Der Herbst ist für jeden Serienfan die schönste Zeit des Jahres (siehe auch unsere Begründung in den „Ins & Outs der Woche“), denn wenn das Wetter langsam schlechter wird, starten in den USA traditionell die neuen Serien und kehren die heißgeliebten altbekannten Serien mit neuen Staffeln zurück. Doch damit geht natürlich auch jedes Mal die Angst einher, im Internet oder durch unbedachte Bekannte von großen Enthüllungen, schockierenden Toden oder unvorhersehbaren Wendungen zu erfahren – kurz, die Angst vor Spoilern treibt Serienfans noch mehr um als sonst. Doch wie eine wissenschaftliche Studie der University Of California schon vor einiger Zeit herausfand, sorgen wir uns womöglich umsonst vor Spoilern: Tatsächlich wollen die Wissenschaftler erkannt haben, dass Spoiler eine Geschichte sogar verbessern.
Nicholas Christenfeld, der die Studie an der renommierten amerikanischen Universität durchgeführt hat, sei laut eigener Aussage wie alle anderen Leute davon ausgegangen, dass Spoiler eine Geschichte kaputt machen. Doch als er seiner Tochter die Grundprinzipien des Geschichtenerzählens erzählen wollte, sei er ins Stutzen gekommen: Was genau ist es eigentlich, dass Menschen an einer fiktiven Geschichte fasziniert und begeistert? Also beschloss er, den Phänomen Spoiler in einer Reihe von Experimenten auf den Grund zu gehen.
In seinem ersten Experiment gaben er und sein Team einer Reihe von Testpersonen Kurzgeschichten aus verschiedensten Genres zu lesen. Die eine Gruppe sollte die Geschichte einfach lesen und dann am Ende bewerten. Die andere Gruppe hingegen las dieselben Geschichten, jedoch verrieten die Wissenschaftler vorher wie zufällig und nebenbei das Ende oder eine entscheidende Wendung – die Testpersonen wussten also, auf was die Geschichte hinauslaufen würde. Das überraschende Ergebnis: Wenn sie den Testpersonen eine Geschichte spoilerten, gefielt sie ihnen sogar noch besser.
Anschließend wiederholte Christenfeld das Experiment mit drei besonders Spoiler-anfälligen Genres und Gattungen: Krimigeschichten, bei denen es darum geht, den Täter zu erraten, Storys mit einem Twist, der die bisherige Handlung in einem ganz anderen Licht dastehen lässt, und Geschichten, die auf eine bestimmte, durch die Handlung motivierte Auflösung hinlaufen. Auch hier war das Ergebnis eindeutig: „Spoiler verderben eine Geschichte nicht, sie machen sie besser“, so Christenfeld. Der Begriff (vom englischen „to spoil“, also „verderben“) sei also falsch.
Ein weiteres Experiment sollte klären, ob Spoiler die gesamte Geschichte verbessern, oder nur das vorweggenommene Ende noch befriedigender machen. Dazu spoilerte Christenfeld seine Probanden, unterbrach sie dann jedoch, bevor sie am Ende der Geschichte angelangt waren. Das Ergebnis: Auch die unfertige Geschichte fanden diejenigen Probanden besser, denen vorher wichtige Details verraten worden waren. Einzig wenn man den Spoiler als Teil der Handlung in die Geschichte einarbeitet, also etwa überdeutlich andeutet, welche Wendung im späteren Verlauf zu erwarten ist, macht das die Geschichte kaputt, wie Christenfeld und sein Team in einem letzten Experiment herausfanden. Die Handlung müsse in sich geschlossen sein, aber zusätzliche, gesonderte Informationen darüber sorgten dafür, dass eine Geschichte den Menschen besser gefällt, so Christenfeld.
Für Christenfeld liegt die Erklärung für alle diese Erkenntnisse auf der Hand: „Die Sache ist die: Wir schauen keine Filme wegen dem Ende.“ Niemand würde sich bei einer romantischen Komödie wirklich fragen, ob die Liebenden am Schluss wirklich zusammen kommen, oder ob der Detektiv bei einem Krimi am Ende den Fall löst. Auch bei den großen Klassikern der Geschichte, etwa Shakespeares „Romeo & Julia“ würde sich niemand Gedanken um Spoiler machen. Und wer weiß, wie eine Geschichte ausgeht, könne sich umso mehr auf die Geschichte an sich konzentrieren: „Wenn man das Ende kennt, während man einen Film sieht, dann kann man besser verstehen, wie der Regisseur die Geschichte erzählt. Man kriegt einen Blick für das große Ganze und versteht die Handlung besser.“ Ganz allgemein sorge eine gewisse Vertrautheit mit einem Kunstwerk dafür, dass man es umso mehr genießen kann, so Christenfeld weiter.
Wenn es also eine Geschichte verbessert, wenn man die Handlung spoilert, dann ist die Handlung vielleicht nur Blendwerk, dass uns davon abhält, den ganzen Rest zu genießen, folgern Christenfeld und sein Team – etwa den Stil oder die Symbolik oder auch Sinneseindrücke, Charakterentwicklung oder künstlerisches und handwerkliches Geschick. Als Beispiel dafür führt Christenfeld Bryan Singers „Die üblichen Verdächtigen“ an, doch er findet auch eine (spoilerfreie) allgemeinere Metapher: Wenn man eine bekannte Straße entlangführe, könne man die umliegende Landschaft genießen, doch wenn man eine unbekannte Strecke führe, müsse man auf Hindernisse und Wendungen achten.
Die Ergebnisse, zu denen Christenfeld und sein Team kommen, sind ohne Frage interessant und überraschend, und die Erklärungen, die sie anbieten, erscheinen durchaus sinnvoll. Woran liegt es also, das trotzdem die meisten Menschen Spoiler meiden und dies wohl auch trotz dieser Studie weiterhin tun werden, wie die Universität in einem Artikel über Christenfelds Studie selbst zugibt? Eine mögliche Antwort darauf bietet die University Of California auch gleich selbst an: Man kann einen Film oder eine Serie nur ein einziges Mal zum ersten Mal sehen. Und für viele Menschen scheint es trotz der Ergebnisse von Christenfeld und seinem Team einen nicht unbeträchtlichen Teil des Sehvergnügens auszumachen, sich von plötzlichen Wendungen oder einem überraschenden Ende überraschen zu lassen. Das schließt natürlich nicht aus, dass man einen Film, eine Serie oder irgendeine andere fiktive Geschichte beim zweiten Mal genauso oder sogar noch viel mehr genießt – mögliche Gründe dafür legen die Wissenschaftler ja sehr nachvollziehbar dar.
Außerdem sind die Handlung oder Elemente der Handlung nicht das einzige, was man an einer Geschichte spoilern kann, doch darauf konzentrieren sich Christenfeld und sein Team fast ausschließlich. Zwar legen ihre Ergebnisse nahe, dass auch Informationen über Symbolik oder Charakterentwicklung das Filmvergnügen nicht trüben, doch dazu haben sie keine Experimente durchgeführt. Auch hier wäre vorstellbar, dass viele Zuschauer solche handlungsunabhängigen Elemente gerne selbst entdecken wollen.