Das Wort Legende wird oft allzu leichtfertig verwendet, aber bei John Williams ist es definitiv angemessen: Von „Der weiße Hai“ über „Krieg der Sterne“ und „Indiana Jones“ bis zu „Harry Potter“ tragen viele der beliebtesten Filme der vergangenen fünf Jahrzehnte die musikalische Signatur des mittlerweile 84-jährigen Komponisten! Drei Emmys, vier Golden Globes, fünf Oscars (bei 50 Nominierungen!) und 21 Grammys unterstreichen die Ausnahmestellung von Steven Spielbergs Lieblingsmusiker.
Doch nicht alle gönnen dem Vielgefeierten den Erfolg und so muss auch John Williams sich immer wieder Plagiatsunterstellungen gefallen lassen. In diversen Foren und auf YouTube werden mehr oder weniger ernsthaft Belege für seinen angeblichen Diebstahl gesammelt. Bei Cracked.com etwa wird behauptet, dass zwei der bekanntesten Themen des Komponisten geklaut sind, darunter auch der Titeltrack von „Der weiße Hai“. Die Quelle ist zugegebenermaßen nicht die allerseriöseste, aber schauen wir uns die Indizien an:
Mit seinem einfachen, aber effektiven Muster zweier alternierender Töne (E und F) ist Williams‘ musikalische Hai-Warnung längst zum Synonym für bedrohliche Stimmung geworden.
Wenn man sich daneben den Beginn des Finalsatzes (Allegro con fuoco) aus der 9. Sinfonie e-Moll op. 95 von Antonín Dvořák anhört, dann ist die Ähnlichkeit durchaus frappierend. Und der tschechische Komponist hat sein vor allem unter dem Beinamen „Aus der Neuen Welt“ bekanntes Meisterwerk bereits 1893 vollendet. Hat John Williams eine seiner bekanntesten Arbeiten also tatsächlich nur abgekupfert?
Wer sich die Originalversion von Williams‘ Musik im Zusammenhang anhört, wird als Laie kaum behaupten wollen, dass der Maestro bei Dvořák abgeschrieben hat. Es handelt sich zwar in beiden Fällen um dasselbe Intervall (eine kleine Sekunde), aber in der Sinfonie erklingen die Töne H und C - abgesehen von allen anderen Unterschieden. Nun kommt es bei Plagiatsprozessen ja manchmal schon zu erstaunlichen Urteilen, aber hier handelt es sich wohl am ehesten um eine unbewusste Inspiration, wie sie unter Musikern wie bei allen anderen Künstlern auch absolut selbstverständlich ist. Tatsächlich lassen sich ganz ähnliche Motive auch noch bei Sergej Prokofjew, William Walton, in Bernard Herrmanns Musik zu Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ und an unzähligen anderen Stellen finden.
John Williams, der auf groß instrumentierte orchestrale Filmmusik spezialisiert ist, steht nicht nur in der Tradition von klassischen Komponisten wie Wagner, Tschaikowsky oder eben Dvořák, sondern auch in der Nachfolge der Tonmagier aus dem goldenen Zeitalter Hollywoods wie Max Steiner („Vom Winde verweht“) und Erich Wolfgang Korngold („Robin Hood, König der Vagabunden“). Und so erklärt sich dann auch die im Einzelnen durchaus erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Williams‘ ikonischem „Krieg der Sterne“-Thema und der Komposition Korngolds für Sam Woods heute trotz Oscarnominierung ziemlich in Vergessenheit geratenes Drama „Kings Row“ von 1942. Von „geklaut“ sollte dabei aber ebenso wenig die Rede sein wie bei „Der weiße Hai“.
Als kleines Bonusschmankerl (besonders für die „Star Wars“-Fans unter euch...) hier noch ein kleines Video über die verschlungenen Pfade, die von klassischer Musik und anderen Inspirationsquellen zu den Soundtracks in Film und Fernsehen führen: