In „Ida“ erzählt Regisseur Pawel Pawlikowski die Geschichte einer jungen Frau, die im Kloster aufwuchs und nach ihrer Volljährigkeit herausfindet, dass sie eigentlich Jüdin ist. Gemeinsam mit ihrer einzigen lebenden Verwandten, ihrer Tante, einer in Ungnade gefallenen Richterin, macht sie sich auf die Suche nach dem Grab ihrer Eltern und der eigenen Herkunft. Das in den 1960er Jahren angesiedelte Drama ist auch eine Abrechnung mit dem Antisemitismus im polnischen Nachkriegs-Sozialismus und mit Ex-Nazi-Kollaborateuren, die sich im neuen System eingerichtet haben. Obwohl in den 1960er Jahren spielend, setzt sich Pawlikowski so auch mit der Zeit auseinander, in der Polen von den Nazis besetzt war und dort Juden getötet und vertrieben wurden.
Die TV-Ausstrahlung von „Ida“ in Polen erfolgte zu einer Zeit, zu der sich das Land nach einem innenpolitischen Rechtsruck im Fokus internationaler Kritik befindet. Die nationalkonservative Regierung verabschiedete zum Beispiel Gesetze, mit denen die öffentlich-rechtlichen Medien massiv eingeschränkt werden. Nun lief „Ida“ im polnischen Fernsehen, doch auf eine Art, die die Debatte um Eingriffe der Politik in die Medien befeuerte und einen Proteststurm auslöste. Was ist passiert?
Der polnische TV-Sender TVP strahlte Ende Februar 2016 direkt vor dem Beginn von „Ida“ eine Sondersendung mit dem Titel „Around ‚Ida‘“ aus. Zwei Kommentatoren und Maciej Swirski, der Vorsitzender der polnischen Antidiffamierungsliga, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, negativen Kommentaren zu Polen entgegen zu treten, „setzten sich darin kritisch mit dem Drama auseinander“. Dabei wurde laut Variety unter anderem darauf verwiesen, dass die Geschichte von „Ida“ historisch falsch sei und Polen in einem falschen Licht darstelle. Es werde ein viel zu negatives Bild von den Handlungen polnischer Bürger während der Besetzung durch die Nazis gezeigt. Auch der Oscar-Gewinn sei herabgewürdigt worden. Den Goldjungen habe der Film doch nur gewonnen, weil er aus der Sicht von Juden erzählt sei.
Der im Fokus dieser Sendung stehende Maciej Swirski machte unter anderem auch Schlagzeilen, weil seine Organisation forderte, dass dem Holocaustforscher Jan Gross das Verdienstkreuz aberkannt wird. Gross dokumentierte zum Beispiel in seinem Buch „Nachbarn“, wie die katholischen Polen in einem Dorf 1941 auf Anstiftung von SS-Männern ihre jüdischen Nachbarn ermordeten. Für Swirski ist er ein „schädlicher Verleumder, der […] eine gegen Polen gerichtete Diffamierungs- und Beleidigungsaktion führt.“ In der „Ida“-Vorabsendung sagte Swirski laut Variety nun Sätze wie: „Man darf über schreckliche Dinge in der Vergangenheit einer Nation reden, aber nicht auf eine Art, die diese Nation kränken könnte.“
Direkt im Anschluss kam es zur Filmausstrahlung, die mit Texttafeln vor dem Vorspann eingeläutet wurde. Die Tafeln, die laut Variety den Eindruck erweckten, dass sie zum Film gehören, verwiesen unter anderem darauf, dass Polen nicht während der Nazi-Besetzung an der Verfolgung von Juden mitgewirkt, sondern im Gegenteil viele Polen ihr Leben riskiert hätten, um jüdischen Mitbürgern bei der Flucht zu helfen.
Die polnische Gewerkschaft der Regisseure läuft nun Sturm gegen diese Verunstaltung der Ausstrahlung des Films. Dies sei ein einmaliger Vorgang in den 25 Jahren, seit die polnischen Medien nach dem Ende des Kommunismus endlich frei sein sollten. Man verabscheue diese „manipulativen Propagandataktiken“, die von „mangelndem Respekt gegenüber den Machern und den Zuschauern“ zeugen. Auch über 90 polnische Filmkritiker veröffentlichten einen Protestbrief, in dem sie vor allem die Texttafeln bemängeln. Die Filmproduzenten hinter „Ida“ prüfen derweil rechtliche Schritte gegen TV-Sender TVP.
Regisseur Pawel Pawlikowski nutzte die Aufmerksamkeit für einen Generalangriff gegen die neue polnische Regierung: „Die Nationalisten setzen sich ja nicht einmal mit meinem Film auseinander. Die meisten haben ihn nicht einmal gesehen. […] Es sind ihre abscheulichen fremdenfeindlichen Aussagen, die unsere Reputation im Ausland beschädigen und nicht mein Film. […] Das schreckliche daran ist, dass Polen eine lebendige, demokratische und vielfältige Gesellschaft ist und diese Leute, die von gerade einmal 6,5 Millionen Menschen [von insgesamt 40 Millionen] gewählt wurden, ruinieren das Bild unseres Landes für alle von uns und für lange Zeit.“
Auch die Europäische Filmakademie schloss sich mittlerweile dem Protest an. Man verteidige die Mehrheit von Meinungen über einen Film und auch das Recht an einer offenen Diskussion darüber, aber man könne nicht akzeptieren, dass die Diskussion so massiv mit einer einseitigen Auseinandersetzung manipuliert werde.
In Deutschland startete das Schwarz-Weiß-Drama „Ida“ am 10. April 2014 in den Kinos und ist mittlerweile auf DVD und als VoD erhältlich.