Unter Filmfans gehört es einfach dazu: Nach der Verkündung der jährlichen Oscar-Nominierungen im Januar werden die Entscheidungen der Academy heiß und kontrovers diskutiert, wobei die Nicht-Berücksichtigten oft mehr Aufmerksamkeit erregen als die tatsächlich Geehrten (wie zuletzt beim medialen #OscarsSoWhite-Aufschrei). Bei einer der bizarrsten Nominierungen in der inzwischen fast 90-jährigen Academy-Geschichte war das allerdings genau umgekehrt, denn als die Finalisten für das Jahr 1956 bekanntgegeben wurden, befand sich plötzlich ein Film auf der Liste, der selbst nach Einschätzung der Macher weiter von einem Oscar entfernt war als die Erde vom Mond.
In der Kategorie Beste Original-Story gehörte „High Society“ zu den fünf Filmen in der Endausscheidung. Das war auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches, gehörte doch tatsächlich ein Werk mit diesem Titel zu den zehn größten Kassenerfolgen des Jahres in Nordamerika. Aber das MGM-Musical mit Frank Sinatra, Bing Crosby und Grace Kelly, das in Deutschland als „Die oberen Zehntausend“ bekannt ist, basiert nicht auf einer Original-Story (also einer speziell für den Film erdachten Handlung), sondern ist eine Verfilmung des Broadway-Stücks „The Philadelphia Story“ – und dessen Geschichte war auch allen Kinofans schon lange bekannt, denn es wurde bereits 1940 für die Leinwand adaptiert.
Ironischerweise hatte „Die Nacht vor der Hochzeit“, so der deutsche Titel dieser ersten Kinoversion des Stückes, nicht nur Hauptdarsteller James Stewart einen Oscar eingebracht, sondern auch dem Autoren Donald Ogden Stewart für das Beste adaptierte Drehbuch. Diese Kategorie für die Bearbeitungen bereits vorhandener (fremder) Storys wäre auch für „Die oberen Zehntausend“ die korrekte Wahl gewesen. Es stimmte also etwas nicht.
Vollständige Verwirrung löste schließlich der Blick auf die für die Leistung nominierten Individuen aus, denn die Herren Elwood Ullman und Edward Bernds waren vielen Beobachtern unbekannt - und sie hatten überdies weder etwas mit dem Bühnenstück noch mit „Die oberen Zehntausend“ zu tun, dafür mit den Three Stooges. Weitere Recherchen ergaben, dass es in jenem Jahr 1956 zwei nach den Academy-Regeln wählbare Filme mit dem Titel „High Society“ gab und die Nominierung dann wohl dem ominösen anderen Kandidaten gelten muss:
Der zweite „High Society“ entpuppte sich allerdings als eine schnell runtergekurbelte Low-Budget-Komödie mit der vor allem bei Kindern beliebten Comedy-Truppe The Bowery Boys aus New York. Die von Leo Gorcey angeführte Gang trieb in insgesamt 48 Filmen zwischen 1946 und 1958 ihr albernes Unwesen und „High Society“ unterscheidet sich mit seiner läppischen Story um einen Erbschaftsschwindel (die haben sich Ullman und Berndt tatsächlich „original“ ausgedacht) nicht von den anderen Werken der Reihe. Das war den Nominierten durchaus bewusst: Deren Produzent meldete sich zu Wort und betonte, dass die Bowery Boys niemals ohne die exzellente Arbeit der Autoren so lange erfolgreich hätten sein können – und erntete mit dieser ironischen Bemerkung schallendes Gelächter.
Elwood Ullman und Edward Bernds schrieben schließlich ein Telegramm an die Academy, in dem sie die Nominierung „respektvoll ablehnen“, weil es sich ganz offensichtlich um eine Verwechslung handelte. Auf dieses Schreiben dürften die Academy-Oberen mit großer Erleichterung reagiert haben, denn so konnten sie „High Society“ einfach von der Liste der Nominierungen für die Originalstory streichen, auf der sich übrigens auch so berühmte Namen wie Jean-Paul Sartre und Neorealismus-Ikone Cesare Zavattini befanden. Es gab zwar nie eine offizielle Erklärung für die peinliche Panne, aber die schlichte Verwechslung durch unachtsame Academy-Wähler ist tatsächlich das wahrscheinlichste Szenario.
Womöglich ist es aber kein Zufall, dass die Extra-Kategorie für die Beste Story (neben Original-Drehbuch und Adaptiertes Drehbuch) bereits im folgenden Jahr 1957 abgeschafft wurde. Gewonnen hat den letzten Story-Oscar von den verblieben vier Kandidaten im Übrigen ein gewisser Robert Rich für „Roter Staub“ – und damit sind wir gleich bei der nächsten Skandalstory. Denn Rich war ein Pseudonym für Dalton Trumbo, der in der damaligen McCarthy-Ära auf der schwarzen Liste stand und somit weder offiziell in Hollywood arbeiten noch einen Oscar gewinnen konnte. Diese Geschichte wurde übrigens erst im vergangenen Jahr in dem Drama „Trumbo“ mit dem oscarnominierten Bryan Cranston erzählt.
„Die oberen Zehntausend“ hat schließlich trotzdem fast noch einen Oscar gewonnen, aber der favorisierte Song „True Love“ zog gegenüber „Que Sera, Sera“ aus dem Hitchcock-Klassiker „Der Mann, der zuviel wusste“ den Kürzeren.