ihren Eltern: „No Toilet, No Bride“, lässt sie Ehemann Keshav noch wissen…
Fast noch überraschender als der Umstand, dass es einen Film über einen Toilettenbau gibt, ist aber fast noch, dass es sich bei „Toilet: Ek Prem Katha“ eben nicht um irgendeine kleine Independent- oder Arthouse-Produktion handelt. Ganz im Gegenteil: Hauptdarsteller Akshay Kumar ist einer der weltweit zehn bestbezahlten Schauspieler überhaupt – und das Budget der Großproduktion belief sich einschließlich Werbekosten auf für indische Verhältnisse stolze sechs Millionen Euro. Der Blockbuster startete auf mehr als 3.000 Leinwänden. Aber warum sollte jemand den Bau einer stinknormalen Toilette als großes Filmereignis inszenieren – das ist ja fast so, als würde man Brad Pitt für eine Folge der Doku-Soap „Einsatz in vier Wänden“ anheuern. Auf ein westliches Publikum wirkt das schon arg befremdlich. Und doch ergibt das alles Sinn, wenn man nur die Hintergründe kennt…
Wenn du deine Ehefrau bei dir haben willst, dann muss es auch eine Toilette im Haus geben.
Das Thema Toiletten ist nämlich keinesfalls zufällig gewählt. Im Riesenland Indien (aktuelle Schätzungen gehen von 1,3 Milliarden Einwohnern aus) haben um die 60 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu einem Klo und gehen stattdessen in die freie Natur! Toiletten sind aber eben nicht nur eine Frage des Komforts: Bakterien und Viren aus dem menschlichen „Abfall“ wandern bei öffentlicher Darmentleerung in Boden und Trinkwasser. Letztlich landen die Krankheitserreger dann wieder im Menschen. In Indien sind Typhus, Hepatitis und Cholera jährlich für etwa 600.000 Todesfälle verantwortlich! Und besonders Frauen leiden unter den Zuständen. Während indische Männer wie Vater Pandit einfach überallhin machen, laufen Frauen hingegen – oft in der Morgen- oder Abenddämmerung – lange Wege auf die Felder hinaus, um ihre Privatsphäre zu wahren. Unterwegs lauern allerdings Gefahren wie Skorpione, Schlangen und Vergewaltiger. In Indien fällt schätzungsweise alle 15 Minuten eine Frau einer Vergewaltigung zum Opfer und in der Dämmerung sind die nach einem Platz für ihre Notdurft suchenden Frauen besonders ungeschützt.
Deshalb wird in „Toilet: Ek Prem Katha“ auch Ehefrau Jaya als treibende Kraft hinter dem Stille-Örtchen-Bau gezeigt. „Toilet: Ek Prem Katha“ hat in Indien sogar eine kleine Bewegung ausgelöst, Jayas Schlachtruf „No Toilet, No Bride!“ hört man nun immer öfter und der Kinostart des Films fällt auch mit verstärkten Hygiene-Bemühungen der indischen Regierung zusammen: 100 Millionen neue Toiletten sollen bis 2019 besonders in ländlichen Gegenden errichtet werden, so die Zielvorgabe von Premierminister Narendra Modi.
Trotz der guten Absichten fällt es schwer sich vorzustellen, dass deshalb auch massenhaft Zuschauer in den Film rennen. Immerhin kennen wir von Bollywood-Blockbustern vor allem ausgelassene Tänze und farbenfrohen Eskapismus mit schönen Menschen. Ein Floppen des Films wäre deshalb wohl auch keine Überraschung gewesen. Aber „Toilet: Ek Prem Katha“ ist der (bisher) zweiterfolgreichste Film des Jahres. Superstar Akshay Kumar steht zudem voll hinter der Botschaft des Streifens und erklärte im Interview: „Ich glaube, die Unterhaltungsindustrie hat die Macht und den Einfluss, aus Indien ein besseres, sichereres und hygienischeres Land zu machen, das seine Einwohner lieben und in dem sie gerne leben wollen.“
Ein Paar hat das Taj Mahal als Zeichen ihrer Liebe errichtet. Aber ich konnte nicht mal ein Klo bauen.
„Toilet: Ek Prem Katha“ ist übrigens nicht der einzige aktuelle große indische Film, der sich eines sozialen Problems annimmt: So widmet sich 2018 „Padman“ (ebenfalls mit Akshay Kumar in der Hauptrolle) dem Thema Menstruations-Hygiene. Bereits am 1. September 2017 ist mit „Shubh Mangal Saavdhan“ ein Werk über Erektionsstörungen gestartet. Mit „Vicky Donor“ war 2012 bereits ein Film über Sperma-Spenden erfolgreich. All diese Produktionen bieten spaßige Unterhaltung mit den bekannten und beliebten Versatzstücken des Bollywood-Kinos – nur kommt dazu eben noch die Absicht, das Gemeinwohl zu verbessern. Auch deutsche Bollywood-Fans sollten sich den Film mit der Toilette im Titel also ruhig einmal ansehen – für einen Stuhlgang in Würde.